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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 38.1922-1923

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Heilmeyer, Alexander: Wasser und Brunnen in alter und neuer Symbolik
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https://doi.org/10.11588/diglit.14165#0131

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E. MAYER-FASSOLD

PFEILERSCHMUCK FÜR DIE REICHENBACHBRÜCKE IN MÜNCHEN

Die antiken sinnbildlichen Beziehungen zur
Natur konnten ihren Sinn nur behalten, so-
lange eine allgemein anerkannte und gültige
Weltanschauung hinter diesen Bildern stand.
Im selben Augenblicke, wo an Stelle des Mythus
überhaupt das Naturgesetz trat, mußten diese
Vorstellungen erlöschen und an lebendiger Wir-
kung einbüßen. Mit der Symbolik des Wassers
ergeht es dem modernen, naturwissenschaftlich
gerichteten Menschen wie der Dichter sagt:

Wie Wein von einem Chemikus,
Durch die Retort getrieben,
Zum Teufel geht der Spiritus,
Das Phlegma ist geblieben.

An Stelle der alten Bildersymbolik steht heute
H 2 O, und auf Hydranten und Wasserhähnen
das Wellenband mit einer Zahl Nr. 3005. Aus
diesen Formeln kann kein Künstler mehr bild-
lich Anregungen schöpfen und eine neue Sym-
bolik des Wassers gestalten.

Und doch ist die alte Tradition noch nicht
ganz verlorengegangen. Der Sinn für die Poesie
des Wassers hat sich auch in unserer neuer-
dings doch so naturfreudigen Zeit noch lebendig
erhalten. Die schöpferische Phantasie behauptet
nach wie vor ihre Rechte und läßt sich die
Freude am Spiel der Wasser und an ihrer
poetischen Ausgestaltung nicht rauben. Auch
die modernen Künstler empfinden darin wie die

alten. Es ist nur der Bezirk und die Möglich-
keiten der Darstellung sehr viel beschränkter
geworden. Doch lebt an Quell und Brunnen
noch etwas von jener Welt fort, noch schwebt
dort heimlich der Geist über den Wassern und
webt Maja ihre täuschenden Schleier. Uralte
Mythen und Sagen in Märchen und Liedern
leben auf und verdichten sich in der Phantasie
des Künstlers, der dem Sang der Geister über
den Wassern lauscht, zu fast bildlich faßbaren
Gesichtern, Figuren und Gestalten.

Das Wasser als das ewig Fließende ist das
Sinnbild des Lebens:

Des Menschen Seele
Gleichet dem Wasser,
Vom Himmel kommt es,
Zum Himmel steigt es
Und wieder nieder
Zur Erde muß es —
Ewig wechselnd.

So hat auch der Rhythmus des Wassers für
den modernen Menschen eine faszinierende
Eigenschaft und Wasserspiele und Brunnen
mag er deshalb nicht gerne missen. Der Plastik
freilich ist dieses Gefühl selbst fremd, denn es
löst jeden festen Körper und verflüchtigt ihn
in Sehnsucht und Ferne. Aber es besteht ein
harmonischer Einklang zwischen der Nähe und
Ruhe der Plastik und dem Rhythmus des

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