DER BAUMEISTER SB
1925 :: MAI :: H.5 L> L'* %
Der Waldfriedhof von Davos
Arch. RUDOLF GABEREL, B.S.A., Davos
Die Idee des Waldfriedhofes ist nicht allein aus einer Ableh-
nung der großstädtischen Gräberanlagen hervorgegangen, die
in ihrer mißtönenden Vielstimmigkeit von der tragischen Rat-
losigkeit des gegenwärtigen Menschen zeugen, was er mit
seinen Toten beginnen solle. Sie ist vielmehr ebensosehr aus
dem dunklen Drang geboren, die Cäsur des Todes zu über-
brücken, das dahingegangene, individuelle Leben in den großen
Zusammenhang des Naturgeschehens von Vergehen und Wer-
den einzubetten und damit aus dem Ende einen neuen Anfang
zu machen. Es wird also immer die Aufgabe des Waldfried-
hofes sein, sinnfällig auszudrücken: ,von der Erde genommen,
der Erde gegeben“, und inwieweit es einer Anlage gelingt,
eine überzeugende architektonische Lösung in möglichster
Nähe der Natur zu finden, ja die Natur selbst, nur reiner
gestimmt, geklärter darzustellen, daran wird das Gelingen
einer solchen Aufgabe vor allem zu messen sein. Weil dies
bei dem Davoser Waldfriedhöf in besonders glücklicher Weise
erreicht ist, erreicht im Rahmen bescheidener Mittel, die auch
kleineren Gemeinwesen erschwinglich sind, soll er hier gezeigt
werden.
Es ist die ideale Konstellation für den Architekten, wenn
er nicht erst mit der Verwertung einer festgelegten Situation
zu beginnen hat, sondern die Auswahl des Geländes schon
sein eigenster Fund ist. Dieser Vorgang, vergleichbar mit dem
Herauslösen eines dichterischen Motives aus dem Rohstoffe
des Lebens, ist ein schöpferischer Akt und der Ausgang der
Gestaltung.
Die Gunst dieses, von dem Architekten der ganzen Anlage,
R. Gaberel, gewählten Geländes ist fast unvergleichlich. Das
Areal liegt auf einer Schotterterrasse, die westwärts mit stei-
ler Böschung zum Flußlauf, dem Landwasser, abfällt. Gegen
Osten aber lehnt sie sich an den Berg an, geht weich in ihn
über mit jenem sanften, von Eintiefungen und leichten Erhö-
hungen gegliederten Gefälle, wie sie eine künstliche Auffül-
lung so vielfältig, so muskelreich, wenn dieser Ausdruck
erlaubt ist, nicht zustande brächte. Dergestalt über die Tal-
sohle erhöht, hat der Friedhof jene natürlich friedsame, aus der
Fläche herausgehobene Lage, wie sie dörfliche Gottesäcker
gerne aufsuchen. In das Tal vorgeschoben ist diese Gelände-
zunge wie eine Kanzel, vor der sich die Räume dramatisch
öffnen; umgrenzt von grünen Alpwiesen, Wäldern und wilden
Zacken, fühlt man sich hier ganz in der Mitte der verabschie-
deten Welt der Menschen, die hier ruhen. Aber was diese
Bodenstufe zu einem eigenen umschriebenen Bezirk, einem
wirklichen „hortus sacer“ macht und sie vor dem zu heftigen
Andrängen der grandiosen Gebirgswelt bewahrt, das ist ein
natürlicher Lärchenbestand von seltener Schönheit. Es ist kein
dichter Hain, sondern in lockeren Gruppen stehen diese schlan-
ken Bäume, die wie kaum andere zu einem Friedhof stimmen.
Sie zeigen nicht den schweren Ernst dunkler Fichten, auch
nicht das Pathos massiger Laubformen, sondern sie haben
etwas sehr Unirdisches, fast Abstraktes mit dem jünglings-
haften Wuchs ihrer Stämme und dem auch in leisem Luftzug
wehenden feinen Haar des durchsichtigen Gezweiges. Sie
täuschen nicht wie andere Koniferen immerwährendes grünes
Leben vor, sondern fügen sich bescheiden ein in den Kreis
von Werden und Vergehen. Im Frühjahr ist ihr junges strahlen-
des Grün das Sinnbild der Erneuerung, im Herbst aber hat
dieser Baum, der besondere Schmuck der Bündner Landschaft,
seine große Zeit: nach den ersten Frösten entzündet er mit
gelben, roten und orangenen Farben von unbeschreiblichem
Leuchten seine Glorifizierung des Sterbens. Dann kommt die
ganze Anlage zu ihrer stärksten Wirkung; denn die Mauer,
mit der sie umfriedet ist, wurde aus dem Stein eines benach-
barten Bruches geschichtet, der ebenfalls ein Spiel von gelben
und braunen Tönen hat. Mit den rötlichen Stämmen der Bäume,
dem herbstlich falben Gras, kurzhaarig wie das Fell eines Tieres,
gibt dies eine vollkommene Ton in Ton gestimmte farbige
Einheit. Das Vorbild der Mauer sind die autochthonen soge-
nannten „Gadenmauern“. Die Steine sind trocken geschichtet,
nur oben mit Glattstrich geschützt, und mit Rasenziegeln
bedeckt. Beim Tor mußte natürlich mit Mörtelbindung gear-
beitet werden, die Fugen sind jedoch ausgekratzt, damit der
einheitliche Eindruck nicht gestört wird. In dem Zug dieser
Umfriedung nun zeigt sich besonders die fühlende Hand des
Architekten. Sie ist nicht mit der Wasserwage auf eine Ebene
gebracht, auch ist ihre Erhebung über das Bodenniveau nicht
pedantisch gleich, sondern sie ist in die Natur Stück für
Stück hineinmodelliert.
Ihr Reiz liegt allein im Rhythmus, in der Art, wie sie das
Spiel der Erhebungen und Senkungen des Bodens betont,
klärt und nach Bedarf vereinfacht, um eine einheitlich flies-
sende Melodie zu gewinnen. Als Ruhepunkte sind herausge-
blähte Bastionen eingefügt, und zwar dergestalt, daß bei der
Umgehung jeweils die nächste sichtbar ist, wenn man die
letzte verläßt und man sich so von einem Abschnitt zum
anderen weiter geführt fühlt. Die Torgruppe steht in dieser
Umfassung nicht wie ein Prunkstück, nicht wie der Eingang
zu einem herrschaftlichen Park, sondern mit seinen drei
Bogen, der Plattenbedachung und dem zyklopisch gefügten
Kreuz, will sie nichts weiter sein als die einfache Erschlies-
sung des gehegten Bezirkes. An Gliederung ist dem derben
Baustoff nichts zugemutet, die Wirkung beruht allein auf dem
Verhältnis der Durchbrüche zur Masse, auf den Ueberschnei-
dungen durch die Bäume und darauf, wie das Ganze ins
Gelände hineingefühlt ist. Von hier aus entwickelt sich die
Hauptquerachse. Ihre Bewegung preßt sich durch das Mittel-
tor hinein, weitet sich in den ovalen Raum der Wagenumfahrt
aus und wird wieder geschlossen, um endlich in dem großen
Hauptbezirk des Totenangers auszufließen. Diese natürliche
Lichtung nun bildet das allgemeine Gräberfeld, das in kon-
zentrischen Ellipsen die Reihengräber aufzunehmen hat. Am
Schnittpunkt der beiden Hauptachsen liegt ein ovales Bassin.
In einer Fassung aus dem gleichen gelb-rötlichen Stein wie
die Mauer ruht hier ein unbewegter Wasserspiegel, gefärbt
von einer seltsamen, ohne Zutun gewachsenen purpurnen
Alge, die nach der düsteren Murtener Legende Burgunder-
blut genannt wird. In diesem Bezirk allein ist durch vorsichtige
Auffüllung eine Terrassierung vorgenommen, und man fühlt
sich merkwürdig jenseitig angerührt, wenn man die Stufen
heraufkommt und in dieses große dunkle Auge sieht. Das
allgemeine Gräberfeld ist jener Teil der Anlage, wo die ord-
nende Hand am bestimmtesten eingriff. Damit er nicht fremd
im Wald steht, ist er durch freiere Behandlung des anschlies-
senden Gebietes allmählich vorbereitet. In diesem Waldgürtel
nun sind die Wege nicht geometrisch gezogen, sondern dem
Gelände abgetastet. Ueberall ist aber Bedacht darauf genom-
1925 :: MAI :: H.5 L> L'* %
Der Waldfriedhof von Davos
Arch. RUDOLF GABEREL, B.S.A., Davos
Die Idee des Waldfriedhofes ist nicht allein aus einer Ableh-
nung der großstädtischen Gräberanlagen hervorgegangen, die
in ihrer mißtönenden Vielstimmigkeit von der tragischen Rat-
losigkeit des gegenwärtigen Menschen zeugen, was er mit
seinen Toten beginnen solle. Sie ist vielmehr ebensosehr aus
dem dunklen Drang geboren, die Cäsur des Todes zu über-
brücken, das dahingegangene, individuelle Leben in den großen
Zusammenhang des Naturgeschehens von Vergehen und Wer-
den einzubetten und damit aus dem Ende einen neuen Anfang
zu machen. Es wird also immer die Aufgabe des Waldfried-
hofes sein, sinnfällig auszudrücken: ,von der Erde genommen,
der Erde gegeben“, und inwieweit es einer Anlage gelingt,
eine überzeugende architektonische Lösung in möglichster
Nähe der Natur zu finden, ja die Natur selbst, nur reiner
gestimmt, geklärter darzustellen, daran wird das Gelingen
einer solchen Aufgabe vor allem zu messen sein. Weil dies
bei dem Davoser Waldfriedhöf in besonders glücklicher Weise
erreicht ist, erreicht im Rahmen bescheidener Mittel, die auch
kleineren Gemeinwesen erschwinglich sind, soll er hier gezeigt
werden.
Es ist die ideale Konstellation für den Architekten, wenn
er nicht erst mit der Verwertung einer festgelegten Situation
zu beginnen hat, sondern die Auswahl des Geländes schon
sein eigenster Fund ist. Dieser Vorgang, vergleichbar mit dem
Herauslösen eines dichterischen Motives aus dem Rohstoffe
des Lebens, ist ein schöpferischer Akt und der Ausgang der
Gestaltung.
Die Gunst dieses, von dem Architekten der ganzen Anlage,
R. Gaberel, gewählten Geländes ist fast unvergleichlich. Das
Areal liegt auf einer Schotterterrasse, die westwärts mit stei-
ler Böschung zum Flußlauf, dem Landwasser, abfällt. Gegen
Osten aber lehnt sie sich an den Berg an, geht weich in ihn
über mit jenem sanften, von Eintiefungen und leichten Erhö-
hungen gegliederten Gefälle, wie sie eine künstliche Auffül-
lung so vielfältig, so muskelreich, wenn dieser Ausdruck
erlaubt ist, nicht zustande brächte. Dergestalt über die Tal-
sohle erhöht, hat der Friedhof jene natürlich friedsame, aus der
Fläche herausgehobene Lage, wie sie dörfliche Gottesäcker
gerne aufsuchen. In das Tal vorgeschoben ist diese Gelände-
zunge wie eine Kanzel, vor der sich die Räume dramatisch
öffnen; umgrenzt von grünen Alpwiesen, Wäldern und wilden
Zacken, fühlt man sich hier ganz in der Mitte der verabschie-
deten Welt der Menschen, die hier ruhen. Aber was diese
Bodenstufe zu einem eigenen umschriebenen Bezirk, einem
wirklichen „hortus sacer“ macht und sie vor dem zu heftigen
Andrängen der grandiosen Gebirgswelt bewahrt, das ist ein
natürlicher Lärchenbestand von seltener Schönheit. Es ist kein
dichter Hain, sondern in lockeren Gruppen stehen diese schlan-
ken Bäume, die wie kaum andere zu einem Friedhof stimmen.
Sie zeigen nicht den schweren Ernst dunkler Fichten, auch
nicht das Pathos massiger Laubformen, sondern sie haben
etwas sehr Unirdisches, fast Abstraktes mit dem jünglings-
haften Wuchs ihrer Stämme und dem auch in leisem Luftzug
wehenden feinen Haar des durchsichtigen Gezweiges. Sie
täuschen nicht wie andere Koniferen immerwährendes grünes
Leben vor, sondern fügen sich bescheiden ein in den Kreis
von Werden und Vergehen. Im Frühjahr ist ihr junges strahlen-
des Grün das Sinnbild der Erneuerung, im Herbst aber hat
dieser Baum, der besondere Schmuck der Bündner Landschaft,
seine große Zeit: nach den ersten Frösten entzündet er mit
gelben, roten und orangenen Farben von unbeschreiblichem
Leuchten seine Glorifizierung des Sterbens. Dann kommt die
ganze Anlage zu ihrer stärksten Wirkung; denn die Mauer,
mit der sie umfriedet ist, wurde aus dem Stein eines benach-
barten Bruches geschichtet, der ebenfalls ein Spiel von gelben
und braunen Tönen hat. Mit den rötlichen Stämmen der Bäume,
dem herbstlich falben Gras, kurzhaarig wie das Fell eines Tieres,
gibt dies eine vollkommene Ton in Ton gestimmte farbige
Einheit. Das Vorbild der Mauer sind die autochthonen soge-
nannten „Gadenmauern“. Die Steine sind trocken geschichtet,
nur oben mit Glattstrich geschützt, und mit Rasenziegeln
bedeckt. Beim Tor mußte natürlich mit Mörtelbindung gear-
beitet werden, die Fugen sind jedoch ausgekratzt, damit der
einheitliche Eindruck nicht gestört wird. In dem Zug dieser
Umfriedung nun zeigt sich besonders die fühlende Hand des
Architekten. Sie ist nicht mit der Wasserwage auf eine Ebene
gebracht, auch ist ihre Erhebung über das Bodenniveau nicht
pedantisch gleich, sondern sie ist in die Natur Stück für
Stück hineinmodelliert.
Ihr Reiz liegt allein im Rhythmus, in der Art, wie sie das
Spiel der Erhebungen und Senkungen des Bodens betont,
klärt und nach Bedarf vereinfacht, um eine einheitlich flies-
sende Melodie zu gewinnen. Als Ruhepunkte sind herausge-
blähte Bastionen eingefügt, und zwar dergestalt, daß bei der
Umgehung jeweils die nächste sichtbar ist, wenn man die
letzte verläßt und man sich so von einem Abschnitt zum
anderen weiter geführt fühlt. Die Torgruppe steht in dieser
Umfassung nicht wie ein Prunkstück, nicht wie der Eingang
zu einem herrschaftlichen Park, sondern mit seinen drei
Bogen, der Plattenbedachung und dem zyklopisch gefügten
Kreuz, will sie nichts weiter sein als die einfache Erschlies-
sung des gehegten Bezirkes. An Gliederung ist dem derben
Baustoff nichts zugemutet, die Wirkung beruht allein auf dem
Verhältnis der Durchbrüche zur Masse, auf den Ueberschnei-
dungen durch die Bäume und darauf, wie das Ganze ins
Gelände hineingefühlt ist. Von hier aus entwickelt sich die
Hauptquerachse. Ihre Bewegung preßt sich durch das Mittel-
tor hinein, weitet sich in den ovalen Raum der Wagenumfahrt
aus und wird wieder geschlossen, um endlich in dem großen
Hauptbezirk des Totenangers auszufließen. Diese natürliche
Lichtung nun bildet das allgemeine Gräberfeld, das in kon-
zentrischen Ellipsen die Reihengräber aufzunehmen hat. Am
Schnittpunkt der beiden Hauptachsen liegt ein ovales Bassin.
In einer Fassung aus dem gleichen gelb-rötlichen Stein wie
die Mauer ruht hier ein unbewegter Wasserspiegel, gefärbt
von einer seltsamen, ohne Zutun gewachsenen purpurnen
Alge, die nach der düsteren Murtener Legende Burgunder-
blut genannt wird. In diesem Bezirk allein ist durch vorsichtige
Auffüllung eine Terrassierung vorgenommen, und man fühlt
sich merkwürdig jenseitig angerührt, wenn man die Stufen
heraufkommt und in dieses große dunkle Auge sieht. Das
allgemeine Gräberfeld ist jener Teil der Anlage, wo die ord-
nende Hand am bestimmtesten eingriff. Damit er nicht fremd
im Wald steht, ist er durch freiere Behandlung des anschlies-
senden Gebietes allmählich vorbereitet. In diesem Waldgürtel
nun sind die Wege nicht geometrisch gezogen, sondern dem
Gelände abgetastet. Ueberall ist aber Bedacht darauf genom-