XXI. JAHRGANG.
DARMSTADT.
AUGUST 1910.
MÖBEL UND RÄUME DER MIETWOHNUNG.
VON ANTON JAUMANN — HERLIN.
Eingebaute Möbel« gibt es nicht. Schon der
Sinn des Wortes spricht dagegen. Es war
aber auch eine Verwirrung der Begriffe und ein
grundsätzlicher Irrtum, als unsere Architekten in
so großem Umfang die Mode des Einbauens auf-
nahmen. Das gesamte moderne Leben beruht auf
dem Prinzip der Freizügigkeit und der weitgehend-
sten Gliederung. Fast alle Dinge haben sich von
der festen Scholle gelöst und sind in den Fluß des
Kapitals geraten. Ebenso hat der Mensch die
Fesseln der Zunft, der Sippe, der Kaste abgestreift.
Er ist ein Individuum geworden, er hat sein Ge-
schick ganz in der eigenen Hand.
Dieser neue Zeitgeist spiegelt sich notwendig
auch im Wohnen. Man zieht von Straße zu Straße,
von Stadt zu Stadt, bald, weil die Stelle des Er-
werbs wechselt, oft auch nur aus Laune, aus ner-
vöser Unrast. Und mancher besitzt schon kein
Heim mehr, er logiert im Hotel, er schläft im
D-Zug, im Auto. — Transportabel muß darum alles
sein, was der Mensch zu seinem Nomadenleben
braucht. Das Möbel, das Mietwohnungsmöbel
ist gerade charakteristisch für unsere Kultur. Es ist
verwunderlich, daß sich der Ehrgeiz der Architekten
immer wieder auf die Zimmerarchitektur wirft. Die
Wand wird geteilt, geknickt, getäfelt. Es werden
Säulen gesetzt, der Erker wird »ausgebaut«, und
ein Komplex von Möbelbauten zieht sich die Wände
entlang, aus dem nur eingehende Prüfung die Teile
(Schrank, Kamin, Spiegel, Sofa, Kandelaber usw.)
herausfinden kann. Man sieht oft, wie der Architekt
nach neuen Baugruppen und Kuppelungen dieser
Art krampfhaft gesucht hat. Und das wirkt dann
alles so festgemauert, so unverletzlich und unan-
tastbar, es sitzt so exakt wie auf einer Zeichnung.
Selbst der Tisch in der Mitte mit den Stühlen ist
ein Stück Architektur geworden, eine Gebäude-
gruppe, die mit dem Platz untrennbar verwachsen ist.
Diese Räume schmecken viel zu sehr nach dem
Architekten. Aber im Eigenhaus mögen sie noch
einigermaßen am Platze sein. Wie das Leben des
Menschen mit diesem Haus verwachsen ist, könnens
auch die Möbel sein. Obwohl z. B. die Bieder-
meierzeit, wo doch noch die meisten Familien das
eigene Heim bewohnten, diese Einbauerei nicht
kannte. Jedes Möbel war da, wie es natürlich ist,
eine Sache für sich. Höchstens führte mal eine
primitive Holzbank an den Wänden herum. Aber
recht böse wird die Sache, wenn solche Möbel-
Kuppelungen für das Miethaus fabriziert werden.
1910. VIII. 1.
DARMSTADT.
AUGUST 1910.
MÖBEL UND RÄUME DER MIETWOHNUNG.
VON ANTON JAUMANN — HERLIN.
Eingebaute Möbel« gibt es nicht. Schon der
Sinn des Wortes spricht dagegen. Es war
aber auch eine Verwirrung der Begriffe und ein
grundsätzlicher Irrtum, als unsere Architekten in
so großem Umfang die Mode des Einbauens auf-
nahmen. Das gesamte moderne Leben beruht auf
dem Prinzip der Freizügigkeit und der weitgehend-
sten Gliederung. Fast alle Dinge haben sich von
der festen Scholle gelöst und sind in den Fluß des
Kapitals geraten. Ebenso hat der Mensch die
Fesseln der Zunft, der Sippe, der Kaste abgestreift.
Er ist ein Individuum geworden, er hat sein Ge-
schick ganz in der eigenen Hand.
Dieser neue Zeitgeist spiegelt sich notwendig
auch im Wohnen. Man zieht von Straße zu Straße,
von Stadt zu Stadt, bald, weil die Stelle des Er-
werbs wechselt, oft auch nur aus Laune, aus ner-
vöser Unrast. Und mancher besitzt schon kein
Heim mehr, er logiert im Hotel, er schläft im
D-Zug, im Auto. — Transportabel muß darum alles
sein, was der Mensch zu seinem Nomadenleben
braucht. Das Möbel, das Mietwohnungsmöbel
ist gerade charakteristisch für unsere Kultur. Es ist
verwunderlich, daß sich der Ehrgeiz der Architekten
immer wieder auf die Zimmerarchitektur wirft. Die
Wand wird geteilt, geknickt, getäfelt. Es werden
Säulen gesetzt, der Erker wird »ausgebaut«, und
ein Komplex von Möbelbauten zieht sich die Wände
entlang, aus dem nur eingehende Prüfung die Teile
(Schrank, Kamin, Spiegel, Sofa, Kandelaber usw.)
herausfinden kann. Man sieht oft, wie der Architekt
nach neuen Baugruppen und Kuppelungen dieser
Art krampfhaft gesucht hat. Und das wirkt dann
alles so festgemauert, so unverletzlich und unan-
tastbar, es sitzt so exakt wie auf einer Zeichnung.
Selbst der Tisch in der Mitte mit den Stühlen ist
ein Stück Architektur geworden, eine Gebäude-
gruppe, die mit dem Platz untrennbar verwachsen ist.
Diese Räume schmecken viel zu sehr nach dem
Architekten. Aber im Eigenhaus mögen sie noch
einigermaßen am Platze sein. Wie das Leben des
Menschen mit diesem Haus verwachsen ist, könnens
auch die Möbel sein. Obwohl z. B. die Bieder-
meierzeit, wo doch noch die meisten Familien das
eigene Heim bewohnten, diese Einbauerei nicht
kannte. Jedes Möbel war da, wie es natürlich ist,
eine Sache für sich. Höchstens führte mal eine
primitive Holzbank an den Wänden herum. Aber
recht böse wird die Sache, wenn solche Möbel-
Kuppelungen für das Miethaus fabriziert werden.
1910. VIII. 1.