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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 32,1.1918

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Heft 1 (1. Oktoberheft 1918)
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Gregori, Ferdinand: Theater und Film: eine Warnung
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https://doi.org/10.11588/diglit.14375#0024

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Brahm-Debut mit „Kabale und Liebe"); uicht anderseits ein Schuß ins Schwarze
— siehe Max Reinhardts wandelnden Sommernachtswald —; es wirkt nicht die
zwischen Bühnenverein und Bühncngenossenschaft erhobene und nun langsam
gesenkte Streitaxt, um die sozial-bedeutsame Vertragsparagraphen und das
Reichstheatergesetz herumwirbeln; nicht einmal die vielen guten Dinge aus dem
ganz frischen Füllhorn des Kulturverbandes vermögen zahlreiche Schauspicler
Berlins so bis zur Atemlosigkeit, bis zur Verblendung und zur Vertragsver-
letzung zu erregen, sondern, nackt gesprochen, ihren eigenen Worten nachge-
sprochen, das bare Geld, das auf der Straße liegt, in diesen bitterteuren Zeiten
gerade für sie auf der Straße liegt.

Sehr bcquem, es aufzuheben; ganz und gar töricht, es liegen zu lassen!
Man braucht keine Rolle mehr umständlich auswendigzulernen; braucht nicht
unter einem eigensinnigen Spielleiter vier Wochen lang an einer undankbaren
Szene zu probieren, sie dann auch nicht hundert und mehr Male Abend für Abend
unwillig wiederholend abzuhaspeln und — man bekommt doch seine Gage wie
beim richtigen Theater, ja sogar eine weit höhsre; bekommt sie für eine regelrechte
Art oder Abart des Schauspielens, die im Gedränge schnellster Entwicklung ein
eigenes Personal noch nicht hat ausbilden können; läuft nicht Gefahr, sich je
heiser zu schreien oder der Andeutlichkeit geziehen zu werden, setzt sich — o
Sondcrglück — niemals einer vcrnichtenden Pressekritik ans. Und das Publikum,
dem man sich dabei vorstellt — gleichzeitig an vielen Orten, ohne Körper gegen-
wärtig —, ist anspruchslos wie Leberecht Hühnchen, noch geduldiger sogar als
dieser liebenswürdige Genußmensch; aber mächtig und mannigfaltig, ein viel
größerer Teil des deutschen Volkes, als zu dem je ein mühselig reisender Künstler
von ehmals während langer Iahrzehnte aus übervoller Seele gesprochen hat,
And alle Wandcrfahrtcn Friedrf Ludwig Schröders, der ganzen Familie Devrient,
Friedrich Haases, Mitterwurzers, Matkowskys und Kainzens, die Gesamt-
Gastspiele der Meininger, Stanislawskis und Max Reinhardts zusammenge-
nommen verblassen außerdem, wenn wir die Kassenergebnisse unsrer jüngsten,
leichtbcweglichen Wandcrbühne danebcn halten.

Ieder trägt die Auflösung dieses Berufsrätsels auf den Lippcn: der Film.
Solange er noch international war, also vor dem Kriege, hatte unsre Nation
nur das Geld bcizusteuern, das nun einmal zu jeder Erfindung gchört. Wir
bezogen die fcrtigen Filme aus allcn den Ländern, die heute statt dessen die
Vegriffe Recht und Freiheit gepachtet habcn, und bezahlten reichlich dafür. Es
gab sogar Stimmungen unter unsern Theatcrleitern, die auf ciue Nieder-
ringung dieser bildhaft-beschränkten Konkurrenz hinzielten; und auch unsre
darstellenden Künstler sagtcn sich vielfach davon los; instinktiv fühlten sie, daß
Fremdkörper in dieser Mischung von Lippcnbewegung und Lautlosigkeit waren.

Als aber unsrc Häfen und Schlagbäume von einer ganzen Reihe hanbel-
treibender Völker, halb mit ihrein, halb gegen ihren Willen gemieden wurden
nnd doch das Schaubedürfnis der Menge (auch der Mietzins der Kinos) nicht
mit einem Schlage aussetzte, legten sich dic klugen Leute, die am Zoll saßen,
um reich zu werden, die ihnen sehr geläufige Frage vor: „Quo vadis?" Nnd
sie gingen zu unsern Schauspielern. Die Berliner kamen zuerst in Frage, denn
in Berlin ist der hauptsächlichste Sitz der Kriegsgesellschaften und ähnlicher
Anternehmungen. (Ich bin nämlich dcs Glaubens, daß unsre Film-Erzeugung
^nicht -Verwertung) nach dem Kriege sehr bald auch eine Abergangswirtschaft
wie die Kriegsgesellschaften einschlagen und sich auf Import einstellen muß;
es sei denn, daß sie bis dahin den glcichartigen ausländischen Unternehmungen
an Wagemut und Peinlichkeit dcr Ausführung gleichkomme.)

Die Ateliers schossen wie die Wucherpreise aus der Erde; große, mittlere,
kleine. Neue Gesellschaften mieteten wohl auch fürs erste nur ältere Ateliers
tagcweise ab, wobei der Mietpreis sich binnen kurzem verzehnfacht hat; so Laß
ältere Bcsitzer, denen einmal der eigentliche Filmstoff ausginge, heute ganz gut
vom Vcrmicten leben könnten. Viel zahlrcicher noch waren natürlich die Film-
Skizzen, die in die Film-Kanzlcien flogcn, und von märchenhaftcm Ncichtum

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