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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 32,1.1918

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Heft 1 (1. Oktoberheft 1918)
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Avenarius, Ferdinand: Von Suggestion und Waffenseele: als zweien der "aktuellsten" Fragen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14375#0017

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Telegramme als willkommenen Nohstoff nnd gaben uns nicht einmal s o kleine
Mühen, wie das Abschaffen dieser erbärmlichen Briefmarken, die den andern
mit jeder Postsendung den E,indrnck bestätigten: diese Deutschen sind Barbarcn.
Bei Kriegsbeginn zerschnitt dann die Entente, wo sie nur konnte, die deutschen
Kabel, und sie tat sonst alles ihr Mögliche, um für das weitere Suggerieren
die beste Vorbedingnng zu schaffen: die Abgesperrtheit von aller Gegensuggestion.
Bald wurde die öffentliche Meinung Amerikas, bald die aller noch neutralen
Länder, die man nur erreichen konnte, unter Postkontrolle oder völligen Ver-
kehrsabschluß gegen uns ententemäßig abgestimmt. Und bald wurde der Ent-
wertungskrieg gcgen das Dcntschtum zu einem Besetzen nnd Verwalten kauin
noch vertcidigten Gebiets.

Line wichtigere Anfgabe als die Abwehr des Suggerierkriegs gab es also
ncben der Abwehr des Waffen- und Wirtschaftskriegs für nns Deutsche über-
haupt nicht. Und was haben wir da seit getan? Das „Manifest der 9-"'
Intellektuellen", der „Kaimpf" gcgen Spitteler, die Vernagelung des Ienaer
Hodlcr-Bildes seien als Beispiele dafür genannt, wie wir nns, wo neutrales
Ausland in Frage kam, vcrhielten. Mcnschlich sehr entschnldbar, war dieses Ver-
halten politisch grnndverfehlt, in diesem Weltkricge aber hatte für den Reifen
jede öffcntliche Handlnng im Dienste des Vaterlandes politisch zn sein. Man
beurteilte damals noch ganz naiv die neutrale Geistigkeit nach der cigcncn,
als gäbe es überhaupt solch ein Etwas, wie Suggestionskrieg, nicht. Bei diesem
Dilettantismus ist die große Masse unsrcr „Aufklärnngsarbeit" nnd „Propa-
ganda" geblieben. Fragen wir uns doch, Hand aufs Herz, ob wir auch nur das
Studium dcr psychischen Erscheinungen einigermaßen mit Lrnst betrieben
haben, ohne deren Erkenntnis doch nicht einmal eine klare Einsicht in die
Aufgabe möglich war!

^>n unsern Blättern ist oft, von mir auch einmal in einem sigenen Leit-
<1aufsatze, bcklagt wordeu, daß unsrc Gebildeten sich so wenig mit den Ergcbnissen
der Psychologie beschäftigcn. Ist „Sensation" oder soust ein besonderer
„Reiz" dabei, so kann auch ein Psychologe, wie jetzt Frend, in die Mode kom-
mcn. Fehlt aber dergleichen, oder bemerkt man jcnen Reiz noch nicht, so laufen
wohl die Worte im Munde hernm, die Begriffe jcdoch werden nicht durchdacht.
Wievicl mehr hat man sich seinerzcit um die damals sensationellen Erscheinun-
gcn der Hhpnotischen und posthypnotischen Suggestion bckümmert, als um die-
jcnigcn der einfachen W a ch - L» u g g e st i o n, die doch im Leben der Einzelnen
wie dcr Völker millionenmal wichtigcr sind! Und wie viel hört man jetzt von
„Suggcstion" und von „Masscnpsyche" reden, während doch jedes Zeit.nngsblatt
immer noch beweist, was schon das „Manifest der Intellektuellen", wic der
Spittelcr- und Hodler-Bohkott bewies: daß man aus etwaigen theoretischen
Kenntnissen über Suggestion und Masscnseele praktisch nicht zu folgcrn verstand.

Was „Suggestion" betrifft, so war die Sache längst bckannt, ehe sie den
gelehrtcn Namen crhielt. Icder Schulknabe weiß, daß Niescn, Gähncn, Lachen
„austeckt", jeder kcnnt die trübe oder hcitere „Stimmnng" eines Raumes, ciner
Gesellschaft, eines „Milicus", pines Landes, jeder die Befangenheit vor echten
oder scheinbaren Autoritäten, jcder den Einflnß bestinrmtcr Pcrsönlichkeitcn,
die vielleicht nur einzutretcn brauchen, um so oder so auf die Anwesenden zu
wirken. And lange Levor der Name landläufig war, kannten die Gcscheiten auch
schon die ausschlaggebende Wichtigkeit der Suggestion, wenn auch nur
Wenige solchen Volksweishciten wissenschaftlich nachgedacht habcn, wie: „Liebe
macht blind", odcr „man glaubt, was man wünscht". „Alles, was Meinungen
über die Dinge sind," sagt schon Goethe, „gehört dem Individuum an,"
so daß „niemand etwas begreift, als was ihm geinäß ist." Das Vornrteil, also
das Urteil vor der Antersuchung, meint er, entscheide alles. Suggestion ist
nun das, was die „Vorurteile" in eine bestimmte Richtung lcgt, parallel mit
dem Denken eines andern, des Suggerierenden, wie der Magnetstahl die Eisen-
spänc. Hören wir einen Fachmann: „Die Besonderhcit dcr scelischen Ein-

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