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INN EN-DEKORATION
ARCH. HANS BÜHL1NG. ENTW. U. AUSF.: A. BEMBE—MAINZ.
HALLE IM SCHLOSS BARON WALDTHAUSEN—LENl ABERG.
GLOSSEN ÜBER DIE BÜRGERWOHNUNG.
Was ist Wohnen? Wohnen ist die Nutzbarmach-
ung einer begrenzten Stätte durch ein
Einzelwesen für seine Körperlichkeit, im Gegen-
satz zu der räumlichen Ausdehnung der Umwelt und
ihrer Nutzbarmachung durch die Allgemeinheit. Diese
Stätte gibt mich mir selbst, denn sie löst mich aus der
Allgemeinheit los; sie umschließt mich, wie mich das
Kleid umschließt, und aus den gleichen Gründen schaffe
ich die Wohnstätte, wie ich das Kleid mir geschaffen —
zum Schutz und zur Abwehr.
Felsenhöhlen, Hütten, Häuser sind der Menschen
Wohnstätten gewesen, in sie zog er sich zurück zur Ruhe,
zur Stärkung, zur Sammlung. Hier barg er seine Habe,
seinen Raub, seine Waffen, sein Wertvollstes, was nur
ihm zugehörte. Hier stärkte ihn Speise und Trank, hier
wartete sein ein Lager zur Ruhe nach Unrast und An-
strengung. Heilig nannte er die Herdfiamme und streng
wahrte er das Hausrecht, durch alle Jahrhunderte und bei
allen Völkern. Der Allerärmste von uns, solange er nur
eine Stelle noch hat, die sein ist, wo er allein Nutzrecht
besitzt, ist nicht ganz ausgestoßen. Nur der Heimat-
lose ist der wahrhaft Unglückliche unter den
Menschen . . . . Die Wohnstätte, wo er ganz er selbst
sein kann, ist dem Menschen von allem Anbeginn an
über alles teuer gewesen, und die Mutter aller Künste —
die Baukunst — ist geboren aus der Wesenheit des
Gedankens der Eigentumsbegrenzung — des Heims —
heraus, sei es nun, daß sie eine Heimstätte des Ein-
zelnen, der Vielen oder der Gottheit schuf. Ihre Pro-
dukte sind deshalb immer Schöpfungen der Zweck-
mäßigkeit bis zu höchster künstlerischer Entfaltung,
denn vollendete Zweckmäßigkeit ist auch immer
vollendete Schönheit. Die Kunst, die neben den
idealen Künsten am meisten berufen ist der Heimstätte
zu dienen — die angewandte Kunst — muß des-
halb ihre Gebilde ebenso nach den festen Gesetzen der
Zweckmäßigkeit gestalten wie die Baukunst, wenn sie
ihnen den Stempel der Wahrheit aufdrücken will, d. h.
wenn sie wahrhaft schön sein sollen.
Wir in Deutschland haben lange gebraucht, bis wir
uns wieder auf diese feststehenden, unveränderlichen
Gesetze besannen. Alle Niederungen gedankenloser
Formenübertragung, verlogner Scheinkunst und spiele-
rischer Effekte mußten wir in unserem Kunstgewerbe
durchmachen, ehe wir unsere Wohnungen wieder nach
ästhetischen Gesichtspunkten einzurichten begannen.
Unaufhaltsam entwickelt sich nun diese neue Wohnungs-
kunst. Sie verläßt glücklicherweise ihr ehemals aristo-
kratisches Prinzip, denn immer weiter dringt das Be-
dürfnis nach Zweckmäßigkeit und Geschmack auch in
INN EN-DEKORATION
ARCH. HANS BÜHL1NG. ENTW. U. AUSF.: A. BEMBE—MAINZ.
HALLE IM SCHLOSS BARON WALDTHAUSEN—LENl ABERG.
GLOSSEN ÜBER DIE BÜRGERWOHNUNG.
Was ist Wohnen? Wohnen ist die Nutzbarmach-
ung einer begrenzten Stätte durch ein
Einzelwesen für seine Körperlichkeit, im Gegen-
satz zu der räumlichen Ausdehnung der Umwelt und
ihrer Nutzbarmachung durch die Allgemeinheit. Diese
Stätte gibt mich mir selbst, denn sie löst mich aus der
Allgemeinheit los; sie umschließt mich, wie mich das
Kleid umschließt, und aus den gleichen Gründen schaffe
ich die Wohnstätte, wie ich das Kleid mir geschaffen —
zum Schutz und zur Abwehr.
Felsenhöhlen, Hütten, Häuser sind der Menschen
Wohnstätten gewesen, in sie zog er sich zurück zur Ruhe,
zur Stärkung, zur Sammlung. Hier barg er seine Habe,
seinen Raub, seine Waffen, sein Wertvollstes, was nur
ihm zugehörte. Hier stärkte ihn Speise und Trank, hier
wartete sein ein Lager zur Ruhe nach Unrast und An-
strengung. Heilig nannte er die Herdfiamme und streng
wahrte er das Hausrecht, durch alle Jahrhunderte und bei
allen Völkern. Der Allerärmste von uns, solange er nur
eine Stelle noch hat, die sein ist, wo er allein Nutzrecht
besitzt, ist nicht ganz ausgestoßen. Nur der Heimat-
lose ist der wahrhaft Unglückliche unter den
Menschen . . . . Die Wohnstätte, wo er ganz er selbst
sein kann, ist dem Menschen von allem Anbeginn an
über alles teuer gewesen, und die Mutter aller Künste —
die Baukunst — ist geboren aus der Wesenheit des
Gedankens der Eigentumsbegrenzung — des Heims —
heraus, sei es nun, daß sie eine Heimstätte des Ein-
zelnen, der Vielen oder der Gottheit schuf. Ihre Pro-
dukte sind deshalb immer Schöpfungen der Zweck-
mäßigkeit bis zu höchster künstlerischer Entfaltung,
denn vollendete Zweckmäßigkeit ist auch immer
vollendete Schönheit. Die Kunst, die neben den
idealen Künsten am meisten berufen ist der Heimstätte
zu dienen — die angewandte Kunst — muß des-
halb ihre Gebilde ebenso nach den festen Gesetzen der
Zweckmäßigkeit gestalten wie die Baukunst, wenn sie
ihnen den Stempel der Wahrheit aufdrücken will, d. h.
wenn sie wahrhaft schön sein sollen.
Wir in Deutschland haben lange gebraucht, bis wir
uns wieder auf diese feststehenden, unveränderlichen
Gesetze besannen. Alle Niederungen gedankenloser
Formenübertragung, verlogner Scheinkunst und spiele-
rischer Effekte mußten wir in unserem Kunstgewerbe
durchmachen, ehe wir unsere Wohnungen wieder nach
ästhetischen Gesichtspunkten einzurichten begannen.
Unaufhaltsam entwickelt sich nun diese neue Wohnungs-
kunst. Sie verläßt glücklicherweise ihr ehemals aristo-
kratisches Prinzip, denn immer weiter dringt das Be-
dürfnis nach Zweckmäßigkeit und Geschmack auch in