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Buchner, Ernst [Hrsg.]
Augsburger Kunst der Spätgotik und Renaissance — Augsburg, 1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.28869#0056

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der Rechten an seinem Wehrgehäng. Nur bei Se-
bastian ist die fanatische Strenge und gespannte
Verhaltenheit, die den Gefühlsausdruck der übri-
gen bindet, etwas gelöst. Er wendet sein Haupt
voll Leid zu der Mittelgruppe zurück.
Die Abbildung ist in diesem Falle besonders irre-
führend, weil das verhalten leuchtende, tief und
voll klingende Kolorit die übergroßen Härten der
Zeichnung mildert — und der Meister als Kolorist
ungleich bedeutender ist, denn als Zeichner. Der
Erhaltungszustand des Altars ist ungleichmäßig.
Die anscheinend unberührten Außenseiten der Flü-
gel haben zum Teil stärker durch Absplitterungen
des Pigments gelitten, während Mittelstück und
Flügelinnenseiten anläßlich einer Restaurierung
stellenweise Ausbesserungen mit Retuschen — ins-
besondere im Gestänge der Baldachine und Nischen
— erfahren haben. Doch kann der farbige Cha-
rakter der Tafeln im wesentlichen als authentisch
bezeichnet werden. Rot und Gold sind die beherr-
schenden Klänge. Zinnoberrot im Mantel Seba-
stians, im Buch, im Gewand Gottvaters, dessen
Mantel karminviolett ist, gedämpftes Karmin im
Mantel Sigismunds — so bindet verschieden gestuf-
tes Rot den kompositorischen Aufbau. Kräftiges
Dunkelblau (Mantel Mariä),warmes Gelbgrün und
Fahlbraun (Gewand des Täufers) stehen dazwi-
schen. Durch das bräunliche Gitterwerk der Ni-
schenarchitektur schimmert der feierliche Gold-
grund. Das weißliche Inkarnat wirkt hell und krei-
dig. Mit zügigen grauen Schattenschlägen ist der
spröd gezeichnete Körper Christi modelliert. Der
Farbenauftrag und die Pinselführung, die Art der
Konturierung der Körperteile, geht durchaus mit
der Malweise der Augsburger Tafeln zusammen.
Da der Weilheimer Altar nicht allgemein bekannt
sein dürfte — und sein Zusammenhang mit den
Augsburger Tafeln skeptischen Augen nicht ein-
leuchten wird, merke ich ein paar gravierende
Übereinstimmungen an: Die merkwürdige Ver-

schiefung, der asymmetrische Bau der Köpfe; man
konfrontiere den Sebastian mit dem Joseph der
Epiphanie oder die Maria des Gnadenstuhls mit
dem großen Engel der Geburt. Man vergleiche die
eigentümliche Enervierung der sehr persönlich
empfundenen Hände; etwa die linke Hand Seba-
stians mit der linken Josephs (Epiphanie).Ein klei-
ner, aber sehr bezeichnender Zug: der gespannte,
etwas grämliche Ausdruck der Gesichter wird z. T.
hervorgerufen durch drei kleine Parallelfalten über
dem Nasenansatz. Die Heiligen des Altars und die
Könige der Anbetung tragen dies Merkmal an der
Stirn. Die augenfällige Verwandtschaft von Kolo-
rit und Maltechnik bedarf keines ausführlichen
Beweises.
Eine eingreifende Entwicklung rückt den Weilhei-
mer Altar von den Augsburger Tafeln ah. Die Zeich-
nung ist härter, trockener, bestimmter geworden
und geht auf Körperrundung und reichere Binnen-
modellierung aus. Aber die altertümliche Schulung
des Meisters verrät sich trotz des verschärften
Wirklichkeitssinnes. Ganz besonders bei der stöh-
le enden und befangenen Zeichnung des schema-
tisch und hölzern wirkenden Brustkorbs Christi.
Auch das Faltenwerk zeigt hei fortgeschrittener
Differenzierung und kleinteiliger Häufung noch
nicht die hartbrüchigen, abstrakt-linearen Bildun-
gen, wie sie in den sechziger Jahren in Ober-
deutschlandbei den meistenMalernundSchnitzern
modern wurden.DieTypik hat sich wesentlich ver-
schärft. Die mächtig vorspringenden Spitznasen
haben auf den Augsburger Tafeln kein Analogon.
Auf Grund stilkritischer Erwägungen und nach der
Form der modischen Tracht Sigismunds glaube ich
mit einiger Wahrscheinlichkeit als ungefähre Ent-
stehungszeit die Jahre um 1470 annehmen zu dür-
fen. Die Augsburger Tafeln, die mir als „um 1450
entstanden" zu früh angesetzt scheinen, mögen in
den letzten Jahren des sechsten Jahrzehnts gemalt
sein. Daß der Meister sich die niederländischen An-
regungen in den flandrischen Städten selbst geholt

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