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Carrière, Moriz
Die Kunst im Zusammenhang der Culturentwickelung und die Ideale der Menschheit: [ein Beitrag zur Geschichte des menschlichen Geistes] (Band 3, Mittelalter ; Abt. 2): Das europäische Mittelalter in Dichtung, Kunst und Wissenschaft — Leipzig, 1872

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https://doi.org/10.11588/diglit.33537#0544

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Das Mittelalter.

zu leiten; sie hieß In LuLoells, was man Von der Gerichtshalle,
der Basilika, ableiten will. Sie wandte sich nun, da sie keine
biblisch geschichtlichen Stoffe behandeln durfte, zu den Moralitäten,
und stellte lebendige Menschen unter die allegorischen Figuren der
Tugenden und Laster, wobei sie es sich angelegen sein ließ die
verschiedenen Stände, Berufskreise, Lebensalter zu charakterisiren
und die Trockenheit der Anlage durch lustige Episoden, durch
witzige Gespräche annehmlich zu machen. Sehr beliebt war der
christliche Ritter unter den Anfechtungen der Welt, des Fleisches
und des Teufels, die er nach dem Rath seines guten Engels mit
Gottes Gnade bestand, oder die Verdammung der Gelage und das
Lob der Mäßigkeit zum Besten des menschlichen Leibes. Daß das
Parlament 1476 ihre Ausführungen verbot, zeugt für mancherlei
satirische und tolle Ausschreitungen; die Darstellungen wurden bald
wieder erlaubt, aber unter Censnr gestellt, und da verschollen sie.
Neben diesen Genossenschaften that sich ein Liebhabertheater ans
jungen Leuten vornehmer Familien zusammen; sie nannten sich
Lrckurm 8NN8 80N61, und spielten auf dem Markt des Jnnocents
allerhand possenhafte und ergötzliche Stücke. Die Passionsbrüder-
schaft verband sich mit ihnen und ließ sie nach einem ernsten
biblischen Stück das Publikum mit ihren Späßen erheitern, wie in
Athen auf die Tragödie das Satyrdrama folgte. Leider hatte iu
der folgenden Periode die Wiedererweckung der Antike für Frank-
reich nicht den Erfolg daß das volksthümliche Schauspiel nun künst-
lerisch durchgebildet ward wie in Spanien, sondern eine höfische
Classicität hat es verdrängt, und nur im Puppenspiel lebte es fort,
zum Theil als Parodie der vornehmen Bühne.
Ganz ähnlich finden wir wie die Fahnengenossenschaft in Rom,
die Geiselbrüderschaft in Treviso sich dem Schauspiel zuwenden;
Vorstellung, Fest, Historie, Beispiel, Misterium sind seine wech-
selnden Namen. Zu den Passions- und Oslerspielen kommen
Scenen aus dem Leben der Heiligen, welche Schuld und Sühne,
Buße und Bekehrung darstellen, und Allegorien welche die Seele
im Kamps zwischen dem Guten und Bösen, bestürmt von den
Lockungen der Sinnlichkeit, vertheidigt von den christlichen Tugen-
den zeigen, oder den Fortgang vom blos genießenden zum sittlich
thätigeu und selig beschaulichen Leben schildern. Oder man stellte
das Jüngste Gericht dar, und ließ die Vertreter der Geistesrich-
tungen, die Uebertreter der besonder:: Gebote, die in der Hebung
besonderer Tugenden Bewährten unter historischen Personen der
 
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