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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 32,1.1918

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Heft 1 (1. Oktoberheft 1918)
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Avenarius, Ferdinand: Von Suggestion und Waffenseele: als zweien der "aktuellsten" Fragen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14375#0018

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wirkung beim Suggerieren," sagt Loewenfeld, „liegt darin, daß bei ihr nicht wie
bei der Bitte, dem Rate, der Aufklarung durch logische Anseinandersetzungen,
oder wie beim Befehle durch direkte Ausforderung, sondern lediglich dadurch
cine Vorstellnng bei einem Individnum sichbildet, daß deren Eintritt
angekündigt oder auch nnr nahegelegt wird. Bei dem zu Beeinflus-
senden wird dadurch der Tatbcstand, daß einc Einwirkung von anderer Seite anf
ihn statthatte, verhnllt und der Anschein hervorgernfen oder wenigstens begünstigt,
daß die geweckte Vorstellnng Produkt seiner eignen Geistestätig-
keit iei." Beispiel: Die Dame, die in ihrer Kleidung der nenesten Mode folgt,
glaubt fast immer, sie finde diese neueste Mode auch schöner. Es gibt schr
verschiedene Arten Suggestion, und dic mittelbaren können sogar von ganz beson-
derer Bedcntung sein, wie der Einflnß dcs Vorbildes in der Erziehung, der „guten
Kindcrstube", ciner mutigen Tat im Kriege, der „Ilmwelt", der Mode, des
Landes, wo man währcnd der Vorgänge lebt, wie jetzt Deutsche in Amerika
oder auch nur in der Schweiz erwcisen. All das deutet auf Gruppen von Sng-
gestioncn. Und nun, was höchst wichtig ist: hat sich das „Eingegebene" in den
Tiefen festgesetzt und dorthcr aus dem geistigen Erbteil der Vorfahren Iuzug
geholt, so ist es stärker, als das bewußt Gedachte und mit cchter Unbe-
fangenheit kritisch Angenommene. Der Intellekt wird ja, wie schon Goethc
andeutet, heimlich regicrt vom Unbewnßtcn. So kann die „eingegebene" Vor-
stellung einen Zwangscharakter erhalten, gegen welchen die allerklarsten
Gründe so wenig ansrichtcn können, wie gegen die Zwangsvorstellungen eines
Geisteskrankcn, der außcrhalb seiner „fixen Idee" ja anch durchaus vernünftig
nrteilen niag. „Religiöse und politische Suggestionen zeigen diese Ligenschaft
vielfach in besonders ausgeprägtem Maße und werdcn dadurch zu eineni Faktor,
welcher das Denken des Individuums auf den betreffenden Gebieten völlig
beherrscht." Die eingcgebene Vorstellung ist dann für eine Zeit keiner Ver-
bcsserung durch Worte zugänglich, bis zu hohem Grade nicht einmal einer
solchen dnrch Tatsachen.

^reilich, sie muß zunächst einmal „angenommen" sein. In irgend einem
O Grade ist jcder „suggestibel", aber wir sind es durchaus nicht alle gleich. Ieder
ist es iu höherem Maße, sobald er Glied einer Masss ist. „M assenseele" —
hier wären wir bei dem zweiten dcr Worte, die jetzt viel mchr gebraucht, als
durchdachl werden. Wir zitieren Schiller: „Ieder, sieht man ihn einzeln, ist
leidlich klng und vcrständig, sind sie in -eorpors, gleich wird nur ein Dnmm-
kopf daraus", oder Wagner: „tlm Gottes willen kein Komitee," aber jede Um-
sprache auch in guter Gesellschaft erwcist, daß nur Wenige das nähere Wesen
dieser Erschcinungcn nnd nur Vereinzeltc ihre Tragweite kennen.

Eine „pshchologische Masse" bildet sich unter gleichen dauernden Einwirkungen
(wie bci Konfcssions-, Standes-, Berufs-Gcnossenschafteii), indem dic vom An-
bewußten beherrschten allgemcinen Charaktercigeiischaften zneinandcr sließen. Sie
kann sich aber auch bci plötzlichen Rcizen bilden, wenn sie besondcrs stark
und allcn gemeinsam sind, wie beim Kriege, und dann ist es, als wenn die
gemeinsamen Eigcnschaften die Eiiizeleigenschastcn plötzlich geradezu verschlän-
gen. Sobald ich nun urtcile, stellcn sich meine Gedanken in die Masse ein,
versinkt mcin bcsondcres Ich, bin ich als Geist nur noch mit dem, womit ich
Teil bin. And dcnnoch bleibe ich fest überzeugt davon, daß ich ganz mit eigenem
Kopf frci aus mir heraus entschied«! Anch der bedentendste Geist, der an
llrteil den andern hundcrtmal übcrlegcn ist, verfällt dem Schicksal, „Dumm-
kopf" zu werden, in Lcm Augenblick, da die Masse seine Gedankengänge
parallel den ihrigen einstellt. Der Franzose Gustave Le Bon, der die „Psy-
chologie dcr Massen" wohl als erstcr in einem Werke beschrieben hat, spricht
geradezu vom Schwinden des „Gehirnlebens" und der Vorherrschaft des
„Rückenmarklebens" bei ihr. Damit aber ist auch ihm die Kennzeichnuiig der
Massenseele lange nicht erschöpft. Wie er in der Ehcmie bestimmte Elemente,
etwa dic Vasen und Säurcn, bei ihrcm Zusammcnkommen ganz neue Kürper

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