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Buchner, Ernst [Editor]
Augsburger Kunst der Spätgotik und Renaissance — Augsburg, 1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.28869#0057

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hat, ist nicht anzunehmen. Im Gegensatz zu dem
urbaneren, unmittelbar aus der fremden Quelle
schöpfenden, weniger selbständig das niederlän-
dische Kunstgut verarbeitenden Meister der Ul-

richslegenden vertritt er den Typus des fest im hei-
matlichen Boden verwurzelten, mit ursprünglicher
Kraft die neuen Stilprinzipien verarbeitenden Ma-
lers.

Der Meister von 1^77-

Hart und schroff bricht die nächste Generation der
Augsburger Maler mit dem überkommenen Stil.
Kaum irgendwo in den oberdeutschen Städten hat
sich der Umsturz der Kunstanschauungen radika-
ler und rücksichtsloser vollzogen als in Augsburg.
Das folgt aus dem Auftreten einer sehr eigenwilli-
gen, fanatisch die neue Lehre verfechtenden, un-
beirrbaren und starrsinnigen Persönlichkeit, die
nicht aus heimischen Voraussetzungen heraus ver-
standen werden kann, sondern ihre Ausbildung
sicher in der Fremde, vermutlich am Niederrhein
oder in Westphalen erfahren hat. Es ist der Maler
der merkwürdig forcierten, fast gewalttätig wir-
kenden Kreuzigung von 1477 (Abb. 27) aus Kloster
Kaisheim in der Augsburger Galerie/) nach der er
einstweilen ,,Meister von 1477" genannt sei. Daß er
in Augsburg tätig war, habe ich bereits in meinem
Herlinaufsatz (Münchner Jahrbuch 1923 S. 34, An-
merkung) kurz ausgeführt. Inzwischen haben sich
mit neu aufgefundenen Werken seiner Hand die
Indizien für seine Wirksamkeit in Augsburg so ver-
mehrt, daß er mit Fug als der führende Augsbur-
ger Maler seiner Zeit betrachtet werden darf. Die
Stilbildung der frühen Augsburger Buchholzschnitte
hat durch ihn entscheidende Impulse empfangen.
Trotz großer Härten und Starrheiten erweckt das
drängend überfüllte Bild dank der verschärften,
trocken und gewaltsam überspitzten Formgebung
und der schrillen Drastik des Ausdrucks eine zwar
wenig erfreuliche, aber eindringliche, fast aufrei-
zende Wirkung. Zäh und hart verspannen die eng
sich verzahnenden Kreuze und die dichten Figu-
rengruppen die mit kleinteilig-unruhiger Form be-
*) Augsburg, Galerie, Kat. Nr. 2023; Fichtenholz 141X122 cm.

setzte Tafel. Die Raumbildung ist noch unausge-
glichen und willkürlich; die flache Schicht der
Hauptgruppe steht ohne organischen Übergang
vor dem Landschaftsgrund, der spielerisch und
phantastisch mit einem untektonisch massierten,
seltsam mit fremd- und südländischen Bauformen
gespickten Stadtbild und zappeligen Figürchen be-
lebt ist. Mit trockener Schärfe sind die dürren, jam-
mervollen, wie ausgekochten Akte, die spitznasi-
gen, schlitzäugigen Gesichter, die schmalfingeri-
gen, zerbrechlichen Hände, das blecherne, spröd
und eckig gebrochene Faltenwerk durchgeformt.
Die Form wird nicht durch mählich rundende
Modellierung, sondern durch fahrig aufgesetzte,
trocken und spröd verbundene Striche und Ha-
ken gewonnen. Die Gebärdung — oft steif, stok-
kend und eckig — fällt bei den wild verrenkten,
schmerzverzerrten Schächern ins Grelle, Schrei-
ende, Ätzend-Scharfe. Die helle, wenig gesättigte,
flackernd-bunte Farbigkeit stimmt durchaus zu
Form und Gebärde. Das weißlich auf gelichtete
Blau des Mariengewandes ist von Lichtkarmin,
Hellrot und Grün (Gewänder der Frauen und Jo-
hannis) umgeben. Stechendes Gelb, Brennrot, hel-
les Grau, schillernder Stahl in der Gegengruppe.
Fahles, kreidiges, mit Grau geschattetes Inkarnat.
Bunte Hmtergrundsfigürchen, rötlichweiße Bau
ten und grünschwärzliche Bäume bringen Ab-
wechslung in die graugrtinliche oder fahlgelbe
Landschaft. Das kühle Blaugrün der rückwärtigen
Landschaft steht vorm trocknen Weiß des Hori-
zonts, das sich nach oben in helleres Blau verfärbt.
Die Tafel ist im wesentlichen gut erhalten — nur
das Schamtuch Christi und die ursprünglich knapp

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