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Zeitschrift für christliche Kunst — 21.1908

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Reiners, Heribert: Das Chorgestühl des Domes zu Köln, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4126#0177

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311

1908. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 10.

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Lebens und nicht zuletzt in seiner großen tech-
nischen Meisterschaft. Der' wird alle diese
Darstellungen am besten verstehen, der ihnen
ohne symbolische Nebengedanken rein von
der künstlerischen Seite naht. Wer möchte
denn alle die vielgestaltigen Bastardwesen und
namenlosen Monstrositäten, die schon seit
Jahrhunderten zum eisernen Bestände aller
Bildhauerateliers gehörten, die kampflustigen
Zentauren und Spukgestalten, die Affen, die
auf Schweinen, Hunden und Elephanten reiten
und alle die Speer- und Bogenbewaffneten,
hockenden Ritter und Jäger ernst nehmen?
Die Rundung des Knaufes, die Füllung des
Vierpasses und Miserikordiendreiecks, das war
die Aufgabe des Künstlers, wie er seine Ge-
stalten zusammensetzte, was für Wesen er
vereinigte, danach fragte er erst in zweiter
Hinsicht. Freilich kommen daneben einige
Darstellungen vor, die sicherlich rein der
Symbolik wegen geschaffen wurden, so z. B.
der Adler, der seine Jungen zur Sonne hebt,
um zu prüfen, ob sie diesen Blick ertragen
und sich dadurch als seine wahren Jungen
erweisen, ein seltenes Sinnbild des Johannes,
das im Anschluß an das Brevier (In octav.
S. Johann, lect. VI) geschaffen wurde. Ferner
sehen wir wiederholt den Pelikan mit seinen
Jungen und die verwandte Darstellung des
Löwen, der die totgeborenen Jungen durch
seinen Hauch ins Leben ruft. In den zehn
Gestalten mit Schriftrollen muß man wohl die
Apostel oder Propheten erkennen, die früher
vollzählig, bei der Erneuerung des Gestühles
zwei ihrer Genossen verloren.

Eine große Vorliebe bekundet der Dom-
meister neben Einzelgestalten, die auf den
Knäufen hocken, für Doppelfiguren, die er teils
mit dem Rücken gegeneinander lehnt, häufiger
aber balgend und raufend in einander verschlingt,
und diese boten ihm alsdann zur Rundung
des Knaufes das willkommenste Motiv. Irgend-
welche Obscönitäten darf man in diesen Dar-
stellungen nicht suchen. Wenn auch mehrmals
Männlein und Weiblein sich hier zusammen-
finden, so hat nur das Verlangen nach Ab-
wechselung den Künstler gereizt. An Notzucht
und dergl., wie man annahm, hat er aber
dabei nicht gedacht. Dieselbe Periode, die
glaubte, alle Monstrositäten enträtseln zu
müssen, und die fast in jedem Grashalm eine
symbolische Bedeutung suchte, fand sie natür-
lich auch in diesen harmlosen Darstellungen.

Mögen hier und da in Haltung und Stellung
derbere Variationen unterlaufen, so mag man
bedenken, daß das Mittelalter derber, aber
auch naiver und natürlicher war als unsere Zeit.
Daß an einem so umfangreichen Gestühle
der Frühzeit, zumal an einem Kölner Werke,
auch die Tiergeschichte zur Geltung kommt,
erscheint fast selbstverständlich. Des Fuchsen
Erlebnis mit dem Storche sahen wir bereits.
Als Gänsedieb ziert er einen Knauf, auf einem
andern präsentiert er sich mit einer Kiepe
auf dem Rücken. Seine List behandeln zwei
Szenen der unteren Vierpässe. Auf der einen
kommt er daher in einer Mönchskutte, in der
linken Pfote einen Stab, die rechte reicht er
einem vor ihm stehenden bärtigen Manne zur
Begrüßung oder zur Bekräftigung eines Ver-
sprechens. Auf der Nebenscene eilt er mit
einer erbeuteten Gans davon und zeigt dem zu-
rückbleibenden Manne ein höhnisches Gesicht.
Dieser weist mit der Hand auf eine Schriftrolle,
wohl um Reinecke an das gegebene Ver-
sprechen, den Kontrakt zu gemahnen. Ähn-
liche Darstellungen finden sich öfter auf eng-
lischen Gestühlen. Neben dem Fuchsen erfreut
sich der Affe der besonderen Vorliebe des
Künstlers. Immer wieder führt er den drolligen
Gesellen vor, bald im Streit mit anderen Tieren,
bald auf ihnen reitend, bald zieht er ihm eine
Kutte an, bald leiht er einem Mönche den
Kopf eines Affen. Sogar eine ganze Affen-
familie hat er auf einem Knauf vereint. Ergötz-
lich ist des Affen Tätigkeit als Arzt. Auf
einer Miserikordie kommt der Fuchs zu ihm
und reicht ihm ein Uringlas, auf einem Vier-
paß sehen wir ihn mit einer kranken Eule
zusammen. Die Szene ist hier wohl eine
lustige Variante des nebenstehenden Reliefs,
auf dem eine Frau ihr zudringliches Gegen-
über abwehrt, und der darüber befindlichen
Miserikordie, auf der ein Arzt einem wehleidig
dreinschauenden Manne ein Pflaster auf das
Gesäß klebt. Außer dem Affen weiß der
Künstler auch das Schwein zum trefflichen
Werkzeug seiner Satire zu machen. Uns
mögen Darstellungen, wie jene, die sich an
einer Miserikordie findet und die ein Schwein
als Glöckner zeigt, befremden, aber solche
Bilder charakterisieren das Verhältnis des
Publikums zum Klerus. Einen satirischen
Inhalt haben sie wohl zweifellos. Es hat doch
seinen Grund, daß stets dieselben Tiere, der
Fuchs, das Schwein und der Affe in der Kutte
 
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