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Mctzsche über die Melleserei. Metzsche hat immer
gegen das viele Lesen geeifert und selbsk wenig
gelesen. Die Krankheit hat ihn dazu gezwungen,
und er ist ihr Lafür dankbar gewesen. Die Ab-
nsigung gegen die Melleserei hatte er, wie wohl
beinahe seder sehr schöpferische Mensch, von Natur.
Schon 1873, also auä Basel, schreibt er an
Maloida von Meysenbug: „3ch habe von Zeit zu
Zeit eine kindische Abneigung gegen bedrucktes
Papier, das mir üann nur wie beschmutztes Papier
gilt." Es ist sein immer zur Tat drängender, nach
Taten ausschauender Lebensernst, der diese Ab-
neigung hervortreibt. Denn er fährt fort: „stch kann
mir wohl eine Zeib denken, in der man es vorzieht,
wenig zu lsssn, noch weniger zu schreiben, aber viel
zu denken und noch viel mehr zu tun. Denn alles
wartet jetzt auf den handelnden Menschen, der jahr-
tausendealte Gewohnheiten von sich und anderen
abflreist und es beffer vormacht, zum Nachmachen."
Laffen wir uns von Aietzsche selbfl auch die Gefahr
des übermätzigen Lesens vormalen, zu dem unsere
Gelehrtenkulkur verführt. -Er schreibt im „Eccs
homo": „Der Gelehrte, der im Grunde nur noch
Bücher wälzt — der Philologs mit mäßigem Ansatz
des Tages ungefähr zweihundert — verliert zuletzt
ganz und gar das Berinögen, von sich aus zu den-
ken. WSlzt er nicht, so denkt er nicht. Er ankwortet
auf einen Neiz — einen gelesenen Gedanken —
wenn er denkt, — er reagisrt zuletzt bloß noch. Der
Gelehrie gibk seine ganze Krast im 3a- und Nein-
sagen, in der Kritik von bereiks Gedachtem ad, —
er seiber denkt nicht mehr. Der stnfiinkt der Selbst-
serkeidigung ist bei ihm mürbe geworden: im anderen
Falle würde er sich gegen Bücher wehren. Der Ge-
lehrts — ein decadent. Das habs ich mik Augen
gesehen: begabte, reich und stei angelegte Raturen
schon in den dreißiger Iahren „zu Schanden gelesen",
bloß noch Streichhölzer, die man reiben muß, damii
sie Funken-Gedanken geben. — Fcühmorgens beim
Anbruch des Tages, in aller Frische, in der Morgen-
röke seiner Krast, ein Buch lssen — das nsnne ich
lasterhast!"
So redet der schöpferische Geist, der überhaupt nicht
viel lesen kann, weil die Leikungen seines Gehirns
gewöhnlich von innen her beseht sind oder, wenn dies
nichk der Fall ist, auf die Mitkeilungen von autzen
immer bald von innen erwidert wird. Aber auch wer
nicht so geartet ist, sondern lange lesend aufnehmen
kann, ohne daß ihm eigene Gedanken dazwischen-
fahren, soüte die Warnung des großen Gegners der
„Literakur" beherzigen, damit ihm nicht die be-
scheidene Denkkraft, dis er besitzt, durch vielss Lesen
noch mehr verringert werde. Denn dah das geschehen
kann nnd oft geschiehk, ist so gewiß, wie daß die
tätige Krast des Körpers durch aüzu reichliche Nah-
rungsaufnahme geschwächt werden kann. Es wird
heuke bei uns viel zu viel gelesen. Wir leiden
tzeistig fafl sämklich an überladenem Magen und dem-
zufolge an verminderter Denk- und Gestaltungskrast.
Die gräßiiche Gedankenlosigkeik der gebildeten
Menge, jhr krauriger Mangel an Eigenart und
Arsprünglichkeit, dsr sie jsdsm Phrasenmacher aus-
liefert und jede „öffentliche Meinung" annshmen und
nachschwatzen läßt, ist in der Hanpksache eine Mir-
kung der allgemeinen Zeikungsleserei. Man beurkeilt
die Kulkur eines Boikes nach der Anzahl seinsr
AnalphadeteM Und sicherlich beweist eine hohe Anal-
phabetenzisfer keine Kulkurhöhe. Aber wenn wir,
d. h. die Gebildeten, weniger Gebrauch machten von
unserer Kenntnis Les Alphabetes, so würde das
unserer „Gebildethei!" gewiß nichk schaüen.
Freilich, wie soll man ohne Bücher, ohne Zeikungen
unü Zeikschriften alles das erfahren, was „man"
heute nun doch einmal „wissen muß"? Ia, da liegt's!
„Man" muß heute erschrecklich viel wissen, was man
früher nicht zu wissen brauchte. Aber muß inan
wirklich? Was nötigt denn dazu? Nicht am Ende
bloß der allgemeine Glaube, daß es nötig sei? Dieser
Glaube, der eine Ausgeburt unsersr Gelehrkenkulkur
und demnach ein abw'ärtsfllhrender Wahn ist? Ach,
könnte man dissen Wahn aus den Köpfen tilgsn, —
es stünde besser um unsere ganze Kultur!
Aus Nietzsche ats Grzieher von Martin
Hav errstein. <E. S. Mittler n. Sohn. Verlin).
M. 4H.—. Sine treiiliche Darstellung des Erziehe-
rischen in Nietzsches Persö»lichLeit und Schristen.
- ' V.
Buchbesprechrmgen
Albin Mildner, Dohna (Sachsen) lieferk
neuerdings wieder zwei Originaldrvcke. Eine Na -
dierung von Walker Zeising (Dresüen), der
„Dresdener Zwinger" und einen Holzschnitt von
A. Hofmann jSkolberg) „Chriskmetten im Crz-
gebirge". Der Preis für die zwei schönen Blätker
beträgk 6M Mark, einzeln 400 und 200 Mark. 3eder,
der die Materialpreise kennt, weih, daß mit diesen
Beträgen kaum die Papier- und Druckkosten behoben
stnd. Nur bei zahlreicher Beteiligung kann sich ein
derartiges Ankernehmen heutzutage noch halken. H. K.
Beihesie zur Zeikschrifk: „Schassenüe Arbeik und
Kunfi in der Schule." (Berlag Ä. Haase, Leipzig).
Nr. 12. Das Zeichnen im Erdkunde- '
unkerricht von Hans Plecher, München. (2. Auf-
lage.) 3n schlichter Weise werden die vielen Ber-
wendungsmöglichkeiten des Zeichnens im Erdkunde-
unterricht besprochen. „Das Zeichnen muß seiner
isolierien Stellung als Ankerrichksfach enthoben und
zum Anterrichtsgrundsah befördert werden, wenn es
seine voile Wirkung erhaiken soll . . . Es muß gleich
dem mundüchen und schrisüichen Ausdruck den
Gesamtunterrichk durchdringen. Es muh zur Sprache
werden, znr sichtbaren Sprache, die durch keinen
hörbaren Ausdruck in ihrer Eigenart ersetzt werden
kann." (Dr. Weber.) Derartige Schristen sinü nns
besonders wertvoll, auch deshalb, weil hier vcn
anderer Seits als der rein fachmännischen das
Problem der Bildsprache für die Schule zu klären
versucht wird.
Nr. 23. Kunsterziehung durch die
Schule von Fachlehrer F. Hein. Ein Bersuch, das
neue Ziel zu erreichen für höhere Bolksschulen unter
Hinweis auf die wertvollen farbigen Heimatbilder des
Berlags Haase. Der Berfasser hat das Ziel klar vor
Augen, wenn er sagt: „Wir müssen die Kinder
hungrig machen nach der echien Kunst."
Nr. 44. ZurSammlungvonmodernem
Zeichenmaterial von A. Fritsche (2. Auflage.)
Heute, da das Vorstellungszeichnen mehr und mehr
Einzug hält in unssren Schulen, ist man glüäilichec-
weise dieser riesigen Sorge der Lehrmittelsammlungen
in dem weiten Amfange, wie es der alte Kopier-
Mctzsche über die Melleserei. Metzsche hat immer
gegen das viele Lesen geeifert und selbsk wenig
gelesen. Die Krankheit hat ihn dazu gezwungen,
und er ist ihr Lafür dankbar gewesen. Die Ab-
nsigung gegen die Melleserei hatte er, wie wohl
beinahe seder sehr schöpferische Mensch, von Natur.
Schon 1873, also auä Basel, schreibt er an
Maloida von Meysenbug: „3ch habe von Zeit zu
Zeit eine kindische Abneigung gegen bedrucktes
Papier, das mir üann nur wie beschmutztes Papier
gilt." Es ist sein immer zur Tat drängender, nach
Taten ausschauender Lebensernst, der diese Ab-
neigung hervortreibt. Denn er fährt fort: „stch kann
mir wohl eine Zeib denken, in der man es vorzieht,
wenig zu lsssn, noch weniger zu schreiben, aber viel
zu denken und noch viel mehr zu tun. Denn alles
wartet jetzt auf den handelnden Menschen, der jahr-
tausendealte Gewohnheiten von sich und anderen
abflreist und es beffer vormacht, zum Nachmachen."
Laffen wir uns von Aietzsche selbfl auch die Gefahr
des übermätzigen Lesens vormalen, zu dem unsere
Gelehrtenkulkur verführt. -Er schreibt im „Eccs
homo": „Der Gelehrte, der im Grunde nur noch
Bücher wälzt — der Philologs mit mäßigem Ansatz
des Tages ungefähr zweihundert — verliert zuletzt
ganz und gar das Berinögen, von sich aus zu den-
ken. WSlzt er nicht, so denkt er nicht. Er ankwortet
auf einen Neiz — einen gelesenen Gedanken —
wenn er denkt, — er reagisrt zuletzt bloß noch. Der
Gelehrie gibk seine ganze Krast im 3a- und Nein-
sagen, in der Kritik von bereiks Gedachtem ad, —
er seiber denkt nicht mehr. Der stnfiinkt der Selbst-
serkeidigung ist bei ihm mürbe geworden: im anderen
Falle würde er sich gegen Bücher wehren. Der Ge-
lehrts — ein decadent. Das habs ich mik Augen
gesehen: begabte, reich und stei angelegte Raturen
schon in den dreißiger Iahren „zu Schanden gelesen",
bloß noch Streichhölzer, die man reiben muß, damii
sie Funken-Gedanken geben. — Fcühmorgens beim
Anbruch des Tages, in aller Frische, in der Morgen-
röke seiner Krast, ein Buch lssen — das nsnne ich
lasterhast!"
So redet der schöpferische Geist, der überhaupt nicht
viel lesen kann, weil die Leikungen seines Gehirns
gewöhnlich von innen her beseht sind oder, wenn dies
nichk der Fall ist, auf die Mitkeilungen von autzen
immer bald von innen erwidert wird. Aber auch wer
nicht so geartet ist, sondern lange lesend aufnehmen
kann, ohne daß ihm eigene Gedanken dazwischen-
fahren, soüte die Warnung des großen Gegners der
„Literakur" beherzigen, damit ihm nicht die be-
scheidene Denkkraft, dis er besitzt, durch vielss Lesen
noch mehr verringert werde. Denn dah das geschehen
kann nnd oft geschiehk, ist so gewiß, wie daß die
tätige Krast des Körpers durch aüzu reichliche Nah-
rungsaufnahme geschwächt werden kann. Es wird
heuke bei uns viel zu viel gelesen. Wir leiden
tzeistig fafl sämklich an überladenem Magen und dem-
zufolge an verminderter Denk- und Gestaltungskrast.
Die gräßiiche Gedankenlosigkeik der gebildeten
Menge, jhr krauriger Mangel an Eigenart und
Arsprünglichkeit, dsr sie jsdsm Phrasenmacher aus-
liefert und jede „öffentliche Meinung" annshmen und
nachschwatzen läßt, ist in der Hanpksache eine Mir-
kung der allgemeinen Zeikungsleserei. Man beurkeilt
die Kulkur eines Boikes nach der Anzahl seinsr
AnalphadeteM Und sicherlich beweist eine hohe Anal-
phabetenzisfer keine Kulkurhöhe. Aber wenn wir,
d. h. die Gebildeten, weniger Gebrauch machten von
unserer Kenntnis Les Alphabetes, so würde das
unserer „Gebildethei!" gewiß nichk schaüen.
Freilich, wie soll man ohne Bücher, ohne Zeikungen
unü Zeikschriften alles das erfahren, was „man"
heute nun doch einmal „wissen muß"? Ia, da liegt's!
„Man" muß heute erschrecklich viel wissen, was man
früher nicht zu wissen brauchte. Aber muß inan
wirklich? Was nötigt denn dazu? Nicht am Ende
bloß der allgemeine Glaube, daß es nötig sei? Dieser
Glaube, der eine Ausgeburt unsersr Gelehrkenkulkur
und demnach ein abw'ärtsfllhrender Wahn ist? Ach,
könnte man dissen Wahn aus den Köpfen tilgsn, —
es stünde besser um unsere ganze Kultur!
Aus Nietzsche ats Grzieher von Martin
Hav errstein. <E. S. Mittler n. Sohn. Verlin).
M. 4H.—. Sine treiiliche Darstellung des Erziehe-
rischen in Nietzsches Persö»lichLeit und Schristen.
- ' V.
Buchbesprechrmgen
Albin Mildner, Dohna (Sachsen) lieferk
neuerdings wieder zwei Originaldrvcke. Eine Na -
dierung von Walker Zeising (Dresüen), der
„Dresdener Zwinger" und einen Holzschnitt von
A. Hofmann jSkolberg) „Chriskmetten im Crz-
gebirge". Der Preis für die zwei schönen Blätker
beträgk 6M Mark, einzeln 400 und 200 Mark. 3eder,
der die Materialpreise kennt, weih, daß mit diesen
Beträgen kaum die Papier- und Druckkosten behoben
stnd. Nur bei zahlreicher Beteiligung kann sich ein
derartiges Ankernehmen heutzutage noch halken. H. K.
Beihesie zur Zeikschrifk: „Schassenüe Arbeik und
Kunfi in der Schule." (Berlag Ä. Haase, Leipzig).
Nr. 12. Das Zeichnen im Erdkunde- '
unkerricht von Hans Plecher, München. (2. Auf-
lage.) 3n schlichter Weise werden die vielen Ber-
wendungsmöglichkeiten des Zeichnens im Erdkunde-
unterricht besprochen. „Das Zeichnen muß seiner
isolierien Stellung als Ankerrichksfach enthoben und
zum Anterrichtsgrundsah befördert werden, wenn es
seine voile Wirkung erhaiken soll . . . Es muß gleich
dem mundüchen und schrisüichen Ausdruck den
Gesamtunterrichk durchdringen. Es muh zur Sprache
werden, znr sichtbaren Sprache, die durch keinen
hörbaren Ausdruck in ihrer Eigenart ersetzt werden
kann." (Dr. Weber.) Derartige Schristen sinü nns
besonders wertvoll, auch deshalb, weil hier vcn
anderer Seits als der rein fachmännischen das
Problem der Bildsprache für die Schule zu klären
versucht wird.
Nr. 23. Kunsterziehung durch die
Schule von Fachlehrer F. Hein. Ein Bersuch, das
neue Ziel zu erreichen für höhere Bolksschulen unter
Hinweis auf die wertvollen farbigen Heimatbilder des
Berlags Haase. Der Berfasser hat das Ziel klar vor
Augen, wenn er sagt: „Wir müssen die Kinder
hungrig machen nach der echien Kunst."
Nr. 44. ZurSammlungvonmodernem
Zeichenmaterial von A. Fritsche (2. Auflage.)
Heute, da das Vorstellungszeichnen mehr und mehr
Einzug hält in unssren Schulen, ist man glüäilichec-
weise dieser riesigen Sorge der Lehrmittelsammlungen
in dem weiten Amfange, wie es der alte Kopier-