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Zeitschrift für christliche Kunst — 21.1908

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Creutz, Max: Rheinische Goldschmiedeschulen des X. und XI. Jahrhunderts, [3]: Köln, Aachen und Essen
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https://doi.org/10.11588/diglit.4126#0137

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235

1908.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 8.

236

auffallende Übereinstimmungen. Allerdings ist
hierbei zu berücksichtigen, daß die Reliefs von
St. Maria im Kapitol letzte Ausläufer dieser
Gruppe sind und bereits in die Zeit des
strengromanischen Stiles hinüberragen.

Zur Lokalisierung dieser Gruppe plastischer
Arbeiten kann hier der bekannte Deckel eines
Evangeliars im Essener Domschatze17) mit
einer Elfenbeintafel in der Mitte herangezogen
werden, darauf die Geburt Christi, die Kreuzi-
gung, und die Himmelfahrt (Abb. 4) und als
Umrahmung in dünnem Goldblech im oberen
Felde Christus in Mandorla, die von zwei Engeln
gehalten wird, femer zur Seite Petrus, Paulus,
die Stiftspatrone Kosmas und Damianus und an
der Unterseite des Elfenbeines Maria mit dem
Kinde zwischen der hl. PinnosaundWaldburgis
und zu ihren Füßen die Äbtissin Theophanu.

Verschiedene Umstände deuten auch bei
dieser Arbeit des Reichenau-Trierer Kreises
den Kölner Ursprung an. Ein Elfenbein aus
derselben Schule wie der Essener Buchdeckel,
befindet sich in St. Maria Lyskirchen zu Köln
mit Darstellung der Kreuzigung schon aus
dem XII. Jahrh., jedoch unverkennbar gleichen
Ursprunges wie die Essener Elfenbeintafel,
(Abb. 6). Hierbei ist von großem Interesse,
daß die Gestalten der Tafel in St. Maria
Lyskirchen sich stärker vom Hintergrunde ab-
heben, also schon die plastisch stärkere Ten-
denz der strengromanischen Kunst verkörpern,
während die Gestalten der älteren Essener
Tafel noch in flacher bildartiger Behandlung
der antikischen Auffassung näher stehen.

Für den Ursprung des Essener Buchdeckels
stellt auch Humann (a. a. O. S. 238) die Ver-
mutung auf, daß der Erzbischof und Kanzler
Hermann von Köln, der den östlichen Teil
der Essener Krypta geweiht hat, als Bruder
der Äbtissin Theophanu, mit der Herstellung
des Buchdeckels eine Kölner Werkstatt be-
auftragte, vielleicht des Stiftes St. Maria im
Kapitol selbst, dem die Schwestern der Äbtissin
Theophanu vorstanden.

Ein verwandtes Elfenbein befindet sich im
South-Kensington-Museum zu London (Abb. 7.)
Hiermit würde der Kreis plastischer Arbeiten
der Gruppe der Tür von St. Maria im Kapitol
enger umgrenzt, und es zeigen sich auch inner-
halb dieser Arbeiten starke Übereinstimmung.

l1) Humann , »Der Schatz des Essener Münsters«
Taf. 24.

Allmählich wird sich diese Gruppe Kölner
Ursprunges noch erweitern lassen. Vorläufig
kann man nur indirekt auch an Arbeiten
anderen Materiales den Reichtum Kölner
Könnens auf dem Gebiete der Goldschmiede-
technik und des Zellenemails ahnen. So
zeigt das früheste Beispiel der Wirktechnik
aus St. Gereon in Köln, heute im Berliner
Kunstgewerbemuseum, mit Darstellungen von
Kreismotiven, Tieren und Masken nach orien-
talischen Vorbildern, besonders in den Masken
deutliche Zusammenhänge mit Zellenemails, wie
sie in Aachen und Essen erhalten sind. Auch
diese Arbeit ist sicher rheinischen, wenn nicht
Kölner Ursprunges. Köln muß damals im
Mittelpunkt des künstlerischen Interesses ge-
standen haben, und es kann nur ein Zufall
sein, daß sich gerade in Aachen und Essen
bedeutende Werke der Kunst dieser Frühzeit
erhalten haben. Auch das Aachener Lotharkreuz
mit dem gravierten Kruzifixus der Rückseite
zeigt nach allen Seiten künstlerisch und technisch
verwandte Faktoren. Alle Einzelheiten hervor-
zuheben, würde ermüden. Die Zusammen-
hänge künstlerischer Übung waren hier so eng,
daß eine Trennung und Lokalisierung im
einzelnen kaum mehr möglich sein dürfte.
Als wichtigstes Moment sei hier hervorgehoben,
daß sich in diesem niederrheinischen Kunst-
kreise die Gravierung der Reichenauer Schule
fortsetzte.18) Dieser Umstand ist für die
Weiterentwicklung der romanischen Kunst von
größter Wichtigkeit, weil aus dem malerischen
Stil der antiken Auffassung allmählich ein mehr
linearer und streng plastischer Stil ent-
stand, der für die Entstehung einer plasti-
schen Gestaltung im XII. Jahrh. und für die
Emailkunst der rheinischen Reliquienschreine
grundlegend wird. In den Gravierungen der
Rückseiten der Essener Kreuze und des
Essener Buchdeckels, dem Tragaltar aus Ipplen-
dorf und den behandelten Gravierarbeiten des

ls) Der plastische Stil der Reichenauer Arbeiten
greift in seinen Nachklängen, wie in der Buchmalerei
nach Norddeutschland über; es gehören hierher: ein
Kreuz zu Borghorst i. W., ein Kasten der Sammlung
Güldenpfennig in Paderborn, ein Kasten mit der
Kreuzigung Petri in Minden, ein Schrein im Erzbischöf-
lichen Museum zu Münster, ein kleiner flacher Kasten
in der Sammlung Schnütgen in Köln. In der Essener
Madonna erhebt sich die Fähigkeit der Schule bereits
zu einer freiplastischen Leistung. Die Krone der
Maria mit Schleifenfassung der Steine ist für die Schule
' besonders charakteristisch.
 
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