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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 21.1910

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Westheim, Paul: Das Kerkau-Café von Bruno Paul
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https://doi.org/10.11588/diglit.11378#0388

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XXI. JAHRGANG.

DARMSTADT.

OKTOBER 1910.

DAS KERKAU-CAFE VON BRUNO PAUL.

VON PATT. WESTHEIM —BERLIN.

Vom Equitable-Palast zum Kerkau-Gebäude.
Damit könnte man kurzweg den Weg
bezeichnen, den die Erneuerung Berlins jetzt
nimmt. Der Equitable-Palast an der Kreuzung
der Leipziger- und Friedrichstraße, den die Kerkaus
nun verlassen haben, ist entstanden als riesiges
Prachtstück, das bis tief in die Provinz hinein Staunen
erregt hatte. Welcher Aufwand reckte sich da empor,
was kribbelte und krabbelte da alles an den Mauern
und Gesimsen und nun, noch ehe dreißig Jahre ver-
gangen sind, wird die ganze Herrlichkeit über die
Achseln angesehen. Messels Wertheimbau, der wie
ein Postulat architektonischer Monumentalität an
den Eingang der Leipzigerstraße gestellt ist, hat
jene Scheinarchitektur von gestern außer Kurs ge-
setzt. Wer von da aus den Weg nach der Innen-
stadt nimmt, verspürt auf Schritt und Tritt eine
rastlos betriebene Erneuerung. Ein Nebeneinander
von absinkenden und frisch emporschießenden
Werten entsteht. Und vielleicht war diese Nachbar-
schaft des Gestrigen und Morgigen nie so pittoresk wie
heute, weil keine Epoche das Werk der Väterzeit mit
so leidenschaftlicher Heftigkeit ablehnen mußte wie
wir. Sicherlich ist vieles, was da heute wird, nicht
gerade begeisternd, aber es sucht seine Wirkung

durch ehrlicheres Wollen und mit reinlicheren Mitteln
zu erreichen. Es ist mehr Anständigkeit bei
den Gestaltern und in ihren Leistungen.

An dem Cafehaus großen Stiles, wie es in
Berlin noch häufig genug anzutreffen ist, haben
sich auch früher die Künstler versucht. Aber immer
nur auf äußerliche Art. Sie schmückten die Wände
mit großen Leinwänden, mit Patriotismus, schwer-
blütigem Genre oder Opernhauspathetik. Der Rest
blieb freies Feld für den Tapezier und seine Falten-
künste. Das Organische, das diesen Stätten einer
behaglichen Nonchalance den ordnenden Halt gibt,
blieb ungeklärt. Als Bruno Paul sich an die
Innenausstattung des Kerkau-Cafes machte,
stand er vor einer ganz neuen Aufgabe.....

Das Cafehaus zählt vielleicht zu den Erschei-
nungen, die auf die Passivseite der modernen Kultur
gehören. Die aufgepeitschten Nerven, die gesteigerten
Arbeitslasten, die Daseinsnöte treiben den modernen
Stadtmenschen in jenes buntige Gemisch von Cafe-
düften, Zigarettenrauch, geputzten, schwatzhaften
Menschen, Lichterglanz und anspruchsloser Musik.
Es wäre töricht vom Raumkünstler hier jene erlesene
Kultiviertheit zu erwarten, die aus einem behäbigen
Wohngelaß oder einer auf weltmännische Eleganz

1910. x. 1.
 
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