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Zeitschrift für christliche Kunst — 21.1908

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Moeller, Ernst von: Die Zahlensymbolik in ihren Beziehungen zur Gerechtigkeit
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1908. — ZEITSCHRIFT. FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 5.

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drücklich die Ansicht ab, als ob man die
Länge der Weltalter auf siebentausend Jahre
fest berechnen könne und darum der Acht
jenen mystischen Sinn beilegen müsse. Aber
im Resultat halten sie die Gleichsetzung für
völlig richtig. „Potest," sagt Augustin, „dies
judicii octavus intelligi." Und ebenso Beda:
„Dies judicii potest optime octava vocari."
Auch Gregor der Große27) sieht in der Acht
den Tag des ewigen Gerichts, den „Dies
irae".

So läßt sich bei vielen Kirchenvätern bei
der Acht eine Bezugnahme auf das jüngste
Gericht feststellen. Aber dabei bleibt offen-
bar eine Differenz gegenüber der Justitia, von
der Bern von Reichenau spricht. Und sein
Ausdruck „Antiqui" geht auch offenbar auf
die alten Heiden. In der Tat finden sich
auch bei ihnen Anklänge.

Bei Hesychius28) findet sich die rätselhafte
Bemerkung: ^Jixaioavvij q Xotvt^ fivatixmg."
Der Versuch älterer Erklärer, in diese Stelle
durch die Ersetzung des Wortes ?om§ durch
das andere Wort (polvi'S, mit Bezug auf den
Ausspruch des Psalmisten „Justus ut palma
florebit" Sinn zu bringen, hat längst aufge-
geben werden müssen. Die ^oiVtH29) aber ist
ein griechisches Hohlmaß. Im übertragenen
Sinn wird der Ausdruck für den täglichen
Lebensunterhalt genommen. Doch daran ist
hier schwerlich zu denken, wenn sich auch
allenfalls zwischen der Gerechtigkeit und dem,
was der Mensch täglich zum Leben braucht,
ein Zusammenhang ausklügeln ließe. Viel-
mehr liegt die Lösung des Rätsels höchst-
wahrscheinlich in der Zahl Acht. Die attische
Xol\n,'S, ist das Achtel des attischen sxtivs und
des römischen modius, die böotische xolvi'E,
das Achtel des böotischen aatrrjc, des phöni-
zischen Saton und des lakonischen kxieig, ein
Maß des täglichen Lebens, an das kein Grieche
dachte, ohne daß ihm die Zahl Acht vor
Augen stand.

Die Erklärung bleibt zweifelhaft. Aber es
findet sich bei den „Antiqui" eine deutlichere
Beziehung zwischen der Acht und der Ge-
rechtigkeit in jenen „Theologumena arithme-
ticae" bei der Erörterung der Zahl Acht. 30>

") Migne, Greg. II, col. 1030.
28) »Lexicon«, I. Lugd. Bat. 1740, fol., col. 994.
S9) Paul y-Wiss o w a , »Realenzyklopädiec, III,
1899. Sp. 2356 f. Hultsch.
so) Ed. Ast, p. 54.

Sie wird panharmonisch genannt, rört ladxtg
Xarj iadxig nfjo ndvicav avxt] xa&ag/ioa&fiaa
ijv^rl&tl dixaioidiqv yevtotv." Genau wie bei
Bern von Reichenau das Anwachsen der acht
aufeinander folgenden Töne wird hier das
Anwachsen der Acht (= 2 • 2 • 2 = 2 •+- 2 + 2
+ 2) auf die Gerechtigkeit zurückgeführt. Der
Ausdruck „dixaioiÜTqv yevraiv" entspricht
Berns Worten: „quadam dictante justitia."

Danach ist es sehr wahrscheinlich, daß
sich auch die unmittelbare Symbolisierung der
Gerechtigkeit durch die Zahl Acht tatsäch-
lich aus der antiken Literatur nachweisen
lassen wird.

Andere als die genannten Zahlen können
fürs erste als Symbole der Gerechtigkeit nicht
angeführt werden. Die Zahl Zehn31) wird in der
kirchlichen Schriftstellerei des Mittelalters viel-
fach Sinnbild des Gesetzes mit Rücksicht auf
den Dekalog genannt, aber wohl niemals
Sinnbild der Gerechtigkeit.

Eine Beziehung zwischen der Gerechtig-
keit und der Zahl als solcher findet sich am
Hildesheimer Taufbecken aus dem XIII. Jh.,
wenn dort neben der Justitia der Hexameter
steht:

Omnia in nmnero, mensura et pondere pono.
Die Worte gehen zurück auf die Stelle in der
Weisheit Salomonis (11, 22), wo es heißt;
„Du hast alles geordnet mit Maß, Zahl und
Gewicht", und damit auf einen Bibelvers, der
unter dem Einfluß der griechischen Zahlen-
symbolik geschrieben ist und auf die Ent-
wicklung der christlichen Zahlensymbolik aufs
stärkste eingewirkt hat.

Endlich ist noch aus der antiken Musik-
theorie des Aristides Quintilianus eine musi-
kalische Symbolisierung der Gerechtigkeit zu
erwähnen. Er unterscheidet vier „Systeme",
Hypason et meson, synemmenon, diezeugme-
non und hyperbolaeon, und setzt sie den vier
Kardinaltugenden gleich. Das System synem-
menon teilt er der Gerechtigkeit zu.

Uns modernen Menschen wird es schwer,
uns in diese phantastischen Vorstellungen ver-
gangener Zeiten hineinzudenken. Hören wir
etwa, daß die Zahl Fünf die Ehe bedeutet,
so sind wir geneigt, das für Unfug zu halten.
Wir wissen die Zahlen zu schätzen. Aber
wenn wir heute von ihrer Bedeutung sprechen,

S1) Müller-Mothes, II, p. 994. Migne,
Augustin IV, 2. c. 1961.
 
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