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Bund Deutscher Kunsterzieher [Editor]
Kunst und Jugend — N.F. 3.1923

DOI issue:
Heft 4 (Juli 1923)
DOI article:
Müller, F.: Über schöpferische Arbeit im Zeichenunterricht
DOI article:
Dietl, Johann Baptist: Umgestaltung des Zeichnens, [2]: eine Kulturaufgabe
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.22197#0072

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71

Beziehung zu der AllmuLier Natuc, die immer wieder
frisches Lehen gibt. Die Kunstgeschichke lehrk, daß
sedesmah wenn die Kunst in Gefahr war zu verebden,
ein frischech fröhliches Naturstudium einsetzke, das ihr
neue Anregung und neue Kraft zuführke. Gewöhnlich
fiel dies Miederbesinnen auf die Natur mik einem
frischen Vorwürisfchreiten auch auf andern Geistes-
gebieten zusammen, wie die Zeit der Aenaissance
zeigt. Die Natur ist unsers leibliche und geistige Nähr-
muttec, wir sind nichts ohne sie, wir sind ihrer nur ein
Teilchen, das Mibrokosmos im Malrrokosmos. Der
Riese Antäus, von dem die griechische Sage erzählt,
gewann immer neue Krast, wenn er im Ringen die
Erde, seine Mutter, berührte. So werden auch wir die
Natursiuüien neben den freischaffendsn übungen nkcht
vergsssen, aber wir werden unä hüten, dem Auge
atl s,i.n imZeichenunkerricht die Herrschast zu geben.
Man hat die Bedeutung der Augeneinörücke, wie mir
scheint, ekwas überschätzt. Die Erfahrung lehrt, daß
dis Schüler, wenn fle ganz auf ihr kebendiges Gefühl
gestellk sind, vlele Äufgaben leichkec lössn, alä wenn
sie ledigllch mik ihren Gesichtsvorsiellungen arbeiten.

Ein Beispiel hierfür biekek die Darstellung des
Menschen. Ich habe immec gefunöen. daß das
Abzeichnen nach der lebenden Figur den freien
Darsteilungen wenig nützte, dah diese aber beweg-
licher und lebenswahrer wurden, wenn sie ganz
nach dem lebendigen Gefühl erfolgten, das, wie wir
hörten, auf Erlebnis und Erfahrung beruht. Ich
erinnere mich, daß Prof. Kuhlmann in einer seiner
Schriften die gleiche Erfahrung mlkteilk. Wir vergessen
leicht, daß der Mensch außer der Kraft, Augen-
eindrücke festzuhalten, auch ein kreues Gedächtnis für
Muskelbewegungen besiht. Am besien gelingt den
Schülern die Darstelluug solcher Ereignisse, die sie
selbst erlsbt, an dsnen sis persönlich beteiligt warsn
oder die auf ihre Seele irgendwie einen nachhaltigen
Eindruck gemacht haben. Denn mit einem erhöhten
Gefühl ist das künsilerische Schaffen immer verbunden,
und wenn wir uns in unserm Unterricht auf dieses
Gefühl einstellen, so gehen wir den naturgenräßen
Weg, der zur Kunsi führt, der kein Lerdensweg isi,
sondern ein Weg des ftohsn Schaffens. .

^ -. .. . .... . .. . ... .. - ..

AnrgesLalLung des Zeichnens eine KulLuraufgabe «

(Schluß.)

L eitwort: »Das Neue, welches viellsicht plötzlich an die Obsrfläche tritt, hat im Derborgenen vor»
her ichon lange gewühlt; es tst dnrch die Geschichte von langer Hand vorbereitet und
dem schärfer bitckenden Auge zeigt es sich schon früher als Wirkerwe Wacht. Andererseits
stnd die Kräfte und Schövfungen des geistigen Lebens danernde unü gswissermaßen zäher
als die äutzeren Institutionen des Menschentums." Windelband.

Wenn wir als Lehrer uns an dle Beeinflussung der.
seelischen Kräste des Kindes heranwagen wollen, dann
müssen wir uns auf Grund von Kennkuisfsn
über dle Ssele, über Pfychogenssis an-
passen und uns davor hüten, srziehen zu wollen, wo
es nichks zu erziehen gibt. Wie wenig wird aber
danach gehandslt! Das Lehrprogramm ist das Ver-
HSngnis der meisten sogenannteu Pädagogen, ja man
darf es ruhig behaupten, unserer ganzen Erziehung.
Zwei psychologische Methoden flnd uns zur Ber-
fiigung, die Selbstbeobachtung mit Hilfe des „iuneren
Sinnes" und die Beobachtung des BewußtseinS-
aufbaues bei anderen mit Hilfe von Bersuchen und
Bsrglsichung. Die letztsre, die sich auf größeres Ma-
kerial stühen kann, ist davon die wertvollere. Und doch
arbeiten die meisten Lehrer nur mit ösn Kenntnissen
(? d. B.) und Erfahrungen des „inneren Sinnes", die
mehr Gefühle sind, da sie selken rein die Bewußtseins-
schwelle überklimmen. Es ist eine md'gliche Art Zurück-
erinnern an die eigene Kindheit und an die persön-
liche Einstellung zur eigeusn Erziehung, die die Grund-
lage fiir die pädagogische Befähigung bei den meisten
Erziehern ausmacht. Die Folge davon ist, daß fich
die Kinder der Art der Erziehung an-
passen statt umgekehrk, was bei ge-
nauerem Zusehen mit einsn Haup t.-
faktor a n der ssrrakionälltSt dss
menschllchen Gemeinschaftslebens bll-
d et. Das Kind muh bei selner seelischen Entwicklung
auf Grund flch wiederholender Erfahrungen durch die
Sinne von den Empfindungen über die Wahrneh-
mung himveg zur Borstellungsreife gelangen und ge-
führt w'erden. Und der Lehrer soll den Weg gleichsam
blind und nur mit dem Gefühl finden?

Er, der Führer, hat selbst von dem, was er soll, sein
Ziel zu erreicheu, keine Empfindung als die Erinne-
rung an seine eigene dornenvolle Kinderpilgerfahrk
zum Menschen. Die Führung nahm er allerdings ln
meist lästiger oderGnzureichender Weise wahr und zu
einer Borsiellung über seinen eigenen Werdegang ist
es nicht gekommen. Wachstum geistiges «nd
kärpsrllches ist nichts bewußtes, es
gefchiehk nlchk mit Absicht und Zweck.
Kann man also noch allzuviel aus die
Erfolge des „inneren Sinnes" elnes
ErzlehersohnejedeFührerschafkdurch
wisfenschafkliche Erkennknlsse über
Psychogenesis halken? Rein.

Menn Geistesgaben oon uns aiisgebildek werden
sollsn, so müssen wir ihr Borhandensein erst
nachweisen, nachwsisen können, erken-
nen lernen und ebenso eindringen in
dleMöglichkeikender Ausbildung und
dsr Beslnflussung durch Methodik.
Daraus ergibk stch als unmitkelbare Folge, daß es für
den Lshrer und besonders den Zeichenlehrer das wich-
tigste ist, was ss geben kann: Psychogenesis zu
studiersn, Psychologie ständig zu trei-
bsn, in Msnschenkennknis und experi-
m entelle Psy ch olo gi e sich zu verkiefen.
Ersi wenn er erfahren hak, daß und wie die erkann-
ten Eigenschaften zu locksn und zu unkerdrücken sinö,
erst dann, wenn er ein M s nschheiksgärtner
geworden ist, dann soll er auf die Kinderwelt „los-
gelassen" werden und nlcht als jugendlicher probieren-
der Drillmeister. Dann wird seine Tätigkeik mit an-
gehender Künstlerschaft „mi! der Schoßfünde aller
Künstler, die sich in ihrem Merk kokektiecen, wäre es
 
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