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Zeitschrift für christliche Kunst — 21.1908

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Hasak, Max: Der neue Stil, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4126#0141

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243

1908.— ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 8.

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die man den verschiedenen Bauteilen, wie
Kleider überziehen könnte, so daß durch sie die
statische Verrichtung des Einzelteils im Bau
sichtbar würde. Unleugbar ist die Auffassung
vom Wesen des Stils aber eine höhere als sie
Semper in seinem berühmten Werke „der Stil"
vertrat. Semper wandte sich heftigst gegen
diese Böttichersche Erklärung der Antike,
aber noch heftiger gegen das Prinzip der Gotik,
wie es Viollet-le-Duc dargelegt hatte, daß „die
Konstruktion gezeigt" werden müsse. Das sei
Handwerkerstandpunkt. Die Baukunst sei
eine Bekleidungskunst, und nichts als eine
Bekleidungskunst dürfe sie sein. Er leugnete
jeglichen Zusammenhang zwischen Form und
Verrichtung des Bauteiles und erklärte sämt-
liche antiken Kunstformen daraus, daß man
Mauern, Pfeiler und Decken aus irgendwelchem
Material, wie Holz, Lehm, Ziegeln usw. völlig
formlos hergestellt habe, um sie dann mit
Teppichen, Goldblechen und edlen Hölzern
zu verdecken. Man sieht, auch bei der Semper-
schen Theorie gibt es zuvor Bauteile, die
Dinge an sich, welche vorhanden sind, die
aber durch das Verkleiden verschwinden.
Unter der Kunstform ersticken die Werk-
formen. Als Erklärung des Entstehens vieler
antiker Formen, wird die Sempersche Ansicht
die zutreffende sein, aber behaupten zu wollen,
dies sei die einzig berechtigte Art der Formen-
gebung in der Baukunst, heißt die Täuschung
als das allein Berechtigte erklären. Damit
hängen sämtliche Bauformen vom Zufall und
von der Willkür ab; sie hängen in der Luft.
Der Erklärung Sempers entsprächen dann
eigentlich jene Bauwerke allein, die beliebige
Innen- und Außenhaut zeigen, die sich aus
keinem Bedürfnis, aus keinem Material, aus
keiner Konstruktion, aus keinem Nachdenken
ergeben, die nur irgendwo anders Gesehenes
wiederholen, ein Formentrug, der vom Ingenieur
durch mühselig hineingezwungene Eisenkon-
struktionen standfähig gemacht wird, dessen
Gewölbe aus Rabitz, wenn nicht gar aus Papier-
mache" geheuchelt sind. Das ist keine Bau-
kunst; das ist die Kunst des Dekorateurs und
Tapezierers, der Vorhandenes für den Augen-
blickszweck nachahmt. Da steht selbst die
Formengebung der Ägypter noch höher. Ihr
Gotteshaus soll ein Abbild der Welt sein.
Der Fußboden stellt die Erde dar und wird
als solche verziert. Die Säulen sind die
Blumen, Sträucher und Bäume. Die einen

sind Lotosstengel mit ihren Knospen und
Blüten; die anderen Papyrusstauden; diedritten
Palmenbäume. Darüber spannt sich der
Himmel, die Decke. Daher sind auch deren
Auflagerplatten auf den Pfianzensäulen dem
Auge soweit als möglich versteckt.

Allmählich läßt sich nach diesen Erörte-
rungen der Begriff des Baustiles erkennen.

Wir sehen in allen Stilen, daß unter der
Formenhülle ein Ding vorhanden ist, das Bau-
werk an sich. Mag man es nennen wie man
will, ob „Konstruktion", „Werkform" oder
„formloses Bauwerk", es ist dasjenige Gebilde,
welches aus den vorhandenen Materialien den
Raum herstellt, den der Mensch gegen die
Unbilden der Witterung und gegen seine
Feinde nötig hat. Und zwar geschieht die
Zusammenfügung der vorhandenen Baustoffe
nach verschiedenen Weisen, wie sie das Können
der Zeit ermöglicht und zur Gewohnheit ge-
macht hat. Der Ägypter sucht seinem „Roh-
bau" die Formen eines Gartens zu geben:
Eine Wiese als Fußboden; mit Stauden und
Bäumen als Säulen; mit dem Sternenhimmel
und der Sonnenscheibe als Decke; auf
seinen Wänden Ausblicke auf die Um-
gebung, in der die Könige Kriege führen
oder Jagden abhalten und die Bevölkerung
ihren verschiedenen Beschäftigungen nachgeht.
Das Ziel, welches dem Ägypter vorschwebt
bei der formalen Gestaltung seines Baues,
nämlich denselben zu einem Abbild der Welt
zu machen, hat all' die charakterischen Formen
der ägyptischen Baukunst geschaffen.

Ein klar erkennbarer Gedanke liegt also
der ägyptischen Formgebung zugrunde. Wir
sehen wie ein Stil entstanden ist.

In ähnlicher Weise glaubte Bötticher von
den Bauformen der Griechen nachweisen zu
können, daß auch sie einem klar erkennbaren
Gedanken ihr Dasein schulden.

Der Grieche wollte nach Bötticher jeden
Bauteil in ein Sinnbild aus der Natur oder
aus dem menschlichen Gewerbefleiß einkleiden,
welches die statische Verrichtung des Bauteiles
am Bauwerk dem Auge anzeigte.

Dieser Grundgedanke für die Entwicklung
der Baufonnen ist sicher gegenüber dem ägyp-
tischen ein Fortschritt, denn er sucht dem
Bauwerk nicht ein Bild aufzuzwingen, das mit
dem Bauwerk nichts zu tun hat, sondern er
sucht aus dem Bauwerk heraus das künstlerische
Bild zu schaffen.
 
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