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Buchner, Ernst [Editor]
Augsburger Kunst der Spätgotik und Renaissance — Augsburg, 1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.28869#0180

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auf, wie der junge Zeitblom suchen die Einfach-
heit und Größe der um 1440 tätigen Aleister wieder
zu erreichen, ja Rueland Frueauf geht in seinem
Hauptwerk, den vier doppelseitig bemalten Altar -
tliigeln von 1490 und 1491 in der Wiener Galerie,
so weit, daß er den Raum fast völlig eliminiert und
aus den zu höchster Ausdruckskraft gesteigerten
Figuren allein seine Kompositionen aufbaut. Zeit-
blom aber greift bei verschiedenen Darstellungen
der Visitation, der Darbringung, der Krönung Ma-
riae, der Dreifaltigkeit auf Kompositionsschemen
zurück, die vor der Mitte des XV. Jahrhunderts
allgemein in Deutschland verwendet worden waren.
Auf der anderen Seite bringen Maler, wie der Wol-
gemut-Schüler, der die Passionsszenen am Zwik-
kauer Altar geschaffen hat, der Münchener Jan
Pollack und der Wiener Meister der Heiligenmar-
tyrien eine Überfülle an Einzelheiten, eine Häu-
fung von Episoden, eine wilde Bewegtheit aller
Gesten, die in den flatternden Gewändern ihre
Fortsetzung linden. Diese Künstler vertreten die
in allen Kunstländern Europas gleichzeitig und
unabhängig voneinander auftretende Richtung des
spätgotischen Manierismus — dieser terminus er-
scheint mir treffender als der des spätgotischen
Barocks, da der Stil in einer Steigerung der Einzel-
heiten und nicht in einer Steigerung der Gesamt-
wirkung gipfelt — wie ihn in den Niederlanden
vor allem der Aieister der Virgo inter virgines, in
Ralien aber in erster Linie gewisse Ferraresen re-
präsentieren.
Neben dem spätgotisch dekorativen Stil der Kup-
ferstecher und neben dem archaisierenden und
dem spätgotisch manieristischen Stil der Afaler
behält aber die altniederländische Stilrichtung noch
einen Teil ihrer Wirkungskraft. Wenn Dvorak^)
mit Recht feststellt, daß in dem Totentanz in Hart
mann Schedels liber cronicarum von 1493 alles
fehlt, was den Ruhmestitel der gleichzeitigen nie-
derländischen Malerei bildete, so darf nicht über-
*) Kunstgeschichte ais Geistesgeschichte, München 1924, S. 186.

sehen werden, daß ein Jahr später die Lübecker
Bibel erscheint, deren Holzschnitte das Bedeu-
tendste sind, was auf diesem Gebiete vor Dürers
Apokalypse geschaffen wurde. Und diese Bibel-
illustrationen sind in ihrer Komposition rein nie-
derländisch. Neben diesem Zeichner für den Holz-
schnitt stehen aber auch einzelne Aialer von Be-
deutung. Die kleinen Tafeln der Passion und der
Johanneslegende des jüngeren Rueland Frueauf
im Klosterneuburger Stiftsmuseum sind in der
Farbengebung, der Raum- und Landschaftsauffas-
sung und vor allem in der Bildung einzelner Figu-
ren wieder sehr viel niederländischer als die ein
Jahrzehnt früher um 1490 entstandenen Haupt-
werke des Vaters. Der Kronzeuge für diesen letz-
ten niederländischen Einfluß aber ist der letzte be-
deutende Aialer der deutschen Spätgotik Hans Hol-
bein der Ältere.
Holbein ist neben und nachSchongauer der einzige
deutsche Aialer gewesen, der die ganze Feinnervig-
keit altniederländischer Empfindung und altnie-
derländischer Formengebung nachgefühlt hat.
Schon auf Schongauer hatte neben Rogier auch
Hugo van der Goes eingewirkt. In Holbeins Werk
aber lebt neben Rogiers feierlicher Strenge und der
vergeistigten Innerlichkeit des Hugo van der Goes
auch die freie anmutige Menschlichkeit Alemlings
weiter. Die ersten Werke Holbeins, die klar nieder -
IändischeEinflüsse aufweisen,sind die 1493 datier-
ten Flügel desWeingartener Altares im Augsburger
Dom. Eine Figur ist Rogiers Darbringung auf dem
rechten Flügel des Dreikönig-Altars nachgebildet.
Diese Nachbildung geht über eine allgemeine Stil-
angleichung hinaus und kann daher nicht durch
ein Zwischenglied vermittelt worden sein. Rogiers
Altar stand damals in St. Columba in Köln. Eine
Reise Holbeins vor 1493 nach dem Niederrhein wird
dadurch so gut wie gewiß. Aber auch die anderen
Figuren des Weingartener Altars und die ganzen
Kompositionen sind so von Rogiers Geist erfüllt,
daß die Wirkung nicht von dem einen Spätwerk

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