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Zeitschrift für christliche Kunst — 21.1908

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Hasak, Max: Der neue Stil, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4126#0142

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245

1908. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 8.

246

Nur besteht dieser Gedanke nicht die
Probe. Es lassen sich einerseits nicht ge-
nügend Sinnbilder finden, um die Verrich-
tungen der einzelnen Bauteile dem Auge
kenntlich zu machen. Andererseits zwingt
dieser Gedanke dem Bauwerk ebenfalls Ge-
staltungen und Formen auf, die mit dem Bau
an sich nichts zu schaffen haben.

Die Sempersche Annahme, der antike
Formenschatz sei dadurch entstanden, daß
man mit den Erzeugnissen des Kunstfleißes
den Rohbau verdeckt habe, kann als stil-
bildend nur für die Verzierungen in Frage
kommen. Auch hierbei erscheint der Roh-
bau zu der Rolle verurteilt, als notwen-
diges und unabwendbares Etwas wohl vor-
handen zu sein, mit dem jedoch nichts
anzufangen ist, das man verleugnet und
unterdrückt.

Beide Erklärungsversuche zusammenge-
schweißt, dürften die ursprünglichen Vorgänge
und späteren Bestrebungen der griechischen
Baumeister richtig wiedergeben.

Den erlösenden Gedanken hat dann die
Gotik gefunden. Viollet-le-Duc gebührt der
Ruhm, ihn in der Neuzeit wieder erkannt zu
haben. Die Gotik zwingt den „Rohbau" nicht
in irgend welche ihm fremde Foimen oder
Gebilde, sie unterdrückt ihn nicht. Sie zeigt
ihn wie er ist und verziert ihn. Der Rohbau
ist eine völlige Neuschöpfung des Menschen-
geistes. Malerei und Bildhauerkunst können
nur das in der Natur Vorhandene: Menschen,
Tiere, Pflanzen, Landschaften, zur Darstellung
bringen. Die Baukunst allein unter den Künsten
schafft in ihren Bauten Dinge, welche sich
sonst in der Natur nicht vorfinden, die keine
Nachahmungen vorhandener Naturerzeugnisse
sind. Die menschlichen Bauten sind wirkliche
Neuschöpfungen und zwar besonders die
„Rohbauten". Diese Werkformen dem Blick
so viel als möglich zu entziehen, kann un-
möglich ein gesundes Stilbildungsprinzip sein.
Das einzige und für alle Zeiten geltende Be-
mühen kann nur das sein, den Rohbau, diese
Schöpfung des Menschen, zu einer solchen
künstlerischen Vollendung zu bringen, daß er
das Kunstwerk an sich ist. Diesen Leitsatz
hat das Mittelalter befolgt und zwar für seine
kirchlichen wie für seine profanen Bauten.
Die äußere Form des Bauteils sei seines Wesens

Spiegel, aber ohne Zuhilfenahme verhüllender
Sinnbilder.

Da es für den menschlichen Geist unmög-
lich ist völlig Neues zu schaffen; da jeder
Mensch auf den Errungenschaften seiner Vor-
gänger und seiner Mitmenschen fußen muß,
so kann die Schöpfung eines neuen Stiles
ebenfalls nicht ohne die Errungenschaften der
Vergangenheit zustande kommen. Man kann
sich nicht an das Zeichenbrett setzen und
sagen, was mache ich nun so Absonderliches,
daß es noch nicht dagewesen, also etwas
Neues ist. Der menschliche Geist kann das
Vorhandene nur umbilden. Aber er muß
dabei ein klares Ziel vor Augen haben und
vernünftige Mittel anwenden, um zu diesem
zu gelangen, dann wird das gewollte Neue
allmählich entstehen.

Nach den voraufgegangenen Erörterungen,
wie wohl die Formen der bisherigen Stile ent-
standen sind, kann es keinem Zweifel unter-
liegen, daß das einzig erstrebenswerte Ziel
nur sein kann, den Rohbau zum Kunstwerk
ohne Unterdrückung des Rohbaues zu gestalten.
Das versucht anscheinend auch die Moderne.
Nur scheint sie das Ziel nicht klar zu er-
kennen, und die Mittel, die sie anwendet, sind
nicht richtig. Die Gotik dagegen hat mit
demselben Ziele und den richtigen Mitteln
ihre herrlichen kirchlichen Neuschöpfungen,
jene unerreichten Meisterwerke erzielt. Auch
auf dem profanen Gebiete hat sie Großartiges
geleistet. Daß sie auf diesem Gebiet nicht
alles erschöpft hat, ja daß sie nur einen ver-
schwindenden Teil der heutigen Aufgaben mit
ihrem klaren, erstrebenswerten Ziel und ihren
richtigen Mitteln gelöst hat, liegt auf der
Hand, da all' diese Aufgaben zu gotischer Zeit
nicht vorhanden waren. Theater, Konzert-
häuser, Banken, Verwaltungsgebäude, Bahn-
höfe, Restaurants, Bäder, Museen, Kauf-
häuser, all' das gab es im Mittelalter nicht.
All' das würde, selbst in den geschichtlich
überlieferten gotischen Formen gelöst, etwas
durchaus Neues geben. Aber dazu soll gar-
nicht geraten werden. Man löse diese Auf-
gaben in dem oben entwickelten Sinne der
Gotik, mit ihren Mitteln, und man wird etwas
völlig Neues, unserer Zeit Eigentümliches,
etwas Siegreiches schaffen. (Schluß folgt)

Grunewald bei Berlin. Max Hasak.
 
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