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Antiquitäten-Zeitung — 3.1895

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Nr. 35 (28. August)
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L N

Verbürgte



Verſteigerungen und Alterthumskunde.

LIIIIIII

Verbürgte



Stutigaxt 1894.

Abounemeut:
Deutſchland u. Oeſterreich 2.50
vierteljährlich, Ausland M 3. .

Nr. 35.

Stuttgart, 28. Auguſt 1895,

Erſcheint wöchentlich.)

Auzeigen:
Die Nonpareillezeile oder deren
Raum 20 Pfg., Auktionen 30 Pfg.

3, Jahrgang.

Herkuliſche Menſchen.

Nachdruck verboten.)
— — —

Visweilen ſcheint es, als würde die Natur des
ewigen Geleiſes ihrer Normen überdrüſſig und ſuchte
etwaͤs Abwechslung in das Einerlei ihrer Tagesordnung
zu bringen. Dann treten Erſcheinungen zu Tage, die
uns wie Wunder vorkommen. Man hat dergleichen in
faſt allen Gebieten beobachtet, ganz beſanders aber im
Organismus des menſchlichen Körpers.
Dahin gehören in
erſter Linie die herku-
liſchen Geſtalten, deren
einzelne ſchon im Alter-
thume bekannt waren,
an denen aber nament-
lich das Mittelalter reich
iſt. Hier nur einige der
hervorragendſten Bei-
ſpiele.
Louis des Boufleurs,
mit dem Beinamen der
Starke, der in der Mitte
des 16. Jahrhunderts
lebte, war von ungemei-
ner Körperſtärke. Wenn
er beide Füße zuſammen-
geſtellt hatte, ſo vermochte
ihn kein Menſch einen
Schritt weder vor, noch
rückwärts zu ſtoßen. Er
zerbrach ein Hufeiſen mit
leichter Mühe und konnte
einen Stier, den er am
Schwanze gepackt hatte,
hin⸗ und herziehen. Er
hob ein ausgewachſenes
Pferd mit ſeinen Armen
in die Höhe und trug
es auf ſeinen Schultern
herum. In voller Rüſt-
ung ſprang er zu Pferd,
ohne es mit den Händen
zu berühren und ohne
den Fuß in den Steig-
bügel zu ſetzen. Dabei
war er ein ſo außerordent-
lich gewandtex Läufer, daß er auf eine Entfernung von
zweihundert Schritten dem ſchnellſten ſpaniſchen Pferde
zuvorkam. Dies alles erſcheint kaum glaublich, wird
E * den verſchiedenſten Augenzeugen einhellig be-
ſtätigt.

Ein franzöſiſcher Major, Namens Barſabas, über-
traf ſogar dieſen Herkules noch in einzelnen Vunkten.
Der Genannte war von ſolcher Körperkraft, daß, wenn
er zu Pferde ſaß und feſt andrückte, er dem Pferde die
Knöchen zerbrach. Er kam einmal in eine Schmiede-
werkſtatt. Während ſich der Meiſter einen Augenblick
entfernte, ergriff Barſabas den ſchweren Ambos und

verbarg ihn unter ſeinem Mantel. Der Schmied er-
ſtaunte ſehr, als der Ambos ſpurlos verſchwunden war,
aber noch mehr, als er ihn vom Major wieder an
ſeinen Platz ſtellen ſah, als ſei es ein Kinderſpiel-
zeug. An der Tafel ſeines Generals nahm Barſabas
eine ſilberne Schaale, die mit Wein gefüllt war und
drückte ſie mit zwei Fingern zuſammen, daß kein
Tropfen mehr darinnen blieb. Ein Gascogner, den
er in einer Geſellſchaft beleidigt hatte, forderte ihn
zum Duell. „Ich ſtehe ſehr gern zu Dienſten,“ ent-
gegnete der Major „wenn mein Gegner mir einiger-

maͤßen gewachſen iſt. Geben Sie mir einmal Ihre


Hand.“ Der Gaseogner that es und empfand ſogleich
einen ſolchen Druck, daß er laut aufſchrie und von der
Forderung Abſtand nahm.

Bei einem Turnier zu Augsburg im Jahre 1459
ritt ein deutſcher Ritter Namens Maximilian Walter
mit in die Schranken, der durch ſeine Stärke Alles in
Staunen verſetzte. „Dieſes Mannes Lanze“ , erzählt
ein Chroniſt von damals, „mußten zween Knechte mit
auf die Stechbahn tragen. Sr ſelbſt aber führte ſeine
ſchwere Lanze, gleich andern Rittern, im Rennen mit
einem Arme Auf die ausgeſtreckte Lanze ließ er einen

ſeiner Buben (Dienſtknaben), ſo 14 Jahr alt geweſen,

ſetzen, trug ihn über den Frohnhof hinüber und wieder
zurück. In die Höhlung des Spießeiſens dieſer Lanz-
ging ein Maas Wein.“

Zur Zeit des Kurfürſten Johann Georg (in der
Mitte des 16. Jahrhunderts) lebte in der Mark Branden-
burg ein Rittet, Joachim b. Schapelow, der ebenfalls
Unglaubliches leiſtete. Der Kurfürſt geſtattete ihm
einſt, ſo viel Wein aus ſeinem Keller zu nehmen, als
er auf einmal mit bloßen Armen fortbringen könne.
Schapelow ließ ſich das nicht zweimal ſagen, nahm ein
volles Faß unter den rechten, und ein zweites unter

den linken Arm und mit den vier Fingern einer jeden
Hand faßte er das dritte
und vierte — und ſtieg
ohne ſonderliche Mühe
aus dem Keller herauf.
Der Kurfürſt forderte
ihn nicht zum zweiten
Mal zu dieſem Kunſt-

ſtücke auf.
Ein anderer Bran-
denburger Edelmann,

Heinrich von Kottwitz,
machte ſeiner Zeit nicht
minder von ſich reden.
Wir wollen hier nicht
die Kraftproben alle auf-
zählen, womit er Freund
und Feind in Erſtaunen
fetzte; ſchon die eine
Thatſache, daß er mit
der rechten Hand einen
großen Mühlſtein erfaßte
und bis an den Kopf in
die Höhe hob, iſt bezeich-
nend für die Rieſenkraft,
womit Mutter Natur ihn
geſegnet hatte.

Bekannt iſt die Rieſen-
ſtärke des Kurfürſten
Friedrich Auguſt I. von
Sachſen, der wegen ſeiner
ungemeinen Körperkraft
den Beinamen der Starke
erhielt. Er zerbrach das
ſtärkſte Hufeiſen, drehte
dicke Eiſenſtangen wie
Draht zuſammen und
hielt einen Trompeter
auf der flachen Hand zum Fenſter hinaus.

Nöthigt uns aber das ſchon Bewundexung ab, wie
viel mehr müſſen wir ſtaunen, wenn auch das „zarte
Geſchlecht“ bisweilen ſo geartet erſcheint, daß es mit
den ftaͤrkſten Männern ripaliſiren kann. Eine unnahbare
Schönheit war z. B. Eliſabeth von Pommern, die Ge-
mahlin Kaiſer Karl's IV. Ihre Muskelkraft war ſo
groß, daß fie Eiſenſtaugen wie Holz zerbrach und Rins-
panzer wie Leinenſtückẽ auseinanderriß. So erzählen
einſtimmig zeitgenöſſtlche Geſchichtsſchreiber.

Der Marſchall Moritz von Sachſen, Sohn Auguſt's

des Starken, haͤtte von ſeinem Vater eine ſo ungeheure

— — — — *
 
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