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Carrière, Moriz
Die Kunst im Zusammenhang der Culturentwickelung und die Ideale der Menschheit: [ein Beitrag zur Geschichte des menschlichen Geistes] (Band 3, Mittelalter ; Abt. 2): Das europäische Mittelalter in Dichtung, Kunst und Wissenschaft — Leipzig, 1872

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https://doi.org/10.11588/diglit.33537#0217

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Der romanische Stil. Architektur. 203
kuppelte runde oder dreieckige Kapellen sogar für alte Druideu-
tempel halten wollen.
In der Gegend von Paris und Orleans ist uns wenig aus
romanischer Zeit erhalten und es scheint daß der fränkische Geist
hier in der Mitte zwischen den nördlichen und südlichen Einflüssen
damals zu keiner selbständigen Gestaltung kam, bis es ihm gelang
die mannichfaltigen Elemente unter der Herrschaft eines neuen
Formprincips in der Gothik zu vereinigen. Wir erinnern: uns
jener kühnen skandinavischen Germanen, der Normannen, die in:
9. Jahrhundert noch Heiden ihre wilden Heerfahrten nach den
europäischen Küstenländern unternahmen. Meist nachgeborene Söhne
suchten sie ein Erbe mit dem Schwerte, und an Orten die ihnen
zusagten wie das meerumspülte Nordfraukreich, vermählten sie
sich mit den Töchtern des Landes und nahmen das Christenthum
und die romanische Sprache an, vermachten aber ihren Nach-
kommen den verwegenen unternehmenden Geist, und so entstand
ein Geschlecht, welches die germanische Sehnsucht in die Ferne
und den Heldentrotz der persönlichen Selbständigkeit mit prakti-
schem Sinn und scharfem Verstände verschmolz, das Lehnrecht
conseqnent durchbildete, das aristokratische Element des Keltenvolks
steigerte und mit frischer Heldenkraft erfüllte, endlich in der Poesie
des Wagnisses, der Lust des Abenteuers wie in der eisernen
Festigkeit und der Treue des Worts den maßgebenden Ton für
das Ritterthnm anschlug. Noch gibt der alte Stolz, die rohe
Härte im Druck sich kund den sie auf die Unterworfenen ausüben,
wenn sie sich selbst in Urkunden durch die Beinamen der Blut-
vergießer, Hartzähne, Bauernschinder, Doppeltrinker bezeichnen.
An Kirchenbauten läßt ihre Naturkraft wie ihr religiöser Eifer
sie selber Hand anlegen und Steine schleppen; ihr Selbstgefühl
fordert die Pracht der eigenen Burgen wie die Größe der Gottes-
häuser. Nach Germanenart legen sie das Gewicht auf gediegene
und klare Construction, und schmücken die für den Bau bedeut-
samer:: Glieder mit Zierathen von knapper elastischer Kraft, von
eckig scharfen Formen. Den Grundriß der Kirche bezeichnet das
Kreuz, die Seitenschiffe des Langhauses erstrecken sich auch jen-
seit der Kreuzflügel bis au die Chornische; viereckende Pfeiler mit
Halbsäulen tragen das Kreuzgewölbe der Decke. Drei Thürrne,
zwei an der Fassade, einer über der Vierung des Kreuzes, stei-
gen vierseitig empor und tragen den undurchbrochenen steinernen
Helm einer spitzen Pyramide und auf ihr das Kreuz zum Himmel
 
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