Verbürgte
Auflage 3000.
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und Alterthumskunde.
Verbürgte
Auflage 3000.
Abonnement:
Deutſchland u. Oeſterreich A 2.50
vierteljährlich, Ausland 3..
Nr. I9.
Stuttgart, S, Mai 1895,
Grſcheint wbchentlich.)
Anzeigen:
Die Nonpareilezeile oder deren
3, Jahrgang.
Der römiſche Grenzwall in
Südweftdeutſchland.
Feitdem 1893 vom Reichstage die beantragten
Geldſummen bewilligt worden ſind, wodurch die Erforfch-
ung des von den Römern gegen Deutſchlaͤnd errichteten
Grenzwalles ermöglicht werden ſollte, iſt, wie gelegent-
lich berichtet worden iſt, wacker gearbeitet und Zefoͤrſcht
worden, ſo daß es jetzt, wo der Anfang mit der Ver-
öffentlichung der Fundthatſachen in endgil-
tiger Form gemacht wird (das erſte Heft
des Werkes „Der obergermaniſchrätiſche
Limes des Römerreiches“ iſt ſoeben bei Otto
Petters in Heidelherg erſchienen), angezeigt
ſcheint, kurz die bis jetzt gefundenen Kẽſul-
tate zuſammenzufaſſen. Zur beſſeren Orien-
tirung empfiehlt es ſich, aus der dem Etat
beigegebenen Denkſchrift einige Sätze hier zu
wiederholen.
„Die römiſche Grenzſperre in Deutſch-
land, der Limes, ſchloß die beiden römiſchen
Provinzen Rätien und Obergermanien gegen
das freie Deutſchland ab in einer Geſammit-
länge von rund 550 Km. Der rätiſche Limes,
178 @m. lang, verläßzt bei Hienheim, weſt-
lich von Regensburg, die bis dahin die
Grenzdeckung bildende Donau und endet öſt-
lich von Stuttgart bei Lorch. Er beſteht
ans einer mit Thürmen beſetzten Mauer,
vom Volk der Pfahl oder die Teufelsmauer
genannt, welche auf weite Strecken noch jetzt
mehrere Fuß hoch aufrecht ſteht. Wahr-
ſcheinlich lief vor ihr kein Graͤben. Hinker
ihr befanden ſich naͤmentlich an den natür-
lichen Durchgängen, zum Theil aber auch
in weiterer Entfernung, Kaſtelle, deren Ver-
hältniß zu der Mauerlinie ſowie zu dem
Straßennetze zwiſchen der Mauer und der
Donau überhaupt, vor allem aber in Bayern
noch weiterer Auſklärung bedarf. Der ober-
germaniſche Limes, 372 Km. lang, läuft
von Lorch bis nach Rheinbrohl bei Ander-
nad, das heißt läugs der ganzen Oſtgrenze
der Provinz, die dort am Binztbach endigt.
Die anſchließende Provinz Untergermanien,
anS deren rechtsrheiniſchen Gebieten Kaijer
Claudius um die Mitte des erſten Jahrhunderts die
Beſatzungen zurückzog, iſt ohne ſolchen Limes; für fie
wird in ihrer ganzen Ausdehnung bis nach Leyden hin
der Grenzſchus durch den Bheinſtrom gebildet. Ber
obergermanifche Limes iſt ein Erddamm mit vorliegendem
Hraben. An den rätiſchen im rechten Winkel anſchließend,
läuft er zunächſt in ſchnurgerader Richtung über Berg
und Thal in einer Länge von ungefaͤhr SO Km. bi8
vor Walldürn und erreicht von dort mit einigen Kurven
den Main bei Miltenberg. Von hier bis Großkrogen:
burg (46 Km.) bildet dieſer Fluß ſelbſt die Grenze.
Der dann wieder eintretende Wall umſpannt in einem
bis gegen Gießen vorſpringenden Bogen die Wetterau
und gewinnt unweit Butzbach die Hoͤhe des Taunus,
dem er bis in die Nähe von Wiesbaden folgt. Von da
thal bei Ems überſchreitend und das Neuwieder Becken
einſchließend. bis an die oben bezeichnete Provinzial-
grenze bei Rheinbrohl. Dieſer obergermaniſche Limes
beſteht in ſeiner ganzen Länge aus einer Kette von Ka-
ſtellen und Wachkthürmen. Die Kaſtelle, hier größten-
theils nachgewieſen, liegen einwärts vom Wall, meiſtens
in der Entfernung von 50 bis 400 Meter. Der Abſtand
der Kaſtelle unter einander beträgt auf der Linie Lorch-
Walldurn 10 — 16, weiter noͤrdlich 8—9 Km., das heißt
nach römiſcher Ordnung ungefähr einen haiben Tage-
marſch. Die Wachtthuͤrme, welche dieſe Kaſtelle mit
einander verbinden, liegen durchſchnittlich 30 Meter ein-
wärts vom Wall und ſind ungefähr auf eine halbe rö-
miſche Meile (— 739 Meter) von einaͤnder diſtanzitt.
Diefe Poſten ſcheinen auf Trompetenſignale aufgeftellt
geweſen zu ſein, vielleicht auch durch Feuerſignaldienſt
mit einander kommunizirt zu haben.“
Neben dem Limes von Obergermanien läuft übrigens
noch eine zweite ähnliche Linie, die von dem zuerſt bei
Erbach entdeckten Abſchnitt her den Namen der Nüm-
linglinie führt. Sie geht von Kannſtatt an bis Gun-
delsheim am Neckar, läuft dann auf der Waſſerſcheide
zwiſchen Neckar und Main und erſtreckt ſich wahrſchein-
lich ſüdlich bis nach Rottweil, nördlich bis zur Wetterau.
Dieſe Linie iſt aber nicht durch Wall und Graben oder
eine Mauer, ſondern nur durch Kaſtelle geſchützt, die
unter einander durch Wachtthürme verbunden ſind.
Wann und zu welchem Zweck dieſe ſämmtlichen Be-
feſtigungen angelegt ſind, darüber iſt uns nichts über-
liefert, während für die ganz ähnlichen aber viel kürzeren
Befeſtigungen in Britannien die Nachrichten
reichlicher fließen; ebenſowenig wußten wir,
„ob und welche kriegeriſchen Aktionen der
Ausführung dieſer gewaltigen Grenzwerke
vorausgingen, nichts von den Beſatzungs-
truppen, deren verſchiedener Stärke und Dis-
lokation, von den mit den Limites verbun-
denen Straßennetzen und vor allem auch
nichts von dem Zuſammenhang der einzelnen
Linien, namentlich auch der Doppellinie,
und ihrem Zweck gerade in dieſen Gegenden.“
Bei dieſer Sachlage war eine genaue
Unterſuchung des ganzen gewaltigen Römer-
werkes dringend geboten; man durfte erwar-
ten, nicht blos die Zeit der Anlage, ihren
Zweck und ihre Einrichtung im Einzelnen
zu erkennen, ſondern konnte ſich auch der
Hoffnung hingeben, daß durch Aufhellung
dieſes Theils der römiſchen Geſchichte zu?
gleich auch die Geſchichte unſerer eigenen
Vorfahren aufgeklärt werden würde. Ver-
ſuche, den Limes zu erforſchen, waren ſchon
zahlreich gemacht, von den fünf Staaten ſo-
wohl, durch deren Gebiet ſich die Wälle
ziehen, als durch gelehrte Vereine und Ge-
ſellſchaften, aber durch die Zerſplitterung
und durch das wegen der Beſchränktheit der
Mittel erfolgte frühzeitige Abbrechen der
Unterſuchung war oft mehr Schaden als
Vutzen geſtiftet worden. Da iſt gemeinſames
Vorgehen und vereinigtes Wirken dringend
geboten; erſt dadurch, daß denſelben Männern
die Unterſuchung des ganzen Walls anver-
traut war, konnte man hoffen, auch kleinere
architektoniſche Details zur Beantwortung
der Fragen nach der Aulage der Bauten
heranziehen zu können, nur dann erſt kann
„der Bauſtein vom Neckar Licht geben über den von
der Altmühl und von der Lahn. Und ſo werden Steine
und Erddämme zu redenden Zeugen einer wichtigen
Vergangenheit werden.“ Und am Schluß: „Der Limes
iſt das aͤlteſte große hiſtoriſche Bauwerk, welches Deutſch-
land beſitzt, ſeine Aufklärung ebenſo folgenſchwer für
die Geſchichte des Römerreichs, das nicht bloß an ſeiner
germaniſchen Grenze ſich nach dieſem Syſtem geſchützt
hat, wie für die Urgeſchichte unſeres Vaterlandes. Das
geeinigte Deutſchland wird jetzt nachzuholen haben, was
bei der Ungunſt früherer Zeiten unterblieben iſt. Es
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