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Zeitschrift für christliche Kunst — 21.1908

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Reiners, Heribert: Das Chorgestühl des Domes zu Köln, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4126#0178

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313

1908

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTTJCHE KUNST

Nr. 10.

314

wiederkehren. An den Portalen und Säulen-
kapitellen finden sich diese Gestalten ebenso
wie in den Chorbüchern, und ihre häufige
Wiederholung mag ihnen etwas Typisches ge-
geben haben, wodurch ihre Schärfe bedeutend
gemildert wurde. Allzu schlimm dürfen wir
diese Darstellungen gewiß nicht deuten, sonst
hätte sicherlich der Klerus Einspruch erhoben.
Der mochte vielleicht auch einsehen, daß die
Künstler hier und da Recht hatten. Er hatte
zudem die Beruhigung, daß dem Publikum
der Zutritt zum Presbyterium verboten war
und gestattete deshalb schon eher dem Künstler,
eine persönliche und derbere Note anzuschlagen.
Hie locus est hör um, qui cantant, non aliorum,
sagt der Verfertiger des Freisinger Gestühles
und er fügt hinzu: canonici canlent in clwro
sicut asellus in foro.

Daß die Kunst des Kölner Meisters aus
Frankreich stammt, ist bei der damaligen
führenden Rolle jenes Landes fast selbstver-
ständlich. Eine bestimmte Schule, die seinem
Schaffen ihren Stempel aufgeprägt, läßt sich
nicht mehr nachweisen, denn damals war der
französische Einfluß im westlichen Deutschland
schon zu allgemein und typisch. Am meisten
abhängig scheint der Meister von der Portal-
plastik, die ihm vielleicht die Themen lieferte,
dieselbe Vereinigung zu Paaren zeigt und ihm
auch die Vorbilder gab für alle die vielgestal-
tigen Bastardwesen. Stilistisch könnte man
seine Figuren in Verbindung bringen mit dem
Schmuck des südlichen Querschiffportales von
Notre Dame zu Paris und den Basreliefs der
Außenmauern ebendort. Jedoch, wie gesagt,
sichere Vorbilder lassen sich zu jener Zeit
kaum noch nachweisen, und besonders in der
Kleinplastik, zu der man ja auch wohl die
Kathedral- und Gestühlskulpturen zählen darf,
sind Stilunterschiede fast nicht vorhanden.
Wie allgemein der Stil, in dem die Figuren
des Domgestühles uns entgegen treten, ver-
breitet war, zeigen die zahllosen Elfenbeine
und Spiegelkapseln, die wohl auch vermittelnde
Glieder der französischen Kunst darstellen.
Ob sie nicht hier und da dem Kölner Meister
Motive geboten haben ?

Die Entstehung der Gestühle müssen wir
etwa in das vierte Jahrzehnt setzen. 1322 wurde
der Chor des Domes geweiht und mit seiner
Ausstattung wird man baldigst begonnen haben.

Man möchte annehmen, daß dieser ein
einheitlicher Plan zugrunde lag, vielleicht von

einem der Hüttenmeister entworfen. Zumal
in den Malereien der Chorschranken zeigt sich
ein solch feiner Sinn für Architektur, wie man
ihn in Wandmalereien sonst nicht gewohnt ist.
Und auch die Gestühle zeigen diesen Sinn
für architektonische Werte und gehen auch
in der Hauptgliederung mit den Malereien zu-
sammen. Beide gehören derselben Periode
an. Das Gestühl ist freilich den Malereien
zeitlich und künstlerisch ein wenig voraus,
aber die Plastik war damals überhaupt der
Schwesterkunst überlegen.

Auch oben auf den Chorschranken sehen
wir eine ganze Schar jener phantastischen
Fabelwesen wiederkehren, sehen auch dort
alle die im Laubwerk hockenden und tummeln-
den Mischgestalten, die musizierenden Engel
und Tiere, die kämpfenden Ritter und jagenden
Zentauern, die alle ebenfalls nur ihrer selbst
willen ins Leben gerufen sind. Einzelne von
ihnen zeigen eine solche Verwandtschaft mit
den unteren Skulpturen, daß man bei dem
Maler ihre Kenntnis voraussetzen darf.

Für die Datierung der Gestühle ist uns
eine obere und untere Grenze gegeben. Man
darf ihre Entstehung nicht in die Mitte des
Jahrhunderts hinaufrücken. Die Figuren des
Hochaltares, die dieser Zeit angehören, zeigen
die Unmöglichkeit, beide Werke in Verbindung
zu bringen. Die Gestalten der Chorstühle
haben noch durchweg das Schlanke und Zier-
liche, das der ersten Hälfte des Jahrhunderts
eigen ist. Man muß sie zu den im 3. bis 4.
Jahrzehnt entstandenen Apostelfiguren in Be-
ziehung setzen, mit denen sie in der Auf-
fassung der Gestalt und der Faltengebung eng
zusammengehen. Einige der Engel, die die
Baldachine der Apostel krönen und ebenso
manche der Heiligen könnte man anstandslos
mit Figuren der Gestühle vertauschen. Frei-
lich zeigen diese im allgemeinen, analog dem
Portalschmuck, gegenüber der großen Plastik
mehr Freiheit und Natürlichkeit der Bewegung
und Gewandbehandlung und finden ihre Steige-
rung in den Drolerien. Sieht man ab von
dem neuen Leben, das der Stil der Hoch-
altarfiguren atmet, von der Behandlung der
Falten, der Haare, der Augen und ihrer
Stellung, von dem neuen Ausdruck der
Köpfe, so liegt der Hauptgegensatz zu der
Vergangenheit in dem neuen Kanon, den
dieser Stil für die menschliche Figur aufstellt
und der in dem Breiten und Untersetzten sich
 
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