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INNEN-DEKORATION
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ARCHITEKTEN ZAPP & BASARKE—CHEMNITZ. FRÜHSTQCKS-Z1MMER IM HOTEL WETTINER HOF. MÖBEL: GEBR. THONET—BERLIN.
DEKORATIVE MALEREI UND RAUMKUNST.
Beide schließen einander nicht aus. Und doch glaubt
man, immer wieder Kraftproben machen zu sollen,
um zu beweisen, daß die dekorative Malerei von der
Raumkunst stiefmütterlich behandelt werde, ja, über-
wiegend ganz ausgeschaltet zu Gunsten einer architek-
tonischen Wirkung mit neutralen Wänden und indiffe-
renter Decke. Man malt wieder Räume aus und stellt
Möbel hinein, und versucht damit glauben zu machen,
daß es dasselbe sei wie das umgekehrte Verhältnis, bei
dem man den Raum auf das Mobiliar hin stimmte, d. h.
um den Möbelsilhouetten einen Hintergrund zu geben,
mit anderen Worten: dem Mobiliar, der Füllung des
Raumes die Handlung zuwies und nicht den Wänden
mit der auf ihr ruhenden Decke. Die Dekorations-
maler sind natürlich nicht verlegen in der Beibringung
alter Beispiele dafür, daß ihre Kunst früher ausgiebiger
für die Ausschmückung von Wohnräumen herangezogen
worden sei als heute; sie nennen dafür ihre großen
Kollegen, die bis zu Michelangelo und Raffael hinauf-
gehen. Das ist gewiß ganz schön und gut, aber noch
kein Beweis dafür, daß es nun heute auch auf unsern
Wänden, Nischen und Decken von Ornamenten, Ara-
besken, Mauresken und Grotesken strahlen müßte wie
beim großen Renaissance-Feldzug von 1870 auf 1880
zu. Es hat eben alles seine Zeit und jegliches Vor-
nehmen unter dem Himmel seine Stunde, und größere
Ereignisse und Bewegungen treffen bekanntlich nicht
nur einzelne Berufe und Stände, sondern ganze Schichten,
ja, unter Umständen Völker und Generationen.
Der Kern der modernen Bewegung müßte bedauer-
licher Weise ein ungesunder sein, wenn er egoistischen
Plänen gewisser Interessentengruppen entsprungen wäre.
Sein Kampf richtete sich nicht einseitig gegen Möbel-
architekten oder Dekorateure, oder Schnitzer und Deko-
rationsmaler, sondern gegen Geschmacklosigkeiten und
Ungeheuerlichkeiten, gegen alle die schmarotzernden
Auswüchse eines gewissen Unternehmertums für Orna-
mentwucher, Kulissenarbeit und Atrappenstil. Seine
Spitze richtete sich auch nicht eigentlich gegen die
historischen Stile, sondern gegen die Kopiersucht und
das unglaubliche Gebahren, im Charakter von fünfund-
zwanzig historischen Stilen saisonmäßig entwerfen zu
wollen. Als nun der reinigende Sturm kam, ist natür-
lich — bedauerlicherweise — auch manche Blüte zur
Erde gesunken. Damit ist aber nur Überlebtes abgetan
worden; nirgends ist einer Neublüte der Boden ver-
dorben worden. Im Gegenteil, viele Anzeichen sprechen
dafür, daß wir in weiterem Verfolg des beschrittenen
Weges auch die scheinbar beiseite Gestellten wieder als
Teilnehmer an der Lösung der großen Zeitaufgaben
sehen werden. Wir alle, ohne Ausnahme, sind wieder
an den Anfang der Dinge gestellt worden, um neu zu
INNEN-DEKORATION
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ARCHITEKTEN ZAPP & BASARKE—CHEMNITZ. FRÜHSTQCKS-Z1MMER IM HOTEL WETTINER HOF. MÖBEL: GEBR. THONET—BERLIN.
DEKORATIVE MALEREI UND RAUMKUNST.
Beide schließen einander nicht aus. Und doch glaubt
man, immer wieder Kraftproben machen zu sollen,
um zu beweisen, daß die dekorative Malerei von der
Raumkunst stiefmütterlich behandelt werde, ja, über-
wiegend ganz ausgeschaltet zu Gunsten einer architek-
tonischen Wirkung mit neutralen Wänden und indiffe-
renter Decke. Man malt wieder Räume aus und stellt
Möbel hinein, und versucht damit glauben zu machen,
daß es dasselbe sei wie das umgekehrte Verhältnis, bei
dem man den Raum auf das Mobiliar hin stimmte, d. h.
um den Möbelsilhouetten einen Hintergrund zu geben,
mit anderen Worten: dem Mobiliar, der Füllung des
Raumes die Handlung zuwies und nicht den Wänden
mit der auf ihr ruhenden Decke. Die Dekorations-
maler sind natürlich nicht verlegen in der Beibringung
alter Beispiele dafür, daß ihre Kunst früher ausgiebiger
für die Ausschmückung von Wohnräumen herangezogen
worden sei als heute; sie nennen dafür ihre großen
Kollegen, die bis zu Michelangelo und Raffael hinauf-
gehen. Das ist gewiß ganz schön und gut, aber noch
kein Beweis dafür, daß es nun heute auch auf unsern
Wänden, Nischen und Decken von Ornamenten, Ara-
besken, Mauresken und Grotesken strahlen müßte wie
beim großen Renaissance-Feldzug von 1870 auf 1880
zu. Es hat eben alles seine Zeit und jegliches Vor-
nehmen unter dem Himmel seine Stunde, und größere
Ereignisse und Bewegungen treffen bekanntlich nicht
nur einzelne Berufe und Stände, sondern ganze Schichten,
ja, unter Umständen Völker und Generationen.
Der Kern der modernen Bewegung müßte bedauer-
licher Weise ein ungesunder sein, wenn er egoistischen
Plänen gewisser Interessentengruppen entsprungen wäre.
Sein Kampf richtete sich nicht einseitig gegen Möbel-
architekten oder Dekorateure, oder Schnitzer und Deko-
rationsmaler, sondern gegen Geschmacklosigkeiten und
Ungeheuerlichkeiten, gegen alle die schmarotzernden
Auswüchse eines gewissen Unternehmertums für Orna-
mentwucher, Kulissenarbeit und Atrappenstil. Seine
Spitze richtete sich auch nicht eigentlich gegen die
historischen Stile, sondern gegen die Kopiersucht und
das unglaubliche Gebahren, im Charakter von fünfund-
zwanzig historischen Stilen saisonmäßig entwerfen zu
wollen. Als nun der reinigende Sturm kam, ist natür-
lich — bedauerlicherweise — auch manche Blüte zur
Erde gesunken. Damit ist aber nur Überlebtes abgetan
worden; nirgends ist einer Neublüte der Boden ver-
dorben worden. Im Gegenteil, viele Anzeichen sprechen
dafür, daß wir in weiterem Verfolg des beschrittenen
Weges auch die scheinbar beiseite Gestellten wieder als
Teilnehmer an der Lösung der großen Zeitaufgaben
sehen werden. Wir alle, ohne Ausnahme, sind wieder
an den Anfang der Dinge gestellt worden, um neu zu