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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 21.1910

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Michel, Wilhelm: Neue Tendenzen im Kunstgewerbe
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https://doi.org/10.11588/diglit.11378#0145

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INNEN-DEKORATION

NEUE TENDENZEN IM KUNSTGEWERBE.

Im Anfange der kunstgewerblichen Bewegung ward von
dieser gesprochen in einer Terminologie, die
sonst nur bei ethischen ; Fragen angewendet wird.
Die Hauptargumente gegen das Alte waren die Ver-
logenheit seiner Konstruktion und sein Materialschwindel.
Die Hauptargumente für das Neue lagen in der Red-
lichkeit seiner Konstruktion und in seiner Material-
ehrlichkeit. Wer diese theoretischen Waffengänge zu-
gunsten der kunstgewerblichen Revolution verfolgte,
konnte manchmal glauben, hier platzten zwei feindliche
Weltanschauungen oder Religionen, nicht aber bloß
zwei feindliche gewerbliche Richtungen aufeinander.

Oder war es in Wahrheit so ? Ist man berechtigt,
den Kampf zwischen Alt und Neu im Kunstgewerbe
als einen Kampf zweier Weltanschauungen aufzufassen?
Etwa als den Sturmlauf eines jungen, lebendigen
Protestantismus gegen die Starrheit und Leblosigkeit
einer vernüchterten Orthodoxie? Es hat manches für
sich. Denn auf den Standarten, mit denen die kunst-
gewerblichen Neuerer ins Feld zogen, standen ethische
Werte, standen die Namen >Wahrheit« und »Gesetz-
mäßigkeit«. Sie enthielten eigentlich das revolutionäre

Prinzip, sie kennzeichneten kurz und präzis das Wesent-
liche des Gegensatzes, der das Neue vom Alten • trennte.

Sittliches Pathos trieb die Künstler in den Kampf
und stärkte ihre Positionen gegenüber den feindlichen
Angriffen. Welche Leitsätze galten für das kunst-
gewerbliche Schaffen? Diejenigen, die in den drei
Stichworten »Materialgemäß, konstruktiv und zweck-
mäßig« liegen. Sind das Kennzeichnungen einer künst-
lerischen Tätigkeit? Wohl kaum. Es sind Bezeichnungen
praktischer und ethischer Werte. Sie sagen nicht das
Mindeste darüber aus, welchen Standpunkt diese Zeit
gegenüber dem Problem der künstlerischen Gestaltung
eingenommen habe. Das galt vorerst als Nebensache.

Der springende Punkt der Neuerung lag in der G e-
sinnung des Möbels. Die Praxis wie die Theorie des
Kunstgewerbes waren nur darauf erpicht, den neuen
moralischen Werten zur Darstellung zu verhelfen. Die
künstlerische Seite des Problems kam in zweiter Linie.

Nun, siegreiche Revolutionen sind keine Re-
volutionen mehr. Hat ein revolutionäres Schlagwort
Erfolg gehabt, so ist der Höhepunkt seiner Herrschaft
und seiner Schlagkraft auch vorüber. Schon auf der

1910. in. 2.
 
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