Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Baumeister: das Architektur-Magazin — 9.1911

DOI Heft:
Heft 1
DOI Artikel:
Leixner, Othmar von: Die Stilwandlungen in der Architektur von 1750-1908
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.54602#0014

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
6

DER BAUMEISTER . 1910, OKTOBER.

in W. Kent einen ersten Vertreter
finden sollte. Ostasiatische Gedan-
ken, durch William Chambers ge-
fördert, haben grossen Anteil an die-
sen neuen Bestrebungen genommen.
Es ist dies nicht uninteressant, dass
zu verschiedenen Zeiten der Kunst-
entwicklung gleichzeitig mit dem
Auftreten einer rein klassischen
Richtung sich bei den germanischen
Völkern am tiefsten eine national-
romantische Richtung bemerkbar
macht. Ein klassisches Beispiel da-
für zeigt uns ja das Mittelalter
Frankreichs zur Zeit der Mitte des
XII. Jahrhunderts. Einerseits sehen
wir im Südwesten eine ausgespro-
chen klassische Richtung der Ro-
manik in gleicher Weise,- wie sie
uns im Gebiete von Toskana ent-
gegentritt, eine Richtung, die wir
mit Recht als Protorenaissance be-
zeichnen, gleichzeitig beginnt aber
im Norden Frankreichs eine natura-
listische Schule an Kraft zu ge-
winnen, die vor allem im Ornament
Anschluss an die heimische Flora
sucht und findet und die ja im go-
tischen Stil so trefflich zum Ausdruck
kommt. Auch Frankreich zeigt zur
Zeit der Revolution in eine aus-



gesprochene romantische Richtung
in der Literatur, die mit ihrer Weich-
heit und Sentimentalität voll im Widerspruch zu dieser blut-
dürstigen Zeit steht. So sehen wir zur Wende des XVIII. Jahr-
hunderts zwei ausgeprägte Richtungen bereits vor uns, einer-
seits die Klassik, anderseits die nationale Romantik. Für die
Romantik war aber der Boden noch nicht vollkommen vor-
bereitet, geraume Zeit bedurfte cs noch, bis diese Richtung in
deutschen Landen voll und ganz zum Durchbruch kommen
konnte. Deutschland, das zur Wende des XVIII. Jahrhunderts

♦Mietshaus Mauerkircherstrasse 3, München.
gesellschaftlich kräftiger stand wie Frankreich, konnte jetzt
zum Ausgang einer neuen gesunden Kunstentwicklung
werden. Winkelmann erschien als der erste Vertreter jener
grossen klassischen Richtung, die uns deutsches Können
zeigen sollte. Schon 1755 tritt er mit den „Gedanken über
die Nachahmung der griechischen Werke“ für die griechische
klassische Kunst ein, 1764 beginnt er den Kampf gegen den
Barockstil in seiner Geschichte der Kunst. In Ephraim Lessing
findet er zuerst einen


♦Arcli. Max Neumann, München.

Mietshaus Mauerkircherstrasse 3, München. (Grundriss S. 7.)

grossen Verfechter sei-
ner Ideen. Klassischer
Geist wehte uns aller-
orts entgegen, klassi-
sche Stoffe beherrschen
die Literatur, Goethe
und Schiller sind die
Hauptzeugen dieses
Denkens. In Goethe er-
scheint dann die edelste
Verkörperung der klas-
sischen Formenschön-
heit mit deutschem
Empfinden, deutscher
Tiefe gepaart. Klassik
und Romantik scheinen
sich vielfach die Hände
zu reichen. Voss bringt
den Deutschen die ho-
merischen Epen näher,
neue Bilder, neue Ge-
stalten gebend der Ma-
lerei und Plastik. Die
Musik tritt mit dem
grossen Gluck in das
klassische Geleise ein,
griechische Stoffe sind
es, die er für seine
Musikdramen verwen-
det. Bei ihm erscheint
das erstemal das Ver-
langen nach Einheit der
 
Annotationen