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Bund Deutscher Kunsterzieher [Editor]
Kunst und Jugend — N.F. 3.1923

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Heft 3 (Mai 1923)
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Schmidt, Bruno: Die neue sächsische Prüfungsordnung für Zeichenlehrer und der Sächsische Philologenverein
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https://doi.org/10.11588/diglit.22197#0055

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schaftliche Schwänzchen" recht wohl verzichten kanir.
Der springende Punkt ist wohl der: erkenntman
auf wissenschaftlicher Seite endlich
das künstlecische Studium als so wert-
voll und auch für die menschliche Bil-
dung unbedingt werkbestimmend an,
datz man es dem wissenschaftlichen
Studium gleichwertig erachte! — oder
nicht? Wenn ss bisher dem Philologenverein
anscheinend schwer geworden ist, diefe Glsich-
wertigkeit fdie übrigens Minister Dr. Seyfert
in der allerersten Sihung im stuni 1920 als Boraus-
setzung aller Berhandlungen über diese Angelegenheik
bezeichnete) zu erkennen und anzuerkennen, so liegt
das wohl daran, dah nur ganz ausnahmsweise Philo-
logen gleichzeitig genügende Erfahrung auf unserm
Gebiete haben — ein BeweiL für die Richtigkeit der
Äuherung des Leipziger Senais.,

Reben dieser durchaus selbständigen Bedeutüng
des künstlerischen Studiums für die Geistesbildung
mutz folgendes noch betont werden: künstlerisches
Können und wirkliches tieferes Kunstverstehen kann
ein für allemal nicht durch irgendwelches wissen-
schaftliche Skudium, sondern nur durch möglichst ver-
tiefke und vielseitige Schulung des Empfindens er-
reicht werden. Kunst ruhk lehten Endes im
Gefühl, nicht im Wissen und wissen-
schaftlichen Erkennen. Darum kann man
ihr auch nur auf dem Mege durch das Gefühl nahe
kommen.

Wir haben nicht die Aufgabe, Archäologen zu er-
ziehen. Ganz bewußt lehnen wir es daher ab, unser
Skudium der Kunstgeschichte so einzurichien wie das
eines zünftigen Archäologen. Das nötige Quantum
Kulturgeschichte, ohne das ja die Entwicklung der
Kunst als geistige Ausstrahlung einer Kulturepoche
gar nicht zu verstehen ist, werden unsre Studierenden
schon von selbst heranziehen. Aber das, was der Zei-
chenlehrer als ganz Wesentliches unö unbedingk
Wertvolles, durch kein wissenschaftliches Studium zu
Erreichendes mitbringen wird — Bertrautheit mit
den technischen Grundlagen, wirklichs Einfühlung in
das künstlerische Schaffen durch eignes schöp-
ferisches Gestalten — sehen auaenscheinlich
die Philologen nicht oder schätzen es zu niedrig ein,
weil es gerade das ihnen Wesensfremde ist, während
wir darin das Entscheidende erblicken.

Unter unsern wisssnschaftlichen Amksgenossen gibt
es heuke schon manchen, der seinen Schülern Einblick
in die Enkwicklung der Kunst sehr gut vermitteln
kann. Aber nur verschwindend wentge stnd imstande,
in den kllnstlerischen Schaffensprozeß, in das Wer-
den eines Kunstwerkes hineinzuleuchten, weil die
allermeisten nie ernsthafk gezeichnet, gemalt, radierk,
in Holz geschnitten, vom Stein gsdruckt oüer model-
lierk haben. Den entscheidenden Anteil des künst-
lerischen stnstinkts beim Schaffen haben fle also nie
kennengelernt.

Wir brauchen aber in der höheren Schule als
Gegengewicht gegen den übecwiegenden Berstandes-
betrieb unbedingt Persönlichkeiten, deren geistigss

Leben und Wirken vorwiegend in der Empfindungs-
welt verankert ist. Für genügende logische Schulung
sorgk bei ihnen als Boraussehung ja dieselbe Schul-
gattung, aus der auch der Wissenschaftler hervor-
gegangen ist. Logische Schulung eigenster Ark ent-
hält zudem ein ernsthaftes Kunststudium noch ceichlich
genug.

Zu den angeführten inneren Gründen, mit denen
wir die Anschauungen des Philologenvereins ableh-
nen müssen, kommt aber noch ein Grund mehr tech-
nischer Art. Der Kunststudierende kann nicht von
einer Borlesung zur andern gehen, um dann zu Zause
an der Zand der Mederschristen das Gehörte und
Geschaute zusammenzuarbeiten und durch Buchstudium
zu ergänzen, um so sein Erkenntnisgebäude aufzu-
bauen. Er muß vielmehc Gelegenheik haben, soviel
als möglich zusammenhängende Bormitkage sich ge-
schlossenen Studien in ruhiger Bertiefung hinzugeben.
Menn er darangeht, Slilleben zu maien oder Akk
zu zeichnen, so kann er nicht nach einer Skunde schon
wieder weglaufen, um nach der ziemlich entfernten
Hochschule zu fahren, weil dort von 9 bis 10 Uhr ein
für ihn notwendiges wissenschaftliches Fach gelesen
wird. Wenn er ^11 Uhr zurückkommt, ist die nok-
wendige geistige Einstellung auf den Gegenstand, die
er vielleicht in einstündiger Arbeit am Morgen glück-
lich erreichte, wieder zerrissen, und er müßte von
ncuem beginnen. Das landschaftliche Skudium in der
frcien Natur zwingt ihn meist, ein Stück hinaus-
zugehen vor die Stadt. Auffindung des rechten Bild-
ausschnitkes, des rechten Plahes nach Skimmung und
Beleuchtung kostet Zeit und verlangt innere Ruhe,
die überhaupt nie zu erreichen wäre, wenn ihn fein
Stundenplan fortwährend zwänge, um die und die
Zeit zu einer Vorlesung im Stadtinnern zu sein.
Ebenso ist es mit begonnenen Studien in den Mu-
seen, wo er schon ohnedies an die wenigen Stunden
der Sffnungszeit gebunden ist. Nach allem, was
bisher angeführt worden ist, mußken wir uns ent-
schieden gegen jede Schemakisierung in bezug auf
die Einrichtung des Zeichenlehrerskudiums wehren.
Zwei so durchaus verschiedenarkige Studiengebiete
wie das wissenschafkliche und das künstlsrische durften
nicht auf Grund oorhandener, an sich vielleicht schon
veralteter Studienordnungen über einen Leisten ge-
schlagen werden. Wir freuen uns, daß sich unser
sächsisches Ministerium von allem Anfang an diese
grundlegende Einsicht zu eigen gemacht hat.

Wohl erfüllt die neue Prüfungsordnung, die am
1. Apri! Gesetz uzerden und dann in ihrer endgültigen
Form auch an dieser Stelle veröffentlicht werden soll,
unsere Wünsche nicht ganz. Dennoch haben wir uns
unter Abgabe eines schriftlichen Protestes für An-
nahme dieser Form entschieden, damit das Kind end-
lich laufen lerne. Wird ihm das Gehen unh ein freies
fröhliches Wachstum durch das aufgezwungene wissen-
schaftliche Mänkelchen zu sehr erschwerk, so werden
rvir unserm Miniskerium das Anzulängliche des
jehigen Gewandes dartun und eindringlich um Abhilfe
bitten müssen. Wir geben dem neuen Kinde die besken
Münsche mit auf den Weg.

Stud. Bruno Schmidk, 1. Bors.
 
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