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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 3.1923

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Heft 4 (Juli 1923)
DOI Artikel:
Müller, F.: Über schöpferische Arbeit im Zeichenunterricht
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https://doi.org/10.11588/diglit.22197#0071

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70

Zum Schluß löschcn wir das ganze Gebilde aus und
nun heißk es: Bersucht es auch einmal! Erfindet solchs
Bänder, jeder von Euch ein anderes! Machk sie rechk
klar und übersichilich, denn alles Verworrene wirki
unerfreulich!

Das ist ein Beispisl, w!e man ekwa dis Quarkaner
zu solchen schöpserischen llbungen anregen kann. Wer
wird behaupten wollen, daß sie autzerhalb der Grenzs
des Lehrbaren lisgen und dasz sie fllr die Schüler zu
schwsr sind? Der Eifer, mik öem die llungen arbeiken
und ihre taksachlichen Ersolgs zeigen, datz dieseä freie
Geflalten und Erfinden gerade „ekwas für sie" ist,
kein Markyrium, sonüern eine Freude.

Man kann einwenden, das angeführke Beispiel fei
zu einfach, um die Beyauptung zu entkräften, daß
vielr der verlangken übungen ubsr den tzorizonk dcr
Schüler hinweggehen. Ich will aber daran, soweit es
sich mit Wortsn Lun lähk,. lediglich zeigen, in welchem
Falle freie Geskalkungsübungen, die keine Abzeichen-
übungen sind, auch keine gedächtnismäßkgen Wieder-
gaben lrgendwelcher Borbilder, überhaupt in der
Grenze des Lehrbaren liegen. Menn das künsilerische
Gesialken, obwohl durchaus individuell, nach bestimmken
Gesetzen erfolgk, so muß es lehrbar sein, soweik uns
diese Gesetze gegenwärkig sind. Das heißk nichk etwa,
wenn wir diess Gesehe auswendig gelernt haben
sondern es heiht, wenn sie in uns wirksam geworden
sind und wenn wir sie wirksam machen. Das ist eben
ein fundamenkaler Irrkum, wenn man die Lehrbarkeik
des Wissens und die Lehrbarkeit dsr Kunsk auf eine
Stufe stellt. Man denkt dann an Lernen, Begreifen,
Einsehen, Bormachen und Nachmachen. Für uns
handel! es sich darum, im Schüler Kräste zu wecken,
die in seinem sinnern schlummern, Fähigkeiten, dsren
er stch gar nichk bewußt ist, wachzurufen, künstlerische
Gesetze, die er in seinem Busen krägt, bewußt erleben
zu lassen. Das erfordert eine andere Form des Leh-
rens, als den Bertreiern des Missens geläufig ist.

Man sollke daher gar nicht so großes Gewicht darauf
legen, ob nach herkömmlicher Meinung eine Kunst-
übung lehrbar,ist oder nichk. Die Grenze der Lehr-
barkei! ist ja doch keine feststehende: die Art des
Lehrens, die ganze Persönlichkeik des Lehrenden und
oiele andere Amskände sprechen dabei mik. Man muß.
hier sagen wie in der Politik: der Erfolg enkscheidet.

Woher sollke uns auch der frische Magemut kom-
men, der die Melt vorwärksbcingt und den Erfolg an
seine Fersen hefkek, wenn wir immer nur überlegenr
kann man das und darf man das? Es ist ein Glück
für unsers Kunstübung in der Schuls, daß unser Lehr-
plan uns nichk sklavisch bindet. Das ist nicht dsr beste
Lehrplan, der jede Äbung bis zum I-Tüpfelchen vor-
schreibt, sondern dsr dsm Lehrer Freiheik läßk und
der Persönlichkeit Raum gewährt. Bor zwecklosem
Herumirren, vor sinnlosen „Experimenken" aber schützt
die gründliche künsklerische und pädagogische Durch-
bildung des Lehrers und dessen. ernste, zielbewußte
Persönlichkeit.

Es würde Lber den Rahmen dieser Ausführungen
weit hinausgehen, wollten wir all die freischaffenden
Äbungen, die wir im Laufe der lehken Iahre in unsern
Ilnkerricht aufgenommen haben, . im einzelnen auf-
fllhren,- nur einzelne Gruppen mögen kurz genannt sein.

Als erske Gruppe könnke man dis Llbungen bezeich-
nen, die durch eine gewisse handwerkliche Technik

zustanüe konimen, z. B. ducch Korkdruck, Linol- und
Holzschnikt sowie die verschiedensten Arken des
Scherenschnitks usw. Eine andere Gruppe bilden die
freien Erfindungen und Entwürfe, welche für sins
beskimmte Technik gedachk sind und auf die kechnische
Ausführung entschieden Rücksicht nehmen. Dazu ge-
hören Enkwürse für Kunstschmiedekechnik, für Holz-
architektur, Schnitzerei, für Steinmetzkechnik, Blei-
verglasung usw. Anregung dazu bieken dis heimat-
lichen Bau- und Kunstdsnkmäler sowie die boden-
ständige Aandwerkskunsk. Zum drittsn kommt das
große Gebiet der Buchkunst: Freie alluskration, Buch-
schmuck (Zierleisten, Schlußzeichen usrv.), Bucheigner-
zeichen, Buchkikel, Plakake, Kalenderköpfe und über-
haupk alles, was mit Schcift und Druck zusammen-
hängk. Als vierte Gruppe wollen wir die freien
Gestalkungsübungen in der Flüche bezeichnen, die man
gelegentlich auch Raumfüllungsllbungen genannt hat.
Diese Bezeichnung würde ader auch mehr oder
weniger auf alle anderen Gruppen zutreffsn, wie der '
Ausdruck „geschmackbildende llbungen", den man für -
einige tlbungen gewählt hat, für ails zukriffk. Dsnn
nach künstlerischem „Geschmack" den Raum zu füllen ^
und durch freischaffende Betäkigung auf Grund künst- i
lerischer Gesetze das künstlerische Arkeil, d. h. den: -
„Geschmack" zu bilden, ist ja Zweck aller dieser tlbun- /
gen. Man scheut stch ost, das Wort Kunst auf die ^
Darstellungen der Schüler anzuwenden in dem Gefühl, i
daß die hohe Kunst, vor der man Achtung hak, dadurch
entwürdigt werden könnte. Tatsächlich gehören aber
diese tlbungen ihrem Wesen nach in das Gebiek der!
Kunst, wenn auch nur in ihr Elemenkargebiet, und so!
muß man stch gelegentlich auch nicht scheuen, das Ding
mit dsm rechten Namen zu nsnnen.

Warum kreiben wir diese Lbungen und in welchem
Berhältnis stehen sis zum Abzeichnen nach der Natur?
Die erste Frage bedarf eigentlich keiner Beant-.
wortung. Dis freischaffenden Kräste im Schüler zu
wecksn ist von der Erzishungskunst längst als hoch-
bedeuksam anerkannt worden. Selbstschaffen macht
den Menfchen unabhängig, geistkg stei; das Bewußt-
sein des eigenen Könnens gibk ihm Selbstverkrauen
und'Freudigkeik. Künstlerisches Schaffen aber bildek
nichk nur den Geschmack, wis man landläufig sagt,
sondern es enkwickslt eine der edelsten Kräfke der
menschlichen Seele, die den Menschsn oor allen Lebe- i
wesen in ersker Linie auszeichnsk, die freischaffende s"
Phankasie. Daß man in den Höhlen der Dordogne ;
neben den zahlreichen Werkzeugen des diluvialen Ar- i
menschen so viele Kunstäußerungen von ihm gefunden i
hat, ist eins der bemerkenswertesken Taksachen der !
menschlichen Kulkurgeschichke. Die schaffende Phan-
kafle läßk den Menfchen vorausschauen, das noch nicht
Borhandene als gegenwärtig sehen; sie ist es, die den
Techniker, den singenieur befähigt, ekwas zu erfinden,
sis ist der'mächtigste Hebel des kulturellen Fortschritks.
Das Selbstschaffen und -erfinden als das speziell
Geistig-Menschliche, schafst dem Schüler, besonders
auch in den obsren Zahrgängen, srst rechk eigsnklich
Bsfrisdigung, mehr als es das Abbilden der natür-s
' Umwelt ihm gewähren kann. Und doch darfj
aucy oieses keineswegs gering geachkek werden. Ein-!
mal ist das Abzeichnen nach der Natur diejenige Kunsk,!
die der schulmaßigen Unterweisung am leichtäsken zu-s
gänglich ist, und zum andern vsrmikkelt es eine innige.
 
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