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Antiquitäten-Zeitung — 3.1895

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Nr. 30 (24. Juli)
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https://doi.org/10.11588/diglit.61393#0237
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Verbürgte-

Auflage 3000.




Verſteig?kungen und Alterthumskunde.

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Verbürgte

Auflage 3000.

Stutlgart 1894.


Abonuement:
Deutſchland u. Defterreih M 2.50
vierteljährlich, Ausland A 3.—.

Nr. 30.

Stuttgart, 24. Juli 1895,

Erſche int wöchentlich)

Auzeigen:
Die Nonpareilezeile oder deren
Raum 20 Pfg., Auttionen 30 Pfg.

3, Jahrgang.

Die Nachbildnerei im Römiſch-
Germaniſchen Muſeum
zu Mainz.

Von Joſ. Steigerwald.
Naͤchdruck verboten)

Geht man durch die Muſeen und beſchaut die aus-
geſtellten Gegenſtände aus der römiſch-fränkiſchen Zeit,
ſo wird man ſtaunen über die Fülle derartiger Fuͤnde.
Aber das ſind alles keine Originale, ſondern durchweg
Nachbildungen! Wohl hat jedes Muſeum auch Originale
aus dieſer Zeit; aber die ſind meiſt in einem beſonderen
Raum aufgeſtellt und als ſolche kenntlich gemacht, wäh-
rend die Etiketten an den Nachbildungen be-
ſagen, wo ſich die Originale befinden

Mit den Originalen allein die Muſeen
zu füllen und beiſpielsweiſe einen umfaſſen-
den Ueberblick über die Waffen, Kleider und
Geräthe der Römer und Franken zu geben,
iſt nicht einmal gut dotirten Muſeen in den
Haupt⸗ Zentralen möglich.

Trotzdem aber bieten jetzt auch die Mu-
ſeen von Provinzialſtädten ſolch' umfaſſende
Sammlungen, die jedoch nur durch Nachbil-
dungen zu ermöglichen waren und auf die
Dauer vervollſtändigt werden können. Ori-
ginale Fundſtücke, wie die ſeltenen vorrö-
miſchen Helme und Broneeſchwerter, ſind ſehr
theuer, da ſie nur da, wo früher römiſche
Kaſtelle ſich befanden, bei Ausgrabungen, zu-
meiſt aber durch Baggerungen im Flußbett
hin und wieder zu Tage gefördert werden.
Aber gerade in ſolchen Fällen ſind e& Händ-
ler, welche unter der Hand dieſe Stücke er-
werben und an Private weiterverkaufen,
weil ſich die Finder ſtets ſcheuen, ihre Funde
den Muſeen anzubieten; ſie meinen, man zahle
da zu wenig oder beſchlagnahme die Funde
ohne jede Vergütung.

_ Hür die Muſeen iſt nun ein Retter in der Noth
die Nachbildnerei! wofür ſich eine nur dieſem Zweck
dienende Werkſtätte im Kömiſch⸗Germaniſchen Muſeum
zu Mainz befindet. Dieſelbe iſt ſchon ſeit den fünfziger
Jahren in Thätigkeit und wurde begründet von dem
Geſammtverein der deutſchen Geſchichts? und Alterthums-
vereine „zur Aufhellung der Vorgeſchichte Deutſchlands
und ſeiner Berührung mit den Römern bis zur Zeit
Karllà des Großen.“

Der Mit; und Hauptgründer, ſowie der erſte Ar-
beiter dieſer Nachbildnerei war der erſt im Jahre 1893
verſtorhene, weithin bekannte Tirektor Dr. Lindenſchmit,
der mittels Gypsformen die Funde raͤmiſch-fränkiſchen
Urſprungs die ſich theils in und um Mainz, dem ehe-
maligen Moguntiacum der Römer, theils ſonſt im Reiche
und außerhalb desſelben ergaben, vervielfältigte und da-


durch in erſter Linie das Römiſch⸗Germaͤniſche Zentral-

Muſeum in Mainz vervollſtaͤndigte, dann aber auch dieſe
Nachbildungen an andere Muſeen abgab.

Jetzt iſt dieſe Nachbildnerei der Mainzer Werkſtätte
ſo ſehr vervollkommnet, daß ihre Leiſtungen wahrhaft
ſtaunenswerth ſind, ia ſo ſehr, daß für den Nichtkenner
Originale und Nachbildungen nicht zu unterſcheiden
ſind. Es dürfte deßhalb auch weitere Kreiſe intereſſiren,
einiges über dieſe Nachbildnerei zu vernehmen. Da iſt
vor allem die Abformung durch Gelatine, welche Form,
durch Gyps ausgegoſſen, das Original getreu wied ergibt.
Aber nicht nur die bauchigen Auphoren und ſonſtigen
umfangreichen Gegenſtände, wie z. B. römiſche Votiv-
tafeln 2c., werden da vervielfältigt, ſondern auch die


Gewandhalter 2c., bei welchen ein Draht im Innern dem
Gypsüberzug als Halt dient. Dieſer Art der Abform-



(Text Seite 236.)

Dann wandert dex Gypgabguß zu dem Maler, der
ihn nach dem Original mit Farbe verſteht, Gold und


täuſchend wieder auferſtehen läßt. Dieſe Maler haben
eine ſolche Nebung, daß ihnen die Abtönungen der ver-
ſchiedenen Töpfereien oder der verroſteten Waffen, ſo-
wie die Patina der Broncen überraſchend gut gelingen.
Former und Maler arbeiten ſich praktifch in die Haͤnde
und ergänzen ſich gegenſeitig. Da iſt 3. B. diẽ erſt
kürzlich abgeformte Einrichtuug einer bei Speyer ge-
fundenen römiſchen Schmiede: Amboſſe und Zangen,
ganz wie ſie heute noch von den Schmieden gebraucht
werden. Man glaubt, ſchweres Eiſen zu haben, haͤt
aber nur gemalten Gyps; und dabei ſind die Gyps-
zangen genau ſo beweglich wie die Originale! ;
Die Formen werden nummerirt und kommen nach
dem erſten Gebrauch auf's Lager, das nun über 13,000
Nummern umfaßt. Bei Nachbeſtellungen werden die

Nachbildnerei wurde von Napoleon III. für das von
ihm nach dem Muſter des Mainzer Muſeums ge-
gründete Römiſch-Galliſche Muſeum St. Germain
in Paris eingeführt, wozu Direktor Lindenſchmit ſpe-
ziell nach Paris berufen wurde. Derſelbe wurde
gleichzeitig von Napoleon als Rathgeber benützt betreffs
der Bewaffnung der Römer, da der Kaiſer der Franzoſen
damals die Marotte hatte, eine Biographie Caͤſar's zu
ſchreiben. Lindenſchmit erbat ſich als Belohnung die
Erlaubniß, aus den dortigen Muſeen Abgüſſe für das
Mainzer Muſeum machen zu dürfen, welche Erlaubniß
gern gewährt und reichlich ausgenützt wurde.
Gefundene Metallſachen ſind faſt ſtets mit einer
dicken Kruſte von Kies und Roſt überzogen, ſo daß die
urſprüngliche Form kaum kenntlich iſt. Dieſe nun
wieder herzuſtellen, iſt auch eine Spezialität der Werk-

ſtätte. Durch entſprechende Manipulaͤtionen, wobei das
Feilen eine Hauptrolle ſpielt, wird die Kruſte,
ſoweit nöthig, entfernt; von dem abgefeilten
Roſt, fein pulveriſirt, wird ein Kitt bereitet,
mit welchem nicht allein vom Roſt tief aus-
gefreſſene Stellen ausgefüllt, ſondern auch
zerbrochene Stücke, z. B. Degenklingen, zu-
fammengeflickt werden, wobei nur ein unter-
gelegtes Drahtendchen Hülfe leiſtet. Dieſe
Flickſtellen werden ſo hart wie das Metall
ſelbſt und ſind von diefem nicht zu unter-
ſcheiden.

Das Flicken ſpielt überhaupt eine große
Rolle, da die meiſten Gegenſtände ſchon in
Stücken eingeliefert werden; namentlich
Töpfereien kommen in Scherben. Da gilt
es denn, mit Scharfſinn und Geduld die
einzelnen Stücke zu einem Ganzen zu ver-
einigen, wobei als Bindemittel Hauſenblaſe
dient. Ja, es kommt auch nicht ſelten vor,
daß unzerbrochen eingehende Originale, weil
ſehr mürbe, beim Abformen in Stücke gehen.
Die Beſitzer würden verzweifeln, wenn ſie
die Scherben ihrer werthvollen oder doch
als ſolche, geſchätzten Gegenſtände jähen,
Aber die Kunſtfertigkeit der Leute bringt
die Scherben wieder ſo fein zufammen, daß bei der
Rücklieferung der Eigenthümer ſelbſt nichts von der
Flickerei merkt.

Auch werden Funde, die nur aus Theilſtücken be-
ſtehen, ergänzt, ſo daß ſolche halb und halb ächt, zum
anderen Theil aber nachgebildet ſind. Auch bei dieſer
Art Flickerei iſt die höchſte Vollen dung erreicht und der
Uebergang vom Aechten zur Nachbildung nur für ge-
übte Kenner ſichtbar.

Es werden auch Nachbildungen auf dem Wege der
Galvanoplaſt ik hergeſtellt, und es iſt hierbei insbeſondere
die Kunſt zu erwähnen, den Nachbildungen die alten
Broncen eigene Patina zu geben, daß ſie von den Ori-
ginalen kaum zu unterſcheiden ſind. Gerade in dieſer
Beziehung wird eben nach einem (von einem ſchlichten
Arbeiter erfunden) Verfahren gearbeitet, das, in den
Händen gewerbsmaͤßziger Fälſcher, verhängnißvoll für den
Antiquitäten⸗Markt werden könnte.



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