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Verbürgte
Auflage 3000.
Verſteigerungen und Alterthumskunde.
Verbürgte
Auflage 3000.
Stutigaxt 1894.
Nr. 24.
vierteljährlich,
Stuttgart, 12, Juni 1895,
Erſcheint woͤchentlich)
3, Jahrgang.
in Preußen.
(Mit 1 Abbildung.)
— —
Den direkten Anlaß zur Abſchaffung
der Folter in Preußen gab der eigen-
thümliche Fall, den wir in Folgendem
erörtern werden.
Noch in den erſten Jahren der
Regierung Friedrich's des Großen wurde
bei Kriminal⸗Unterſuchungen zur Aus-
mittelung eines nicht ſchon hinlänglich
erwieſenen Verbrechens die Tortur in
Anwendnng gebracht.
Den ehemaligen Stelzenkrug in Ber-
lin beſaß eine kinderloſe Wittwe, und in
dieſem wohnte, außer ihr, Niemand als
ein armer Kandidat, welcher ſich davon
nothdürftig ernährte, daß er vom Mor-
gen bis zum Abend Kindern wohlhaben-
der Bürger Unterricht in den erſten Ele-
beſchreibung, Geſchichte, im Rechnen und
Schreiben gab.
Eines Morgens kam die Wittwe
nicht wie gewöhnlich aus ihrer Schlaf-
kammer zum Vorſchein; dies erregte end-
lich Beſorgniſſe, und als man die Thür
dieſer Kammer öffnete, fand man die
Wittwe todt in ihrem Bette. Ein um
ihren Hals befindlicher Strick ließ keinen
Zweifel (ſagt der Bericht, auf den wir
uns ſtützen) daß ſie erdroſſelt ſein müßte.
Auf die diesfällige Anzeige an die
obrigkeitliche Behörde, veranlaͤßte dieſe
ſogleich, den einzigen Hausgenoſſen der
Ermordeten, den Kaͤndidaten, vorfordern
zu laſſen, um ihn zu vernehmen, ob er
über dieſen Mord keine nähere Auskunft,
zur Ausmittelung und Haͤbhaftwerdung
des Thäters, angeben könnte.
Des Kandidaten Zimmer war eben-
falls verſchloſſen und er nicht aufzufinden.
Nach Verlauf von einigen Stunden kam
er in ſeine Wohnung zurück. Er wurde
ſogleich vor den Richter geführt und über
die Mordthat vernommen. Er verſicherte,
daß er darüber nicht die mindeſte Aus-
kunft geben könne, indem er die Nacht
gar nicht in ſeinem Quartier geweſen
ſei. — Auf Befragen, wo er ſolche denn
zugebracht? antwortete er: er habe geſtern
einen Freund, einen Landgeiſtlichen, einige
Meilen von Berlin wohnhaft, beſucht,
und die Nacht auf dem Felde zubringen müſſen. Dieſer
Umftand, und da er ſchlechterdings nicht im Stande war,
die nächtliche Abweſenheit außer dem Hauſe gehörig zu
beweiſen, machte ihn des Mordes verdaͤchtig; er wurde
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Auf der Folterbank. Cext oben.)
daher ſogleich verhaftet, und der That beſchuldigt. Er
leugnete ſolche ſtandhaft, indeß achtete man darauf nicht
und trug kein Bedenken, um ihn zum Geſtändniß zu
I
ganze Stadt. Am meiſten erſtaunten und
erſchracken aber diejenigen, die den Kan-
didaten ſo viele Jahre als Hauslehrer ge-
kannt, und ihn wegen ſeines ſtillen, from-
men Weſens und ſeiner liebreichen Be-
handlung ſeiner Schüler, ſehr lieb ge-
wonnen hatten. Sie hielten ihn eines
ſolchen Frevels ganz unfähig und beſchloſ-
ſen, in einer Deputation ſich deßhalb an
den damaligen Großkanzler von Eocceji
zu wenden, um ihn darauf aufmerkſam
zu machen, wie es höchſt wahrſcheinlich
fei, daß dem Kandidaten, bei einem ſo
lange unbeſcholtenen Lebenswandel, nur
durch die Schmerzen der Folter ein Ge-
ſtändniß erpreßt worden ſei, das keines-
wegs auf Wahrheit beruhen könne.
Cocceji hörte die Abgeordneten ruhig
an, und entließ ſolche ſehr human, mit
dem Troſte, daß er ihre Winke gewiß be-
rückſichtigen werde. Er ließ es auch nicht
bei dieſer Verſicherung bewenden, ſondern
forderte ſogleich die über dieſen Mord
und über die wider den Kandidaten ver-
hängte Unterſuchung verhandelten Ak-
ten ein.
Bei genauer Durchſicht fand er, daß
man noch nicht gehörig unterſucht, ob
nicht etwa die Wittwe ſich ſelbſt erdroſſelt
habe, und er verfügte zu dieſem Ende
eine neue Beſichtigung der Leiche, die man
— bei einem vormals herrſchenden Vor-
urtheile — nicht zu berühren gewagt.
Zu dieſer Beſichtigung wurde der Scharf-
richter in Berlin zugezogen, um über die
Erdroſſelung ſein Gutachten abzugeben.
Er erklärte: Die Ermordete ſei durch
einen kunſtgerechten Knoten erwürgt
worden. Cocceji fiel dieſes Beiwort auf.
Er ließ den Scharfrichter zu ſich beſchei-
den, und fragte ihn, was er unter dem
Worte „kunſtgexecht“ verſtände?
„Es iſt eine eigene Art, in einen
Strick einen Knoten zu ſchürzen, wenn
von uns gehängt werden ſoll, wodurch
dieſer gewaͤltſame Tod beſchleunigt und
erleichtert wird.“
„Iſt denn dabei etwas ganz Künſt-
liches?“ fragte Coccejii. „Das wohl
nicht,“ verſetzie der Scharfrichter: „aͤber
es iſt doch ein beſonderer Kunſtgriff, der
nur denjenigen bekannt ſein kann, welche
zum Metier gehören.“
Dieſen Umſtand beachtend, ließ nun-
Es wurde auch bald aus-
— —