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Antiquitäten-Zeitung — 3.1895

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Nr. 24 (12. Juni)
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Seite 186. Antiquitäten⸗Zeitung

in Stuttgart, Zentral⸗Organ für Sammelweſen


Nr. 24.

gemittelt, daß zwei Scharfrichterknechte aus Spandow
an dem Abend, wo in der darauf folgenden Nacht der
Mord verübt worden, nach Berlin gekommen. Es waren
die leiblichen Brüder der Ermordeken. Sie wurden auf
ſeinen Befehl verhaftet und bekannten die That. Sie
hatten ihre Schweſter erdroſſelt, um, als die nächſten
Erben ihres Vermögens, deſto früher zu deſſen Beſitz
zu gelangen.

Auf Coccejils diesfallſigen Bericht an
Friedrich den Zweiten, unterſagte dieſer
fogleich die Anwendung der Tortkur in ſeinen
Staaten. Friedrich hat das Andenken Cocceji's durch
deſſen Marmorbüſte, die er auf dem Hofe des Kammer-
gerichts in Berlin aufſtellen laſſen, noch geehrt, und
wenn er auch ſonſt keine Verdienſte um die juriſtiſche
Juſtiz-Pflege hätte, verdient er doch ſchon dieſerhalb ein
ſolches Denkmal. Wie vielen wird es errichtet, weil ſie
viele Tauſende in den Tod geführt; der biedere Cocceii
hat aber viele Tauſende von dem ſchmerzvollen Tode
der Verbrecher gerettet, die früher als Märtyrer einer
grauſamen Juſtizverwaltung hingerichtet worden ſind.

Unſere Illuſtration (ſiehe Titelſeite) zeigt die Fol-
terbank, auf welcher ein Angeklagter mit Stricken feſt-
gebunden iſt. Es wird ihm Waſſer eingefüllt, um ihn
zum Geſtändniß zu bringen. Gewöhnliche Form der
peinlichen Befragung im Pariſer Gerichtsſprengel, die
mit dem Spaniſchen Bocke (le Tréteau) und anderen
Martern verbunden ward. Vorgeſchrieben waren für
den erſten Grad ſechs Kannen Waſſer (six pots d'eau
oder zwölf Pinten, ungefähr zehn Liter). Ort der
Handlung: die Marterkammer, eine Halle im Gerichts-
gebäude; die Operation vollzieht der Scharfrichter mit
einem Folterknechte vor dem Richter, der, den Richter-
ſtab in der Hand, mit zwei Beiſitzern die Unterſuchung
führt; ein Gerichtsſchreiber nimmt den Vorgang zu Pro-
tokoll. Macht der Gefolterte ein Zeichen, daß er bekennen
wolle, ſo wird die Tortur unterbrochen und er über die
im Erkenntniß feſtgeſetzten Torturalfragen vernommen;
leugnet er von Neuem, die Tortur fortgeſetzt. Das
Waſſer war gewöhnlich nicht rein, ſondern mit Lauge
verſetzt. Fakſimile eines Holzſchnittes in dem Haupt-
werke des niederländiſchen Kriminaliſten Jodocus Dam-
houderius über das Strafverfahren ſeiner Zeit: Practica
Rerum Criminalium (Antwerpen, 1556).

Aus dem alten Frankfurt.

(Briefe eines Handlungslehrlings in Frankfurt
an ſeine Schweſter.)
(Schluß.)
Liebe Schweſter!

Vor lauter Arbeit weis ich gar nicht, wo mir der
Kopf ſteht? von wegen der Chriſttagen! Alle Tage
von Morgens bis Abends 9 im Laden; kaum Zeit zum
Mittageſſen hatte ich manchmal, — was doch auch ſein
muß, — und in kein Theater bin ich in 14 Tagen nicht
gekommen. Du ſtellſt Dirs gar nicht vor, was das
hier mit dem Ehriſtkindchen ein Specktakel iſt? Die
Läden in der Stadt ſind alle merkwürdig aufgeputzt
und zum Empfang der Käufer herausgeſtrichen, be-
ſonders aber mit Fußdecken verſehen und geheitzt, ſo
daß die Leute nicht gleich wieder für Kälte fortlaufen
müſſen, wenn ſie vor fl. 3. 30 kr. gekauft haben, ſon-
dern daß es hübſch karolinenweis geht. Wo ſie hin-


mit den ſcharmanteſten Geſichtern und der größten Höf-
lichkeit gezeigt. Wenn einer, — wie es vielẽ macdhen, —
nur für fl. 2. kauft und ſchmeißt einen ganzen Laden
durcheinander, ſo macht ihm der Kaufmann noch ein
freundlich Geſicht und ercuſirt ſich dazu, daß er ihm ſo
viel Mühe gemacht hat.

Das will eben alles gelernt ſein, darum heißt's:
aufgepaßt. Wie elegant wird nicht alles eingepaͤckt?
hat einer nur Schmierſeife zu verkaufen, ſo präſentirt
er ſelhe in roſenfarbichten Papier, und wennis ſo fort
geht, ſo wickeln noch die Metzger ihre dürre Bratwürſte
in ſchoͤner Papier, als das von der irrländiſchen Lein:
wand. Bei den langen Waaren- und Kleincaillerie-
händlern da kann man mit Recht ſagen, — wie der
Mamſell Sophie Meerkauf ihr Doktor als von den Leuten
jagt: „e3 ſtrebt altes nach Auſſen;“ denn das
Beſte was ſie haben, das hängen ſie hexaus, ſo daß
manche mehr draußen im Glaskaſten haben, als inmnn:-
wendig im Laden.. Viele davon, die haben, {o zu ſagen,
gar keine Läden, die ſind mit ihrer ganzen Buͤtik blos
unter Glas und Rahmen wie eine Schilderei. Einige
Buchhändler kommen auch nach und nach auf die Gaß;
die Tuchhändler ſind jetzt zahm, deſto wilder ſind die
Schneider; das ſind auch Tuchhändler, — ſie handela
mit gemachtem, — da geht aber alles recht ſolid inn-
wendig vor ſich. So kurz vor den Chriſttagen da ſieht
man ſchon des Morgens in aller Früh um 9 Uhr, die
Madamen zu zwei und dritt, auch truppweiß im dreckig-
ſten Wetter zu Fuß herum trawatſchen; da gehts voͤn
Laden zu Laden — Gott bewahre einem vor ſo einer


dern vor denen 3 oder 4 die kaufen helfen, — das
ſind die ſchlimmſten. Das iſt ein Ausſuchens, das nimnit
kein Ende, — nicht Hände genug die Pakketer wieder
zuzumachen. — Ach; und das Gebabbel, bis ſo ein
Stück Waar dem Tempel draus iſt; mit unter gehts dann
auch franzöſiſch, das meinen ſie verſtünd man nicht;
wenn's von deren Sorte iſt, verſteht man's ja; es iſt
aber immer einerlei; nämlich wenn ich 6 Guͤlden for-
dere, ſo ſagt eine von denen die kaufen hilft zur
Käuferin; cinq est aussi assez, d. h. fünf iſt auch ge-
nug, ma bonne; ſo heißen ſich die Frauenzimmer ein-
ander auf franzöſiſch, ſie mögen nun bon oder nicht
von oder von Bonn oder von Coblenz ſein. Wenn's
nun gar an's Bezahlen geht, da ſteht man erſt aus;
das Geld das haben ſie in einem Zippel vom Sacktuch
eingewickelt und gewöhnlich knöpfein ſie nicht ſo viel
ein als ſie brauchen, da bleiben ſie denn iminer 6 bis
S Kreuzer ſchuldig oder mit andern Worten, man muß
es ihnen ſo viel wohlfeiler geben. So wie ich jetzt eine
ſehe die das Geld im Sacktuch hat, wird, ohnẽ Weiters
12 Kreuzer vorgeſchlagen. Oder paſſirt es einem gar

wie neulich mit einer, die hatte bei ihrem Geld kein
Schatullenſchlüſſelchen, aber einen altdeutſchen Haus-
ſchlüſſel eingeknöpft, beim Bezahlen fällt ihr der heraus
und zerbricht einen Glaskaſten a fl. 7. 30. — ſoll man
darüber nicht aus der Haut fahren? — Eben wollt ich
Lärm ſchlagen, da kommt der Herr Merkauf, exkuſirend
und ſtumpft mich mit einer Ehle in die Seite, als wollt'
er mir etwas zu verſtehen geben, und ſteckt mir auch
wirklich; daß bei dieſem Frauenzimmer alles eingerech-
net wird. Mein' ich denn er hätt's eingerechnet? Zwölf
Dutzend gemiſche Schwefelhölzer, die er nur aus Ge-
fälligkeit führt hat er ihr, per Duzzend a 48 Kr. auf-
gehenkt.

In unſerem Haus kriegt auch alles Chriſtkindchen,
die Mägde und der Hausknecht; ich hab auch etwas be-
kommen, rath' einmal! die 7 Mädchen in Uniform die
haben die hieſigen Konditor ganz ähnlich in Brenten-
teig gemacht, — da kann man ſagen, die Konditorei des
1oten Jahrhundert iſt eine Kunſt, — ſo etwas ſoll
einmal unſer Herr Wermacker machen, der meint ein
Marzipan mit Figuren wäre, wie er ſagt, ſchon ein
palaſtiſch Kunſtwerk. Den Korporal den hab' ich gleich
aufgefreſſen das nimmt mir in Frankfurt gewiß nie-
mand übel. — Es iſt übrigens mit dem Beſcheeren ſo
arg, daß ſogar Juden beſchert haben. Denk einmal!

Mit dem Neujahr da iſt es erſt ein Teufelsding.
da weiß man gar nicht alles, wer ein Neujahr kriegt;
mich hats ein Sündengeld gekoſtet, den Herrn Merkauf
aber noch ein gut Thellchen mehr, dem haben wir alle
Neujährer den Neujahrsabend, ehe wir hinauf zum
Thee gedurft haben, einwickeln und überſchreiben müſſen,
das haͤt bis netto 9 Uhr gedauert. Es wird ausgetheilt
von oben bis unten, vom Thürmer bis zum Kerſchel-
mann. Manche von denen Gratulanten fordern es ſehr
unartig — die Thürmer, die Lampenfüller, und die
Nachtwächter bei denen iſt es eine Gerechtigkeit. Der
Mamſell Sophie ihr Doktor, der iſt ein Naͤturforſcher
in Alterthümern, — denn wenn man ihn reden hört,
ſo meint man, er wär' ſchon vor 3000 Jahr einmal
auf der Welt geweſen, — der hats uns einmal bei
Tiſch am Familientag erklärt, woher das Neujahr von
den Nachtwächtern kommt. Er ſagt das käme von denen
unſchuldigen guten alten Zeiten her, wo die jungen
Herrn zu den Frauenzimmern mit Strickleitern in die
Fenſter geſtiegen ſein, — was man jetzt nur noch in
der Komödie ſieht. Da hätten die Väter, die ſchöne
Töchter gehabt hätten, dem Nachtwächter ein Neujahr
gegeben, damit er hübſch aufgepaßt; wie das ruchbar
geworden ſei, da hätten die Väler von garſtigen Töchtern,
daran ſolls' damals auch nicht gefehlt haben, — das
Neujahr auch gegeben; da hättens denn alle Väter
gegeben, und die Liebhaber, die in der Regel generöſer
als die Väter ſind, die wären auch nicht zukückgeblieben,
ſo hats denn nach und nach ein jeder gegeben! und ſo
kam's denn, daß die Nächtwächter nicht jedem eine abarte
Wurſt braten konnten, ſondern die Häuſer wieder alle
über einen Kamm ſcheeren mußten. Von den Hand-
werkern im Haus kriegt nur der Schornſteinfeger, wa-
rum der Tapezier nicht auch? denn Feuersbruͤnſte ſind
eben ſo oft durch Vorhänge, als durch Ruß im Schorn-
ſtein entſtanden. Sonſt geht aber keine Zunft ſo ſtark
herum, als die Drathzieher, — ſo heißt man für
Jur eben die, die an allen Häuſern ſchellen und die
Hand aufhalten.

Vor mehreren Jahren, wo die Leute vor lauter
altdeutſcher Redlichkeit ſo grob geworden ſind und das
Hutabziehen abgeſchafft haben, da haben ſie auch die
Gratulierung mit Viſttenkarten abgeſchafft, aber es hat
nicht Stand gehalten, und jetzt iſt es wieder ſo toll
geworden wie vorher, — die Bedienten laufen wie be-
ſeſſen in der Stadt herum: in einem gewiſſen Bierhaus
da iſt ihre Börſe, wo die großen Papiergeſchäfte ge-
macht werden, da halten ſie am er ſten Januar ihren
ultimo und tauſchen ihre Karten aus. Wenn z. B. der
Johann vom Herrn Dissentier 4 Billet zum Herrn
Lippeler zu tragen hat, ſo giebt er die 4 Billet dem
Anton vom Herrn Kippeler, der giebt ihm dagegen die,
ſo er für den Herrn Bissentier hat. Iſt der Bedienten-
eongreß aus, ſo ſind jede Herrſchaft ihre Billet in der
ſchönſten Ordnung zu Hauſe. Im übrigen ſieht's am
Neujahrstag ganz militäriſch aus, alles gratuliert in
Uniform — wer eine hat, — und Cavalerie zu
Pferd, die geben aber gewiß ihre Karten unten am
Haus ab.

Man müßte hinten und vornen Augen haben, wenn
man alles ſehen wollte, was auf der Gaſſe vorgeht.
Die vielen Kutſchen die hin und her fahren in ihrer
Staatslivree, worinn ſich Frankfurt gewiß am meiften
zeigen kann; das gewaltige Bürgermilitär; die Tambour
die das Neujahr antrommeln, das Anſchießen wird
jedesmal friſch verboten, — die diverse Graͤtulanten,
die vielen ſchönen Damen im Putz. Da paradiren die
Pelzmäntel, Shawls, Ueberröcke, Federhüte, Marabouts
und Broncegeſchmeide, welches das Chriſtkindchen ge-
bracht hat; und wahrſcheinlich es ſähen die meiſten
noch einmal ſo ſchön aus, wenn ſie die blaſſen Ge-
ſichter von der Neujahrsnacht nicht hätten; aber blaß
ſoll ja ſchön ſein, — mir gefällt's nicht, ſo wenig wie
die langen Taljen und meſchanten großen Locken! Ich
fange an zu merken, liebe Schweſter, daß ich Dir
eigentlich gar nichts geſchrieben, als dummes Zeug
ich will mich erſt noch ein bischen hier umſehen, und
dann verſpreche ich Dir das nächſtemal einer recht ver-
ſtändigen Brief über diverse Gegenſtände zu ſchreiben.
Unter Anwünſchung eines glückſeeligen Neujahrs verharre

Frankfurt den 8. Januar 1826.

Dein lieber Bruder
Georg Schwengelhäuſer.

Berichte aus Vereinen.

Stuttgart. (Kerner⸗Verein.) Am 6.
Juni wurde dahier ein Kerner-Verein
z gegründet und der Oberreallehrer a. D.
Th. Beyttenmiller zum Vorſtand des-
ſelben gewählt. Juſtinus Kerner, ein
hervorraͤgender Vertreter der Schwäbiſchen

TEL Dichterihule, geb. 1786 zu Cudwigshurg,
geſt. 1862 zu Weinsberg, im Volke namentlich bekannt

durch die Gedichte „Der reichſte Fürſt“, „Kaiſer Rudolph's
Ritt zum Grabe“, „Wohlauf noch getrunken den fun-
kelnden Wein“, und durch ſeine Schriften über „die
Seherin von Prevorſt“, wird durch dieſen neuen Verein
eine Heimſtätte erhalten, in welcher ſein Andenken geehrt,
die Verbreitung ſeiner Schriften gefördert und Erinne-
rungsſtücke gefammelt werden ſollen. Beitrittserklä-
rungen aus dem ganzen Reiche ꝛc. ſind an obengenannten
Vorſtand zu richten. Siehe auch das Inſerat, Juſtinus
Kerner betreffend.

Marbach a. N., (Schillerverein) S. M. der
König hat für die Zwecke des in Bildung begriffenen
Schwäbiſchen Schillerbereins die Oberhofkaſſe angewieſen,
einen perſönlichen Stiftungsbeitrag von 5000 Mk. an-
zubezahlen. Für dieſe ſo bedeutende Zuwendung hat
Stadtſchultheiß Haffner den freudigen Dank der Stadt
und des Schillervereins ausgeſprochen. — Ein Herr aus
Ludwigsburg, der ungenannt bleiben will, hat vor eini-
gen Tagen an den Vorſtand des Schillervereins tauſend
Mark „zu einem Schillermuſeum in Marbach mit tauſend
Freuden“ geſandt, und nach erhaltenem Dankſchreiben
noch weitere 2000 Mark hinzugefügt. Ein durch ſeine
werthvollen und mannigfachen Stiftungen bekannter
Stuttgarter Herr hat ſich bereit erklärt, einen jährlichen
Beitrag von 1000 Mark zum gleichen Zwecke zu leiſten.
Jeden Tag laufen Beitrittserklaͤrungen zum Schwäbiſchen
Schillerverein ein.

Metz, Lothringen. (Geſellſchaft für lothr. Geſchichte
und Alterthumskunde.) Mit vielem Intereſſe hörte die
Verſammlung der Verleſung eines Aufſatzes des Poſt-
direktors Römmich über die Geſchichte der Steingut-
und Porzellanfabrik in Niederweiler zu. Soweit aus den
beſtehenden Urkunden erſichtlich, reicht die Gründung
und Inbetriebſetzung dieſer Fabrik in die erſte Hälftẽ
des achtzehnten Jaͤhrhunderts. Urſprünglich befaßzten
ſich die Fabrikheſitzer ebenfalls mit feineren Porzellan-
arbeiten, wie kleineren Statuen u. ſ. w. Eine Anzahl
ſolcher Statuen waren zur Anſicht im Sitzungsſaale auf-
geſtellt worden. Gegenwärtig beſchränkt ſich die Fabrika-
tion einzig auf Steingutwaaren.

Bibliotheken, Sammlungen,
Muſeen, Ausſtellungen.

2 2 Wien. Eine Gemäldegalerie um
— ] 5000 fl.) — Ein Murillo zu 20 {L,
— (Niederländer zu 10 und 15 fl. — Unter

w diejer Spitzmarke berichtet das Neue
N Wiener Tagblatt über folgenden mert-=
LF& würdigen Vorfall: Man wird es gewiß

SS Z mit Staunen leſen und kaum glauben
wollen, daß in der allerletzten Zeit in Wien Gemälde
von einem ſo berühmten Meiſter wie Murillo mit 20
fl., Niedexländer mit 10 und 15 fl., ein Tizian mit 200
fl., ein Lionardo da Vinci mit 100 fl. — gerichtlich ab-
geſchätzt wurden. Denn es iſt ja allgemein bekannt,
daß alte Niederländer mit vielen hunderten, wenn nicht
mit tauſenden von Gulden bezahlt werden, während Ori-
ginale von Tizian nicht unker 25,000 bis 50,000 fl,
von Murillo vielleicht noch etwas theurer und Gemälde
von Leonardo da Vinci überhaupt kaum mehr zu haben
find. Und doch iſt es, wie geſagt, vorgekommen, daß
für die hezeichneten alten Meiſter derarlige Schätzungs-
preiſe aufgeſtellt worden ſind! So kam es denn, daß die
Galerie eines bekannten Wiener Malers, die unter ihren
70 Nummeru den genannten Meiſtern zugeſchriebene
Bemälde enthält, zuſammen mit kaum 5000 fl. abge-
ſchätzt wurde — im Gegenſatz zu den Schätzungen von
Kunſtkennern, welche die Sammlung mit 200,000 {
und noch darüber hinaus hewertheten! Angeſichts dieſer
ſo grundherſchiedenen Sachverſtändigenurtheile hat ſich
nın ein Prozeß entſponnen, der in mehrfacher Beziehung
Anſpruch auf Intereſſe erheben darf.

Die Gemäldegalexie, von der hier die Rede iſt, iſt,
wie ſchon bemerkt, Eigenthum eines bekannten Malers,.
der dieſelbe vor zwei Jahren einen hieſigen Kunſthänd-
ler gegen ein Daxlehen von 55,000 fl. als Fauſtpfand
übergeben hat. Der betreffende Kunſthändler hatte die
Sammlung wiederholt von Fachmännern abſchätzen laſſen,
die den Werth der Galerie mit 200,000 fl. und 350,000
fl. taxirten; ein Fachmann, der beſonders rigoros war,
ſchätzte die Sammlung auf 100, 000 fl.

Im Japuar d. 5 hätte der Maler, der für ſein
Darlehen 9 Prozent Zinſen zahlte und ſchon wiederholt
die Zahlungstermine nicht eingehalten hatte, das Pfand
gegen Riickerſtattung des Darlehens wieder in Empfang
nehmen ſollen. Allein er war auch diesmal nicht im
Stande, die Schuld an den Gläubiger abzutragen.
Dieſer ſchritt darauf um die exukutive Feilbietung der
bei ihm verp fändeten Sammlung ein und vom Gerichte,
welches dem geſtellten Begehren natürlich ſtattgeben
mußte, wurden zwei Sgchberſtändige — beeidete Wiener
Schätzmeiſter — mit Abſchätzung der Galerie betraut.
Dieſelben nahmen nun die Sanimlung in Augenſchein
und ſchätzten Bild für Bild ab — die Art und Weiſe,
wie dies geſchah, geht aus dem Protokoll hervor, welches
ſe hierüber gemeinſchaftlich verfaßt haben. In dieſent
Protokoll wird nämlich kein einziges der Gemälde als
Copie oder Falſifikat bezeichnet; aus der ganzen Faſſung
des Schriftſtückes ergibt ſich vielmehr unzweideutig, daß
die Sachverſtändigen die Aechtheit der Bilder im Allge-
meinen nicht anzweifelten. Bei einigen für Rembraudt
gehaltenen Gemälden hoben ſie ausdrücklich hervor, daß
hier nur „Rembraudt⸗Schule“ vorliege; e würden ſo-
mit auch bei den Tizian, Murillo 2C., wenn ſie ſie nicht
für ächt gehalten hätten, ihrem Verdachte Ausdruck ge-
geben haben. Das thaten iſie aber mit keiner einzigen
Silbe; ihre Schätzungen aber, die gewiß einzig ihrer
Art daſtehen, lauten beiſpielsweiſe folgendermaßzen:

Tizian: „Verkündigung Mariae“ : 200 fl.
Murillo: „Anbetung Jẽſu“: 20 fl.
Lionardo da Vinci: „Die Heilige Familie“: 100 fl.
Paul Veroneſe: „Chriſtus und die Samaͤritaͤ—
— ——
Salvator Roſa: Eine Landſchaft: 100 fl.
Morone: Poxträt eines Diplomaten: 500 fl.
Tintoretto: Porträt eines Senators: 300 {l.
Antonello da Meſſina: Chriſtuskopf: 50l.
 
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