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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 3.1923

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Heft 5 (September 1923)
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Thetter, Friedrich: Entwurf eines neuen Lehrplanes
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Thetter, Friedrich: Bericht an das Unterrichtsministerium über die probeweise Durchführung eines neuen Lehrplanes
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https://doi.org/10.11588/diglit.22197#0094

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worfene nichk willkürlich an irgend eine Stelle der
Zeichenfläche gesetzt werden, sondern in sester
Bindung alä Einzeldarstellung oder init andern in
einer gegedenen oder erst hinzugefügten Begrenzung,
so datz nicht wie im Naturaliämus die „zufällige"
Erscheinung reproduziert wird, sondern datz
daä Wesentliche der Erscheinung in „gesetzmätziger"
Form und Anordnung als Produktion, als
aktive Leistung zum Ausdruck gebracht wird.
Nicht also die bildliche Wiedergabe, der beschrei-
bende, erzählends, schildernde Znhalt in seinem
naiuralistischen Charakier soll das Hauptmoment in
der Darstsllung bilden, sondern es soli dies das
umgeschaffene, äutzerlich a!s Motiv gegebene
bilden, umgeschaffen Lurch allseiiigs Befreiung oom
Zufäliigen (als Typus) und allseitige Gebundenheit
(in der Gesetzlichkeit) so also in seinem „Sinn" ver-
stärkt durch dis Ergensprache der Ausdrucksele-
mente und in allseitiger Gesetzlichkeit vor-
bereitek, betont, getragen. Diese Skeigerung
im motivlichen und im künstlerischen Ausüruck wird
ermöglicht durch die in den zuerst geschildsrten
Lbungen erkannten und mik der Zeit geläufig ge-
wordenen Ausdruckselemsnte, die dem Schüler zur
Formen- bezw. Farbensprache geworden
sind einerseits — durch das langsame Beherrschen
der Gesetze der Anordnung, die den Zusammenklang
bedingen, anderseils.

Zu diesen beiden Arten von Äbungen kommen noch
die ornamentalen tlbungen hinzu, deren einfache,
strenge Prinzipien der Komposition hineingekragen
werden in die mehr ineinandergreifenden bis ins
Unfatzbare in ihrem Wirken sich steigsrnden Gestal-
tungsprinzipien bei den freien gegenständlichen llnd

figuralen Komposikionen, wodurch eins gewisse
Strenge und Behertschung in die Darstellung ge-
bracht wird, was ein unbedingkes Erfordernis jeder
künstlerischen Leistung ist. — Diese in den Arbeiten
immer gewahrks, bis auf einen einfachen
Klang zurückgsführte innere Gesehlichkeit, dis den
Charakter der Beherrschung und Beschränkung den
Arbeiten einprägt, macht dann das Wesen dessen
aus, was man „Stil" nennt
Was im Fortgang der Unterrichtsmekhode, im
Nacheinanüer, das Leitende war, wird bei den fort-
geschrittenen Schülern auch das Leikende bei seder
einzelnen Arbeit sein: Beginn der Arbeit im freien
Spiel der Unbewußtheit, im rein schöpferischsn Ele-
ment — also Ungebundenheit, Unkontrolliertheit beim
ersten Entwurf, dann ein sich Belehrenlasfen, sich
Sagenlassen von dem so Gewordenen und ein Sich-
selbstdeobachten, ein Sichselbstzusehen gewissermatzen' ,
im Fortgang der Arbeit, dabei Steigerung des Enk- ,
worfenen in der Betonung des Mesenklichen und M l
der Harmonisierung mit den bereits sür das Bewutzk-
sein erworbenen Mitteln — also: Heraufheben des
„Zufälligen" (des äußsrlich Gegebenen) zum Typi-
schen, zur Idee und Hineinstellen des Dargeskellken
und seiner Einzslheiken in eine Gesehmäßigkeik, in
eine höhere, allgemeine Einheik, die ein Kunstwerk
als solches immer darstellt. —

Ms Bundesministerium für Unterrichk forderte
den Aukor dieses Entwurfes zur probeweisen Durch-
führung des Lehrplanes und zur Berichterschtkung
Lber seine Erfahrungen auf. Nachskehend der Be-
richt an das Unkerrichtsministerium über dis probe-
weise Durchführung.

Bericht an das AnterrichLsministerium über die probeweise

Durchführung eines neuen Lehrplanes ,

Es bestehk für mich die Gefahr, daß das Folgende
als Schwärmerei, lldeologie aufgefaßt wird. Ein
intimeres Eingshen auf das hier Dargelegte wird
vielleicht zu ernsten Anregungen führen.

llch habe im Laufe meiner langjährigen Lehrtäkig-
keii immer und immer wieder die Beobachtung
machen können, datz die Schüler in einem gewisfen
Alter eine Fähigkeit verliersn, die für das Leben
des Menschen von großer Bedeutung ist.

Den meisten Menschen fehlt heute der Glaube an
stch, an ihre innerste persönliche Veranlagung und
die Fähigkeik, aus der aus dem Selbstvertrauen auf
diese individuelle Beranlagung quettenden Sicherheik
und Freude, in jeder Lage des Lebens wirkend, um-
fassend tätig zu sein. Auch im niedersten Beruf kann
man in diesem Sinne tätig sein. Man beachte, wie
der eine Arbeiker, sich Sklave fühlend, unwillig seine
Arbeit verrichtek, weil er ganz und gar abhängig
von den Anordnungen etnes andern ist und wie der
Andere gar stolz und zusrieden sein kann, wenn es
ihm gegönnk ist, selbst im kleinsten Rahmen auf sich
gestellt zu sein. — Auch den nichkigsken Begeben-
heitsn dss Tages gegenllbsr kann man Menschen
sehen, ratlos, mutlos, singeschüchtert, verzweifelt, vor
neus Entscheidungen gestellt zu sein, unfähig einer
Entscheidung, einer Tat. Sie suchen in solchen
Augenblicken Aat bel andern oder suchen in ihrem

Gedächtnis nach einstmal erhalkenen Aakschlägen,
Lshren, Borschriften: schwerfällig durch Normen
beschränkk trren sie durch das Leben. Itnd andere
Menschen kann man sehen, immer wach, immer rsgc,
immer tätig, in der freudig bewußken Agilikäk und
Labilitäk immer fähig, aus der aus Tatentschlossen-
heit und Amsichk resultterenden Klarheit des Bewußt-
seins in schwierigen Sikuationen, das für den Augen-
blick oder die Zeit Entsprschendske zu ' kun. Man
wird sagen, das sei Bsranlagung — ganz gswitz —
unü doch hat jeder Mensch in einer Seike seines
Wesens ekwas von dieser Fähiakeit. Auf diese
möchte ich die Ausmerkfamkeik lenken. Es handekk
sich, um allgsmein zu sprechen, um das Schöpferische
im Menschen.

Fm Kind nun ist Freude an der Tätigkeit, am
Gestalten, an der Bekäkigung seiner Phankafle, es
gebraucht spielend seine Fähigkeiten und Kräfke. Es
freut sich vor allem an der Tätigkeik, nichtam
Fertigen; spielend wandelt es dieses immer wie-
der um, immer zu neuen Wirkiichkeiken, immer zum
Ausdruck oon dem, was der jeweiligen Entwicklungs-
stufe entspricht. — lln dsr persönlichen Auseinandcr-
sehung mit dsn Dingen der Welk erlebk es sich: so,
spielend schaffend, steigert es seine Qualikäten und
erlangk ein lebendiges Wissen von den Dingen seiner
Itmgebung. Es würöe zu weit führen, hinzuleiksn
 
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