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Bund Deutscher Kunsterzieher [Editor]
Kunst und Jugend — N.F. 3.1923

DOI issue:
Heft 3 (Mai 1923)
DOI article:
Dietl, Johann Baptist: Umgestaltung des Zeichnens, [1]: eine Kulturaufgabe
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https://doi.org/10.11588/diglit.22197#0056

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Amgestaltung des Zeichnens eine Kulturaufgabe

Von Studienrat I. B. Dietl, Münnerstadk.
lFortsetzung) *

Bei allen psychischen Gebilden hat man einen mani-
festen und latenten Inhalk zu unterscheiden. llm guten
Zeichenunterricht hat die Rationalisierung beidrr vor
sich zu gehen, wir müssen sie unterstützen und lehren.

ZunLchst wird sie kindlicher Ausdruck und Spiel
bleiben wollen und solange wires fertig
bringen, hierrn schon Gediegenes zu
leisten, sollen wir es tun. Aber die Gegner!
Nur gemach! „und man kann auch nicht seden Unter-
richtsstoff in Zuckerbrot und nicht jede Lehrskunde in
eine Spielstunde verwandeln." Spielend allein kann
man nichk Zeichnen lernen und mit Anregungen ist
nichts gedisnt, wenn die Unterweisungen
und die Beranlassungen zum ausgie-
bigen Gebrauch sich nicht in bedeütend
größerem Matze dazu gesellen) und das,
was man nur spielerisch im Zeichnen gelernt hat, ist
nicht das eines Kulkurvolkes im Zeitalter der Technik
und der Not würdige Zeichnen, ist künsklerisches Ge-
haben, impressionistisches Getue und expressionistische
Stümperei.

Baut aber unser Unkerrichk auf dem Spiel auf?
Nein! Denn er kennt keinen manifesken und latenten
stnhalt der psychischen Gebilde, sondern arbeitet mik
manifestem llnhalt der psychischen Ge-
bilde desLehrers. Wenn der Wille Mani-
festation eines psychischen Gebildes ist und der Lehrer
erzwingt bei den Schülern das'von ihm Gewollke,
dann reicht sein Bermögen nicht einmal dazu aus,
den manifesten Inhalt der psychischen Gebilde der
Kinder zu rationalisieren und zu verwirklichen, ganz
abgesehen von dem latenken Inhalk, der der Sonne
des Gefühls und der Pflege chedarf. Das Nätsel
einer Dressur wird dauernd zu lösen
versucht, aber nicht unsere Kulturauf-
gabe, der nicht beizukommen ist, ohne am reinen
Born des Menschentums zu schöpfen. Denn die Mitz-
erfolge dieser sich ganz langsam, wenn überhaupt ver-
bessernden Dressuroerfahren hat mancher Lehrer zu
Dutzenden in Lebensgrötze oft jahrelang vor sich. Un-
sers Aufgabe löst sich auch nicht von selbst, indem man
alles ruhig „weitergedeihen" lätzt und sich bei „natür-
lich" Gewordenem auf die sogsnannte „Entwicklung"
verkrösket. „D e r Wille des Menschen i st an
seineOrgane gebunden" (Auter) unü „d i e
Schranken unserer Kraft sind unsere
G s s e h e" (Schiller).

Es steht für mich fest, datz d!e amtliche Erziehung
der Bolksgemeinschaften der Gcgenwart und Ber-
gangenheit, also die gemieteke Pädagogenzunft ver-
flosiener Zeiken, das selbständige Walken

* Allerlei miMche Umstände, nicht zuletzt die lanfte Krank-
heit Les Schriftleitsrs verzögerten ssither die Fvrissizung der in
Seft I, 1SW begonnenen, autzerordentlichen wertvolicn Dar-
tegungen.

Leitwort: „Um die Arbeit, die der Lehrer leistet
gerecht zu beurkeilen, muß man auch
das berückflchtigen, was er vsrnach-
lässigk, und davon haben wir noch zu
sprechen. Roorda.

der Nakur im Menschen viel zu gering
achkete, daß sie immer glaubte, sie hätten entschei-
denden Einfluh auf die „geistige Halkung der Mensch-
heit". Auch das Eegenteil dürste zur Hälfke richiig
sein.

Die Schule des Staates hinkt ebenso ost nach, sie
ist im glcichen Matzs ein Bild oerflossener
Zeit. Unsere Schule krankt zurzeit an der „Zivili-
sakion". an der Einreihung in den öden Betrieb orga-
nisierter Flachheit und Krikiklosigkeit und ist biind
gerade den kostbarsten Gütern der Kindesseele gegen-
über und das troh der hochkultivierten Pädagogik, die
oberflächliche Fälkchen gerade streicht, die Gährung
im Inneren beschwichkigk, bis der herauspädagogisierte
Homunkulus vorgezeigt werden kann. Dabei denke
ich an Wyneken „Kulturunterricht". „Man entfessele
die latenken Kräfte, man schematisiere nichk Lehrplan
und Pensum, erziehe vielmehr die Unterführer zum
Handeln auf eigene Berankwortung. lleds Schule
KLnnte ihre Eigenart haben, sich ihre besondere Auf-
gabe stellen — welch ein volles, bunkes, rei-
ches geistiges Leben würde das geben
auf dem jeht noch in grauer Langweb-
ligkeit von der Bürokralie (!! d. B.) be-
ackerten Felde! Ich denke dabei auch an
Schiller: „Das Gesetz hat zum Schneckengang ver-
dorben, was Adlerflug geworden wäre, das Gesetz hat
noch keinen grotzen Mann gebildet, aber die Freiheik
brütet Kolosse und Extremitäten aus." Iede Schule
„hat neue und wirkliche Arbeit zu leisten, ist ein
Bataillon der Armee, dls bestimmk ist, den Fortschrikt
in Kultur zu transformieren".

Als Borstufe des Willens können die
Triebe angesshen werden, vor allem der
Nachahmungs- und Spieltrieb. Wenn wir statt.Trieb
„Borliebe für etwas" einsehen, dann vecstehen wir,
wie zahlceich die Triebe sein können.

Sie sind durch viele Generakionen hindurch wirksam
gewesens Anpassungen an ursächlichen Zwang, der ge-
wisse Beschäftigungen unsecer Borfahren auslöste und
Fähigkeiten grotz werden ließ, die bei der Forkpslan-
zung immer wieder durcheinandergcwürfelk werden
und als angesammeltes vererbtes Inkecesse an irgend
einer „Sache", als Tcieb dieses und jenes zu tun zum
Borschein kommen. Wird also auf diese durch unsere
Vorfahren angesammelke Eervohnheiksliebe auf dceses
Beiriebskapital unserer Kulkur und die aus ihr ent-
springende Berringerung der Widerstände beim Da-
seinskampf nichk genügend Nücksichk gcnommen, dann
schadet sich die menschliche Gemeinschafk selbst und
wohl am meisken den mik dem Trieb beerbken.

Daraus folgt auch, datz nichk jeüec jeden Trieb
gleichmätzig besitzen kann, daß jedsc Tcieb ausgebildek,
angeregt und unkerbunden werden kann.
 
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