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Belvedere: Monatsschrift für Sammler und Kunstfreunde — Band 1.1922

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Suida, Wilhelm: Unbekannte Bildnisse von Tizian
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https://doi.org/10.11588/diglit.52117#0265

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allzu schwer ins Gewicht, da in dieser Galeriepublikation unter Tizians Namen
nachweisbar mehrere Werke anderer Künstler eingereiht waren. So kann also
nur eine Prüfung des Bildes selbst entscheiden1.
Wie es zu der Zuschreibung an Tintoretto kam, weiß ich nicht. Sie hält einer
Prüfung keineswegs stand. Zu früheren Bildnissen Tintorettos, wie etwa dem
35jährigen Manne von 1553 in Wien, befindet sich unser Fragment in schroff-
stem Gegensätze; späteren Bildnissen, deren ja auch die Wiener Galerie eine
stattliche Reihe besitzt, steht es fremd, andersgeartet gegenüber. Während
Tintorettos Bildnisse nebeneinandergereiht einander steigern, so daß mehrere
Porträtfiguren auf einem Repräsentationsbild vereinigt den machtvollsten
Akkord geben, bleibt der Unbekannte auf dem Wiener Fragment auf sich
gestellt. Das Eingehen auf die Details des Gesichtes, die ohne besondere
Licht- und Schattenkontraste in zahlreichen Abstufungen warmer und kalter
Töne sorgfältig und doch breit ausgeführt zur Geltung kommen, würde man
bei Tintoretto vergebens suchen. Es ist der Gegensatz zweier Generationen,
diese Art von Detailbetonung wäre einem Moroni oder Paolo Veronese
ebenso unmöglich gewesen wie Tintoretto selbst.
Als Tizian das späteste seiner uns erhaltenen Bildnisse, den Jacopo da Strada
der Wiener Galerie, mit breiter Meisterschaft, in impressionistischer Auflocke-
rung der Formen, unter Einbeziehung der Lokalfarben in den Gesamtton
malte, hatte er doch die stark aus wirkend en Kräfte im Bildfelde gebannt,
eine Konzentration der Formen und Farben erreicht. Wir besitzen kein Werk
Tizians, das Teil eines größeren Ganzen wäre, das sich mit anderen Stücken
seines Pinsels zu einer Einheit weiterer Spannung zusammenschlösse. Geht
Tizian im Jacopo da Strada in den zeichnerischen, durch den Tonwert der
Farbe gebändigten Kontraposten an die äußerste Grenze, so zeigt das nächst-
vorhergehende Bildnis des Unbekannten mit der Palme der Dresdener Galerie
von 1561 noch völlig zwanglos jenes Insichberuhen, jene Unabhängigkeit von
der Umgebung, die allen vorhergehenden Bildnissen eigen ist. Gehört das
Wiener Fragment den ihm innewohnenden Stilgesetzen nach untrüglich in
den Kreis Tizians, so reicht seine Qualität, wie ich glaube, völlig aus, um
darin den Rest einer eigenhändigen Schöpfung des Meisters zu sehen. Als
Entstehungszeit dürften wir kaum fehlgehen, die fünfziger Jahre des 16. Jahr-
hunderts anzusehen; später als der Antonio Porcia der Brera, die Bildnisse
Karls V., des Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen, des Benedetto
Varchi u. a., jedoch vermutlich etwas früher als das Dresdener Bildnis von
1561.
Uber den Erhaltungszustand des Wiener Fragments ist beizufügen, daß der-
selbe ein befriedigender, keineswegs aber ein hervorragend guter ist. Ab-
1 Crowe und Cavalcaselle, „Tizian“, deutsche Äusgabe von Jordan 1877, S. 820, erwähnen den Stich von L. Vor-
sterman d. J. nach einem verloren geglaubten Bilde Tizians.

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