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Berbürgte
Auflage 3000.
d
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und Alterthumskunde.
A
MN
Stutſgart 1894.
* Abonnement:
Nr. 5.
Stuttgart, 30. Januar 1895.
Erſcheint wöchentlich)
Anzeigen:
Die Nonpareilezeile oder deren
Raum 20 Pfg., Auttionen 30 Pfg.
3, Jahrgang.
Die Bezugsbedingungen ſind auf der letzten
Seite in jeder Nummer abgedruckt. Erfüllungsort für
die Lieferung und für die Zahlung: Stuttgart,
* —
Ein Retter in der Noth.
Novelle von Eduard Braunfels.
Nachdruck verboten.)
— —
An einem nebeligen Herbſtabende des Jahres 1752
Ichlenderte ein ſtattlicher Gentleman in mittleren Jahren,
ein Liedchen vor ſich hin ſummend, die lange Orford-
ſtreet in London dahin und dem Hyde Parke zu. Bei
dieſem angelangt, bog
er in einen der erſten
Deften Gänge ein und
ſchritt nun, bffenbar mit
lebhaften Gedanken be-
ſchäftigt, immer die
Wege entlang, die ſich
ihm ſo gerade boten.
Eine halbe Stunde
mochte er ſo gewandert
ſein, als er plötzlich
ein Geräuſch neben ſich *
vernahm und wie aus ® A
einem Traume erfhro-
um ſich und gewahrte
nun zu ſeiner Rechten
auf einer Bank einen
jungen Mann ſſitzen,
der bitterlich weinte.
Sofort ſpiegelte ſich
das lebhafteſte Inte-
reſſe und Mitgefühl in
ſeinem ausdrucksvollen
Antlitze.
Hallo! Was iſt
das? Sind Sie ſo tief
unglücklich, daß Sie ſich
hier im Parke auswei-
nen müſſen?“ rief er
und trat dem jungen Mann näher.
„Leider ja“, berſetzte dieſer ſeufzend und ohne die
geringſte Luſt zu zeigen, ſich weiter auszuiprechen
Der Geytleman ließ ſich aber nicht ſo kurz aͤbſpeiſen,
theilnahmvoll blickte er auf den Unglücklichen, deſſen
blondlockigen, nur leicht friſirten Kopf, deffen huͤbſches,
von einer fernen Laterne nur ganz ſpärlich beleuchtetes
Seficht, auf den rehfarbenen Rock mit den dunkelbraunen
Knöpfen, die Schuhe mit den kleinen ſilbernen Schnalen
und endlich auf daͤs ſpaniſche Rohr mit dem filbernen
Knopfe, das an der Bank lehnte. Endlich ſetzte er ſich
ohne Weiteres neben den jungen Mann , ſo daß dieſer
verwundert aufſchaute.
„Ja, das iſt ſo meine Art“, verſetzte aber der Gent-
leman trocken. „Ich bin zuweilen etwas zudringlich,
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lafjen Sie ſich dadurch jedoch nicht gegen mich einnehmen.
Ich habe ſchon ſo Maͤnchem gebolfen. Und darum ſagen
Sie mir einmal frei hekaus waz Sie drückt, Ich bin
als junger Man auch oft in der Klemme geweſen —
hotzwetter, es iſt mir manchmal, beſonders als ich noch
Laufmann war und ſpekulirte — erbärnlich trübſelig
ergangen.“
‚ „So, haben Sie auch einmal ſpekulirt?“ warf der
junge Mann ein.
„Kläglich, wie ein Walfiſch, muß ich heute ſagen,“
verſetzte der Gentleman, aber glücklicherweiſe nicht Lange.“
„Aber Sie ſind doch immer nöch mit heiler Haut
davongekommen,“ entgegnete der junge Mann, „Sch
aber bin rettungslos verloren und mir wäre beſſer, ich
läge tief unten in der Themſe!“
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Das Lerkulaner Thor in Pompeji, (Tert Seite 36,)
„Ach was, wer wird ſo den Muth verlieren!“ rief
Sa, Herr,“ entgegnete der junge Mann, „wer Tag
und Nacht ſo gearbeitet hat wie ich, wer außerdem ein
o. hübſches Anfangskapital beſaß wie ich, der kann
keinen Muth mehr haben!“
„Und wenn Einer in Ihren Jahren nur noch das
nackte Leben hat, ſo hat er immer noch ein Kecht zu
hoffen,“, verſetzte der Gentleman mit unerfchütterlicher
Zuverſicht.
Der junge Mann ſchaute forſchend in's Geſicht des
Fremden, dieſer aber zeigte ſo ſchlichte Mienen in feinem
ziemlich faltigen Geſicht! daß die ſchuell aufgetauchte
Hoffnung, ein Retter könne ſich ihm genaht haben, bald
„Das ſind ſchöne Worte, nicht einmal ſo viel werth
wie ein Strohalm, an dem man ſich klammern fönnte,“
ſagte er, wieder den Kopf ſinken laffend.
„So, ſo, erwiderte der Gentleman kurz, „und in
Folge deſſen wird denn ruhig fortgefaͤhren im Verzagen.
Wie kam es denn, daß Sie ſo in’3 Elend geriethen ?“
„Es war, nachdem mir das Glück in meiner Kind-
heit und Iugend gelächelt,“ verſegte der junge Mann,
Als nerfolgte mich dann das Unglück Schriit für Schritt
Ich heiße Hardham und ſtamme aus einer ziemlich wohl-
habenden Familie. Mein Vater war Kornhändler und
hinterließ mir bei ſeinem vor ſechs Jahren erfolgten
Tode ein hübſches Baarvermögen, das ich alsbald, da
ich die Kaufmannſchaft erlernt und mich befonders im
wieder zerrann.
Tabakshandel umgeſehen hatte, dazu anwandte, mir ein
eigenes Geſchäft zu
gründen, und zwar ein
Tabaksgeſchäft. Ich
legte es mit aller Um-
ſicht an und hoffte, wenn
ich erſt etwas ſicherer
ſtände, auch eine kleine
Hausfrau in meine
Wirthſchaft zu bringen.
Ich wußte ja ſchon
längſt, wer es ſein ſollte,
Cordelia Smit, die ich
ſchon ſeit meiner Kind-
heit liebe.“
„Ah, Cordelia,“ un-
terbrach hier der Fremde,
der aufmerkſam zuge-
hört hatte, „Cordelia,
ein ſchöner, ein edler
Name, den hereits Sha-
T teſpeare liebte.
jij „Und nicht minder
ſchön und edel iſt ſeine
m Trägerin,“ fuhr der
junge Mann wärmer
A ıran fort „Wie eine Maien-
2 roſe ſchaut ſie aus, ſo
hold, ſo lieblich, und
ſo ein treues, edles Herz
beſitzt ſie, wie kein zwei-
tes weibliches Weſen. Immer in dem Gedanken an fie, fie
dexeinſt heimzuführen, ihr ein prächtiges Daſein zu be-
reiten, arbeitete ich Tag und Nachi. Ja, ich ließ mich
ſogar, um ſchnell recht viel Geld zu verdienen, in ge:
wagte Spekulationen ein, ließ mich außerdem in meinem
Eifer von unredlichen Menſchen bereden, mehr auf's
Spiel zu ſetzen als ich durfte, und da brach das Iin-
glück über mich herein. Ein großes Tabalsſchiff, das
ich hatte befrachten laſſen, ſcheiterte an der fpauiſchen
Küſte, ein Geſchäftsfreund, dem ich zu fehr getraut,
ging mir mit einer großen Summe durch, und als ich
ſchließlich den Reſt meines Vermögens für eine kleine
Erfindung verwendete, mit der ich hoffte, mich wieder
emporzubringen, da mußte ich erkennen, daß ich mich
auch hier getäuſcht — ich war völlig ruinirt.“ Er
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und Alterthumskunde.
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Stutſgart 1894.
* Abonnement:
Nr. 5.
Stuttgart, 30. Januar 1895.
Erſcheint wöchentlich)
Anzeigen:
Die Nonpareilezeile oder deren
Raum 20 Pfg., Auttionen 30 Pfg.
3, Jahrgang.
Die Bezugsbedingungen ſind auf der letzten
Seite in jeder Nummer abgedruckt. Erfüllungsort für
die Lieferung und für die Zahlung: Stuttgart,
* —
Ein Retter in der Noth.
Novelle von Eduard Braunfels.
Nachdruck verboten.)
— —
An einem nebeligen Herbſtabende des Jahres 1752
Ichlenderte ein ſtattlicher Gentleman in mittleren Jahren,
ein Liedchen vor ſich hin ſummend, die lange Orford-
ſtreet in London dahin und dem Hyde Parke zu. Bei
dieſem angelangt, bog
er in einen der erſten
Deften Gänge ein und
ſchritt nun, bffenbar mit
lebhaften Gedanken be-
ſchäftigt, immer die
Wege entlang, die ſich
ihm ſo gerade boten.
Eine halbe Stunde
mochte er ſo gewandert
ſein, als er plötzlich
ein Geräuſch neben ſich *
vernahm und wie aus ® A
einem Traume erfhro-
um ſich und gewahrte
nun zu ſeiner Rechten
auf einer Bank einen
jungen Mann ſſitzen,
der bitterlich weinte.
Sofort ſpiegelte ſich
das lebhafteſte Inte-
reſſe und Mitgefühl in
ſeinem ausdrucksvollen
Antlitze.
Hallo! Was iſt
das? Sind Sie ſo tief
unglücklich, daß Sie ſich
hier im Parke auswei-
nen müſſen?“ rief er
und trat dem jungen Mann näher.
„Leider ja“, berſetzte dieſer ſeufzend und ohne die
geringſte Luſt zu zeigen, ſich weiter auszuiprechen
Der Geytleman ließ ſich aber nicht ſo kurz aͤbſpeiſen,
theilnahmvoll blickte er auf den Unglücklichen, deſſen
blondlockigen, nur leicht friſirten Kopf, deffen huͤbſches,
von einer fernen Laterne nur ganz ſpärlich beleuchtetes
Seficht, auf den rehfarbenen Rock mit den dunkelbraunen
Knöpfen, die Schuhe mit den kleinen ſilbernen Schnalen
und endlich auf daͤs ſpaniſche Rohr mit dem filbernen
Knopfe, das an der Bank lehnte. Endlich ſetzte er ſich
ohne Weiteres neben den jungen Mann , ſo daß dieſer
verwundert aufſchaute.
„Ja, das iſt ſo meine Art“, verſetzte aber der Gent-
leman trocken. „Ich bin zuweilen etwas zudringlich,
—
— Wa A
* —
lafjen Sie ſich dadurch jedoch nicht gegen mich einnehmen.
Ich habe ſchon ſo Maͤnchem gebolfen. Und darum ſagen
Sie mir einmal frei hekaus waz Sie drückt, Ich bin
als junger Man auch oft in der Klemme geweſen —
hotzwetter, es iſt mir manchmal, beſonders als ich noch
Laufmann war und ſpekulirte — erbärnlich trübſelig
ergangen.“
‚ „So, haben Sie auch einmal ſpekulirt?“ warf der
junge Mann ein.
„Kläglich, wie ein Walfiſch, muß ich heute ſagen,“
verſetzte der Gentleman, aber glücklicherweiſe nicht Lange.“
„Aber Sie ſind doch immer nöch mit heiler Haut
davongekommen,“ entgegnete der junge Mann, „Sch
aber bin rettungslos verloren und mir wäre beſſer, ich
läge tief unten in der Themſe!“
IIIIII
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N
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l— 2
Das Lerkulaner Thor in Pompeji, (Tert Seite 36,)
„Ach was, wer wird ſo den Muth verlieren!“ rief
Sa, Herr,“ entgegnete der junge Mann, „wer Tag
und Nacht ſo gearbeitet hat wie ich, wer außerdem ein
o. hübſches Anfangskapital beſaß wie ich, der kann
keinen Muth mehr haben!“
„Und wenn Einer in Ihren Jahren nur noch das
nackte Leben hat, ſo hat er immer noch ein Kecht zu
hoffen,“, verſetzte der Gentleman mit unerfchütterlicher
Zuverſicht.
Der junge Mann ſchaute forſchend in's Geſicht des
Fremden, dieſer aber zeigte ſo ſchlichte Mienen in feinem
ziemlich faltigen Geſicht! daß die ſchuell aufgetauchte
Hoffnung, ein Retter könne ſich ihm genaht haben, bald
„Das ſind ſchöne Worte, nicht einmal ſo viel werth
wie ein Strohalm, an dem man ſich klammern fönnte,“
ſagte er, wieder den Kopf ſinken laffend.
„So, ſo, erwiderte der Gentleman kurz, „und in
Folge deſſen wird denn ruhig fortgefaͤhren im Verzagen.
Wie kam es denn, daß Sie ſo in’3 Elend geriethen ?“
„Es war, nachdem mir das Glück in meiner Kind-
heit und Iugend gelächelt,“ verſegte der junge Mann,
Als nerfolgte mich dann das Unglück Schriit für Schritt
Ich heiße Hardham und ſtamme aus einer ziemlich wohl-
habenden Familie. Mein Vater war Kornhändler und
hinterließ mir bei ſeinem vor ſechs Jahren erfolgten
Tode ein hübſches Baarvermögen, das ich alsbald, da
ich die Kaufmannſchaft erlernt und mich befonders im
wieder zerrann.
Tabakshandel umgeſehen hatte, dazu anwandte, mir ein
eigenes Geſchäft zu
gründen, und zwar ein
Tabaksgeſchäft. Ich
legte es mit aller Um-
ſicht an und hoffte, wenn
ich erſt etwas ſicherer
ſtände, auch eine kleine
Hausfrau in meine
Wirthſchaft zu bringen.
Ich wußte ja ſchon
längſt, wer es ſein ſollte,
Cordelia Smit, die ich
ſchon ſeit meiner Kind-
heit liebe.“
„Ah, Cordelia,“ un-
terbrach hier der Fremde,
der aufmerkſam zuge-
hört hatte, „Cordelia,
ein ſchöner, ein edler
Name, den hereits Sha-
T teſpeare liebte.
jij „Und nicht minder
ſchön und edel iſt ſeine
m Trägerin,“ fuhr der
junge Mann wärmer
A ıran fort „Wie eine Maien-
2 roſe ſchaut ſie aus, ſo
hold, ſo lieblich, und
ſo ein treues, edles Herz
beſitzt ſie, wie kein zwei-
tes weibliches Weſen. Immer in dem Gedanken an fie, fie
dexeinſt heimzuführen, ihr ein prächtiges Daſein zu be-
reiten, arbeitete ich Tag und Nachi. Ja, ich ließ mich
ſogar, um ſchnell recht viel Geld zu verdienen, in ge:
wagte Spekulationen ein, ließ mich außerdem in meinem
Eifer von unredlichen Menſchen bereden, mehr auf's
Spiel zu ſetzen als ich durfte, und da brach das Iin-
glück über mich herein. Ein großes Tabalsſchiff, das
ich hatte befrachten laſſen, ſcheiterte an der fpauiſchen
Küſte, ein Geſchäftsfreund, dem ich zu fehr getraut,
ging mir mit einer großen Summe durch, und als ich
ſchließlich den Reſt meines Vermögens für eine kleine
Erfindung verwendete, mit der ich hoffte, mich wieder
emporzubringen, da mußte ich erkennen, daß ich mich
auch hier getäuſcht — ich war völlig ruinirt.“ Er
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