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Buchner, Ernst [Editor]
Augsburger Kunst der Spätgotik und Renaissance — Augsburg, 1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.28869#0501

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werk gleichermaßen oder doch irgendwie ver-
wandt auf prägen. Und es liegt in dem Wesen künst-
lerischer Tätigkeit, daß der Beschauer die gewach-
sene, organische Einheit eines echten Kunstwerks
erfassen und aufweisen kann. Dafür geben die vier
wichtigsten Fälle, bei denen Doppeltätigkeit als
erwiesen und aufzeigbar gelten kann, den klaren
Beleg: es handelt sich um Michael Pacher, Veit
Stoss, Martin Schaffner und den Meister HL. Bis
zum einzelnen Pinselstrich und Messerschnitt ist
hei Pacher in Schnitz- und Malwerk das gleiche
Formgefühl, die gleiche Innervierung der Hand zu
spüren, ebenso beiStossÜ —und die breite, weiche,
oft flaumige Formgebung verbindet Schaffners Ta-
feln ebenso überzeugend mit seinen Bildwerken
und Medaillen wie die Stiche und Holzschnitte des
HL mit dem Schnitzwerk des Breisacher Hoch-
altars. Wenn dagegen der Fall Multscher als un-
lösbares Problem auf geführt wird, — Huth er-
klärt (Anm. 125) seine einwandfreie Lösung bis
zum Auf finden neuen urkundlichen Materials für
unmöglich — so muß ich gestehen, daß ich hier
kein dorniges ,,Problem" sehe. Sowohl die ur-
kundliche Überlieferung und die Signaturen — die
Kargnische ist ausdrücklich als eigenhändig
(,,manu propria") bezeichnet, während die In-
schrift der Wurzacher Flügel, in der sich Mult-
scher lediglich als „bürg ze vlm" nennt, nur als
Werkstattsignatur für das ganze Altar werk
(hanssen muoltscheren.. .haut dzwerk gemacht...)
gelten kann — wie der stilkritische Befund recht-
fertigen durchaus die wiederholt schon ausgespro-
chene, aber noch nicht durchgedrungene Ansicht,
daß Multscher überhaupt nicht als Maler tätig war.
Weder vom Maler der Wurzacher noch vom Maler
der Sterzinger Flügel läßt sich zur Kunstweise
Multschers eine innere Verbindung, eine tiefer fun-
dierte Brücke schlagen und es wäre m. E. an der
i) Auf den Münnerstädter Tafeln kann ich nichts Grünewaid'sches er-
kennen. Sie müssen m. E. allein auf Grund der zwingenden Stilver-
wnndtschaft mit den Stichen des Stoss diesem Meister zugewiesen
werden.

Zeit, den Namen Multscher aus der Liste der Maler
zu streichen. Die Mühe, die für den Beweis einer
Personalunion zwischen so grundverschiedenen
Naturen, wie es die Meister der Wurzacher und Ster
zinger Flügel sind, verschwendet wurde, zeigt nur,
daß in letzter Hinsicht nicht die Urkundeninter-
pretation oder gar die „öffentliche Meinung" über
diese Dinge entscheiden, sondern die unbeirrbare,
eindringliche, lebendige Betrachtung und Erfor-
schung des Kunstwerkes selbst.
Ob die Maler der Wurzacher und Sterzinger Flü-
gel als Gesellen der Multscherwerkstatt oder als
selbständige Meister anzusprechen sind, ist unge-
wiß; da die Schnitzer das Malwerk der Altäre oft
selbständigen Malern verdingten, ist das letztere
wohl möglich. Für die Frage der Zugehörigkeit
eines Altares zu einer Maler- oder Schnitzerwerk-
stätte gibt in vielen Fällen die einfache Überlegung
Aufschluß: Zeigt bei einer Reihe von Altären die
Plastik kontinuierlichen bzw. im Rahmen indivi-
dueller Entwicklung bleibenden, die Malerei aber
wechselnden Stil, so kann auf einen Schnitzer, ist
der Sachverhalt umgekehrt, auf einen Maler als
Werkstattinhaber geschlossen werden. So verhält
es sich wenigstens bei Multscher (Wurzacher, Hei-
ligkreuztaler, Sterzinger Altar), Herlin (Nördlinger
Ceorgsaltar, Rothenburger Altar), Erasmus Gras-
ser (Ramersdorfer, Reichelsdorfer Altar), Jan Po-
lack (Ilmmünsterer, Blutenburger Altäre).
Entschieden zurückzuweisen ist die resignierende
Schlußbemerkung, daß die Geistesverfassung der
spätgotischen Künstler eine Nachforschung nach
dem Wesen der Einzelpersönlichkeit kaum ge-
statte. In keiner Epoche der deutschen Kunstge-
schichte gab es mehr eigenwillige Köpfe, originelle
und kraftvolle Persönlichkeiten als in der Zeit um
und kurz nach 1500. Und im ganzen 15. Jahrhun-
dert regte sich die Individualität allerorten mäch-
tig. Trotz aller soziologischen und religiösen Bin-
dungen ist sie es, die der Zeit das Signum gibt. Da-
rum wird eine Betrachtung über „Künstler und

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