Deutsche Blätter für Zeichen-Kunst- und Werkunterricht
ZeLtschrkft dss Rekchsverbandes akademkscher Zekchenlshrse
des Nekchsverbandes akademkscher Zeichenlehrerknnen
Vsrantwortlich für die Schriftleitung: Professor Gustav Kolb, Göppingen
Druck und Verlag: Eugen Hardt G. m. b. H. Stuttgart, Langestraße 18
3. Iahrgcmg . Iuli 1923 Heft 4
Inhalt: Aber schöpferische Arbeit im Zeichenunterricht. F. Müller. — Amgestaltung des Zeichnens eine
Kulturaufgabe. F. B. Dietl. — Kunstgeschichte und Mrttelschule. Dr. Ios. Popp. — Merkblatt für die
Studierenden des höheren Lehramts km Zsichen-- ünd Kunstunterricht. — Vom Bergenden ging ich aus.
Marta Wolfer. — Zeichenstunde keine Eckstunde. — Professor A. Hölzel zu seinem 70. Geüuristag. —
Verein württ. Zeichenlehrer. — Amschau. — Buchbesprechungen.
Rber schöpferische ArbeiL im Zeichenunterricht
. ^ Pon F. Müller (Kolberg). .
Es hat einmal jemand in einer öffentlichen Ver- die im Zeichenunkerricht verlangte schöpferische Arbeik
sammlung gesagt, man müsse gegen die Experimenks noch in der Grenze des Lehrbaren liegt, und daß fle
der Zeichenlehrer einschreiten wie der Verein gegen ihrem Mesen nach so geartet ist, daß jeder Durch-
Viviselrtion gegen dis Ouälerei der Versuchstiere in schnittsschüler sie leisten kann.
den wissenschastlichen Laborakorien. Der Redner war Es hat eine Zeit gegeben — wir können uns ihrer
der Meinung, dah viele Zeichenlehrer von heute den noch guk erinnern —, wo der Zeichenunkerricht in der
Schülern Aufgaben zumuten, die sie nichk leisten KSn- Schule mit der Kunsk nichts oder doch nur sehr enk-
nen und unter deren Last sie leiden wie die bedauerns- fernt zu kun hatte, und wieder ist eine Bewegung im
werten Kaninchen unter dem Messer des Anakvmen. Gange, die von einer Zeichen wisfenschaft sprichk
Zu diesen, von den Schülern nicht zu bewälkigenden statt von einer Zeichenkunst. Wie man auch den
Aufgaben rechnet man diejentgen, die ein freieS Ge- Ausdruck Zerchenwissenschast verstanden haben will:
stalten nach der „Empfindung" oder nach dem „Gefühl" rein schon seine Prägung zeigt die Tendenz, dem Vsr-
voraussetzen. Die schöpferische Arbeit auf Grund des stande dis Vorherrschast zu geben. Das kann nur
künstlerischen Gefühls ohne- die führende Rolle des geschehen auf Kosten der künstlerischen Momente: des
Intellekks und des beobachkenden Auges soll nach künstlerischen Gefühls und der schaffenden Phankasie,
besagker Meinung ein Martyrium für die Schüler rvobei freilich öie eine Seite, die verstandesmäßige,
sein. die ändere, die geftihlsmäßige, nicht ganz hinweg-
Zur Begründung wird angeführt, die schöpferische zudrängen braucht.
Arbeit im Zeichenunkerricht sei Kunst, und Kunst Es jst mik diesen beiden Seiken unseres Geistes, der
könne von den Schülern nicht verlangt werden, Kunst wissenschaftlichen und der künstlerischen, der inkellek-
lasse sich nichr lehren, nur das Handweck sei lehrbar. tuellen und der gesühlsmähigen, ein eigen Ding. ön
Wir wollen einmal erwägen, wie es um diese Sachs unserem Kampfe ums Dasein steht alles das an erster
fiehk, ob das künstlerische Schaffen in der Tat ein Stelle, was wir von den Dingen wissen, ihre Er-
Markyrium für die Schüler ist. fcheinungsform aber, dis in der bildenden Kunst zur
Zunüchsk woilen w!r nicht nur zugeben, sondern klar Geltung kommt und die von der WirklichkeiL manch-
aussprechen, daß das Schasfen aus dem künstlerischen mal sehr abweicht, spielk enkweder gar keine oder nur
Gefühl und aus der schöpferischen Phankasie nach elne sehr bescheidene Rolle. Das Wissen von den
allem, was wir unter dem Begrifs Kunst verstehen, Dingen beherrscht den Geist und hindert dessen
tatsächlich Kunst !st. Wir wollen auch keinen Zweifes Werkzeug, das Auge, die künstlerische Erscheinungs-
darüber lassen, daß die Grenzen des Lehrbaren nichk form zn sehen; andererseits führt es aber arrch das
gar so wsit gesteckt sind, daß vieles in der Kunst nicht Auge und schärft es, gewisse Einzelheiten der Umwelt
lehrbar ist uud daß gerade das Ldelste und Höchske sich geuau wahrzunehmen. So unlersiühen sich diese bei-
der schulmeisterlichen Behandlung enkzieht. Aber es den Seiten unseres Geistes, obwohl in natürlichem
geht der Wissenschast ebenso: auch von ihr ist nur das Gegensatz siehend, doch zuwsilen. öa d!e Wirklich-
Elementargebiet lehrbar; auch sie beginnt erst eigent- keitsvorstellungsn und die Bildvorstsllungpn müssen
lich da, wo die Schulweisheit nichk mehr hinreicht. sich ofkmals ergänzen, wenn in manchen Darstellungen
Zn unsecm Falle würde also nachzuwetsen sein, daß neben der künstlerischen Qualikät auch das Sachgemäße
ZeLtschrkft dss Rekchsverbandes akademkscher Zekchenlshrse
des Nekchsverbandes akademkscher Zeichenlehrerknnen
Vsrantwortlich für die Schriftleitung: Professor Gustav Kolb, Göppingen
Druck und Verlag: Eugen Hardt G. m. b. H. Stuttgart, Langestraße 18
3. Iahrgcmg . Iuli 1923 Heft 4
Inhalt: Aber schöpferische Arbeit im Zeichenunterricht. F. Müller. — Amgestaltung des Zeichnens eine
Kulturaufgabe. F. B. Dietl. — Kunstgeschichte und Mrttelschule. Dr. Ios. Popp. — Merkblatt für die
Studierenden des höheren Lehramts km Zsichen-- ünd Kunstunterricht. — Vom Bergenden ging ich aus.
Marta Wolfer. — Zeichenstunde keine Eckstunde. — Professor A. Hölzel zu seinem 70. Geüuristag. —
Verein württ. Zeichenlehrer. — Amschau. — Buchbesprechungen.
Rber schöpferische ArbeiL im Zeichenunterricht
. ^ Pon F. Müller (Kolberg). .
Es hat einmal jemand in einer öffentlichen Ver- die im Zeichenunkerricht verlangte schöpferische Arbeik
sammlung gesagt, man müsse gegen die Experimenks noch in der Grenze des Lehrbaren liegt, und daß fle
der Zeichenlehrer einschreiten wie der Verein gegen ihrem Mesen nach so geartet ist, daß jeder Durch-
Viviselrtion gegen dis Ouälerei der Versuchstiere in schnittsschüler sie leisten kann.
den wissenschastlichen Laborakorien. Der Redner war Es hat eine Zeit gegeben — wir können uns ihrer
der Meinung, dah viele Zeichenlehrer von heute den noch guk erinnern —, wo der Zeichenunkerricht in der
Schülern Aufgaben zumuten, die sie nichk leisten KSn- Schule mit der Kunsk nichts oder doch nur sehr enk-
nen und unter deren Last sie leiden wie die bedauerns- fernt zu kun hatte, und wieder ist eine Bewegung im
werten Kaninchen unter dem Messer des Anakvmen. Gange, die von einer Zeichen wisfenschaft sprichk
Zu diesen, von den Schülern nicht zu bewälkigenden statt von einer Zeichenkunst. Wie man auch den
Aufgaben rechnet man diejentgen, die ein freieS Ge- Ausdruck Zerchenwissenschast verstanden haben will:
stalten nach der „Empfindung" oder nach dem „Gefühl" rein schon seine Prägung zeigt die Tendenz, dem Vsr-
voraussetzen. Die schöpferische Arbeit auf Grund des stande dis Vorherrschast zu geben. Das kann nur
künstlerischen Gefühls ohne- die führende Rolle des geschehen auf Kosten der künstlerischen Momente: des
Intellekks und des beobachkenden Auges soll nach künstlerischen Gefühls und der schaffenden Phankasie,
besagker Meinung ein Martyrium für die Schüler rvobei freilich öie eine Seite, die verstandesmäßige,
sein. die ändere, die geftihlsmäßige, nicht ganz hinweg-
Zur Begründung wird angeführt, die schöpferische zudrängen braucht.
Arbeit im Zeichenunkerricht sei Kunst, und Kunst Es jst mik diesen beiden Seiken unseres Geistes, der
könne von den Schülern nicht verlangt werden, Kunst wissenschaftlichen und der künstlerischen, der inkellek-
lasse sich nichr lehren, nur das Handweck sei lehrbar. tuellen und der gesühlsmähigen, ein eigen Ding. ön
Wir wollen einmal erwägen, wie es um diese Sachs unserem Kampfe ums Dasein steht alles das an erster
fiehk, ob das künstlerische Schaffen in der Tat ein Stelle, was wir von den Dingen wissen, ihre Er-
Markyrium für die Schüler ist. fcheinungsform aber, dis in der bildenden Kunst zur
Zunüchsk woilen w!r nicht nur zugeben, sondern klar Geltung kommt und die von der WirklichkeiL manch-
aussprechen, daß das Schasfen aus dem künstlerischen mal sehr abweicht, spielk enkweder gar keine oder nur
Gefühl und aus der schöpferischen Phankasie nach elne sehr bescheidene Rolle. Das Wissen von den
allem, was wir unter dem Begrifs Kunst verstehen, Dingen beherrscht den Geist und hindert dessen
tatsächlich Kunst !st. Wir wollen auch keinen Zweifes Werkzeug, das Auge, die künstlerische Erscheinungs-
darüber lassen, daß die Grenzen des Lehrbaren nichk form zn sehen; andererseits führt es aber arrch das
gar so wsit gesteckt sind, daß vieles in der Kunst nicht Auge und schärft es, gewisse Einzelheiten der Umwelt
lehrbar ist uud daß gerade das Ldelste und Höchske sich geuau wahrzunehmen. So unlersiühen sich diese bei-
der schulmeisterlichen Behandlung enkzieht. Aber es den Seiten unseres Geistes, obwohl in natürlichem
geht der Wissenschast ebenso: auch von ihr ist nur das Gegensatz siehend, doch zuwsilen. öa d!e Wirklich-
Elementargebiet lehrbar; auch sie beginnt erst eigent- keitsvorstellungsn und die Bildvorstsllungpn müssen
lich da, wo die Schulweisheit nichk mehr hinreicht. sich ofkmals ergänzen, wenn in manchen Darstellungen
Zn unsecm Falle würde also nachzuwetsen sein, daß neben der künstlerischen Qualikät auch das Sachgemäße