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Bund Deutscher Kunsterzieher [Editor]
Kunst und Jugend — N.F. 3.1923

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Heft 1 (Januar 1923)
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Kolb, Gustav: Volksschule und Zeichenunterricht
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https://doi.org/10.11588/diglit.22197#0014

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Volksschule und Zeichenunter'richL

Ansere preutzischs Volksschuls wird gerne als
Muster einer gediegenen Bildungsanstalt für die
grotzen Dolksmasien hingestellt, und fle ist es auch
im Bergleich zu Lenen vieler anderer Staaten. Die
wislenschaftlichen Ilnterrichtsfächer erhalken eine
Pflege durch geschulte Lehrkräfts, urrd Sonüerfächer,
wie Turnen und Radelarbeit, liegen vielfach, wenn
auch nicht überall, in den Händen ausgebilüeter Fach-
lehrkräfte. Auch der Musilr, dem Gesanz wird, dank
der Pslege, die in den Seminaren diesem Gebiet in
hervorragendem Matze zuteil wird, die nStige Sorg-
falt gewidmet, sodaß in künstlerisch-musikalischer
Hinsicht den Schülern ein gutes einfaches Berständ-
nis fiir den^Gesang übermittelt wird. Wesentlich
anders smd oie Bemühungen und Erfolge auf dem
Gebiete der zeichnerischen Betätigung. Solange das
Kind noch auf der Grundschule ist und seiner Lust
am Malen und Zeichnen lm Deutschen und im An-
schauungsunkerricht unbekümmert nachgehen kann,
werden die Erfolge in der Ausdrucksfähigkeik mit
dem wachsenden Bersiändnis für Begriffe und Ilm-'
welk Schrikt halken. Anders wird es sofork, .wenn
das Zeichnen als Unkerrichtsfach beginnk und 'in dis
Hand nicht geschulker und wenig oder garnicht dazu
befähigker Lehrkräfte gelegt wird. Nur verfchwin-
dend wenigs Skädke haben ausgebildeke Lehrkräfte
für den Zeichenunkerricht angestellk. Dieser Borkeil
kommk auch nur einigen Bolksschulen zuguke, dis>
anderen müssen aus irgendwelchen Eründen darauf
verzichten, und wenn nicht gerade Lehrkräste mik
besonders guker zeichnerischer Begabung vorhandsn
sind, muß der Zeichenunkerrichk solchen Lehrern und
Lehrerinnen überkragen werden, die krotz der un-
zureichenden Ausbildung in den Seminaren und krotz
des GefÜhls der eigenen Unflcherheit auf diesem
Gebieke flch der Notwsndigkeik fügen und nun mit
mehr oder weniger Geschick ihr Heil vsrsuchen. Die
gelegenklichen Ausstellungen von Kinderzeichnungen
aus Dolksschulen bringen deshalb nicht den Beweis.
von der allgemeinen Sorgfalt, die dem zeich-
nerischen Ausdruck tn den Unterrichtsstunden gewid-
mek wird, gewöhnlich bringen sis nur kypische Bei-
spiele inkeressierk arbeitender einzelner Kinder, laffen
aber mik wenigen Ausnahmen die bewutzks zielsichers
Anleikung aller durch einen künstlerifch empfin-
denden und gsschulten Lehrer vermiffen. Strebsame
und gewissenhafke Lehrsr empfinden ihrs zeichnerische
Unzulänglichkeit sehr stark und suchen nach Hilfs-
mitteln für die Erteilung des ZeichenUnkerrichks, dis
sie zumeisk in Leitfäden und Büchern zu findsn glau-
ben, dte ost kritiklos als Wegweissr in den zeich-
nerischen NSksn dienen und die ofk typische Aus-
drucksverallgemeinsrungen empfehlen, dis sede psr-
sönliche Auffafsung oder Borstellung verwischen oder
zurückhalken. Die Nachstage nach solchen Büchern,
aus deneir man zeichnen „lernen" kann, ist lsider
sehr groß und beleuchtek stark den Mangel einer
guten Schulung im Zsichnen auf dsn Seminaren.
Solange die Wiedergabe von einfachen Formen aus
der Natur und der Umgebung des Kindss den Lehr-
stoff und das Lehrziel im Zeichenunkerricht bildek,
wird der Ankerrichk zwär den vorgeschriebenen Lehr-
plänen gerechk, nichk aber dem persönlichen Können
der Kinder, deren Äusdrucksfähigkeit und Ausdrucks-
form durch die Fesseln vorgeschriebener Betätigung

. gehemmk, ja nicht einmal erkann! wird. Dir Ge-
wissenhastigkeik der Lehrenden, sin Abweichen vom
Lshrplan m vermeiden, schafft !n keinem Anierrichts-
fach soviel Schaden wie beim Zeichnen, wo selbstän-
digss Schaffen und künsklerische Regungen unter-
drllckt rverden zugunsten eines krockenen Lehrplans,
wo bisweiien eins Fülls originsller Einfälle dahln-
stirbt, um das Abbild eines aufgespießten Schmetter-
lings im Glaskasten anzusertigen. Wenn das Be-
mühen der Lehrenden soweit geht, das eigene Können
demjenigen der Schüler anzupassen, wird eine An-
leikung zur zeichnerischen Wiedergabe noch möglich
sein, ganz schiimm ist es jsdoch dann bestellt, wenn
der Lehrende sich.mit dem „Prinzip" der Darstellung
durch bloßes Äugenwiffen begnügt und seine eigene
Unsähigkeit in Ler zeichnerischen Darstellung durch
mündliche Erklärungen zu verbergen sucht. Wenn
mkmische Bewegungen oder Gestsn die Erklärungen
begleiken, wird es noch bisweilen möglich feln, eine
lebendige Borstellung von Formen und Erschsinungen
wachzurufen, wenn aber auch diese Veriniktlung von
Borstellungen aus Mangel an künstlerischer Erkennk-
nis und an Sachkennknis nicht angewendet wird,
werden die Ergebnifle eirres solchen Ankerrichts im
besten Falle Sußerlich den Anforderungen genügen,
katsächlich aber bleiben sie toke Erzeugnlffe eines koten
Ankerrichts. Dis Scheu vor der Kreide und vor den
Bersuchen, das eigene Können in der bildlichen Aus-
drucksfähigkeik zu prüfen und durch andauerndes
llben zu fördern, ist meist sehr groß; diese Tatsachs
kann ständig bei Fortbildungskursen ln diesem Fach
beobachtek werden. Auf meine Auffordsrung an eine
Bolksschullehrerin, irgend ekwas aus der Borstellung
in Plastilin zu formen, erhielt Ich nach wiederholten
vergsblichen Anregungen dazu schließlich die Ank-
wort, datz fle dies nicht nökig hätte, ihre Kinder
könnken ss schon ohne ihre Anleitung und im übrigen
hätte fle gpglaubt, ich würde „Musterlekkionen im
Zeichnen" halten, nach denen die Teilnehmer „sich
richken" könnten. Auf meine Antwork, daß sie dann
vergebens darauf warten würde, well wir nur prak-
tisch tätig ssin würden, erwiderks sie, das wollte sts
nicht, davon würden die HSnde schmuhig, ging ent-
täuscht fort und kam nicht wieder. Solche Ansichten
slnd durchaus nichk vereinzelt zu finden, im Gegenkeil,
dis Zahl derer ist leider sehr groß, die nach Mustern
und Borschristen suchen, um ihren Zelchsnunksrrichk
danach einzurichtsn. Das Arbeiken nach Rezepten
isi ein charakkeristisches Merkma! eigener Anfähig-
keik zu schöpferischer Geskalkung, es hinderk die ver-
sönliche, wenn auch vielleicht unbeholfene bildliche
Ausdrucksweiss dsr KinLer, dis däs werkvollste Er-
gebnis der Ankerrichksskunden sein muß.

Im besonderen gilt das Gesagts von der Farbe,
deren Gebrauch auf noch viel grötzere Schwierig-
keiken stößt, da zu deren Anwendung bei Gefühls-
SußerungeN'schon das Empstnden für Farbenwirkung
vorhanden sein muh oder zum mindesten geschult
werdsn kann. Schon das Erkennen von Farben-
wirkungen, von den Beranderungsn farbiger Flächen
und Fürmen durch dis Einwirkungen der Lichk-
strahlen, der Ausskrahlung farbiger Gegenstände und
ihre Beeinflussung der Amgebung, solche zur Schu-
lung dss Farbsnempsindens nötigen Begriffe werden
den Kindern selten verständllch gemacht. Dis An-
 
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