Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutscher Wille: des Kunstwarts — 32,1.1918

DOI Heft:
Heft 1 (1. Oktoberheft 1918)
DOI Artikel:
Gregori, Ferdinand: Theater und Film: eine Warnung
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14375#0026

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
eigcntliche Arbeitsreich des Schauspielers (der Spielabend ist nichts als cine
Repctition des dort Errungenen aus mehr oder minder guter Stimmung
beraus), die, wenn irgend ctwas beim Theater heilig ist, allerheiligste Zeit.
Jn dcr Regel zwischen (0 und 5, also in denselben Stunden, die auch dcr Film
gern nützt, weil sich's da am besten photographieren läßt. In Berlin, wo
verschiedenenorts Bühnen von eincm gemeinsamen Personal gespeist werden,
sind Rollenumbesetzungen sehr häufig — die Gründe dafür anzuführen, erübrigt
sich hier — und machen sogcnannte Szenenproben nötig. Daran müssen von
rechtswcgen alle teilnehmen, die mit dem Ersatzschauspieler zu tun haben;
sonst sind am Rbcnd die lächerlichsten Aberraschungen zu befürchten. Derartige
Proben werden oft erst am Abend vorher bekanntgegeben. Haben nnn einige
Darsteller für den kommenden Tag eine Filmanfnahme zugesagt, so stehen sie
vor der Frage: was ist wichtiger? Und da sie das große Filmhonorar nicht
einbüßen wollen (die Theaterprobe wird natürlich nicht besonders vergütet),
so lassen sie das Theater im Stich, und ich brauche wohl nicht auseinanderzu-
setzen, daß ihrc telephonisch oder sonstwie angebrachte Entschuldigung es manch-
mal mit der Wahrheit nicht allzu genau nimmt, oder daß sie sich gar nicht
erst entschuldigcn, sondcrn „die Probenanzeige übersehen haben" und dafür
ohne Wimperzucken die Strafe erlegen — irgend ein Sümmchen, das ihrer
kleincn Thcatergage, nicht aber dem großen Filmhonorar angepaßt ist, ihnen
also nicht sondcrlich wehtut.

Zugcgeben: eine solche unvollständige Szenenprobe ist meist keine tzäupt-
und Staatsaktion; das Theater kommt leicht, meiner Meinung nach allzuleicht,
darüber weg. Ernsthafter jedoch wird der Schleichhandel zwischen Filin und
Lheater bei Neuinszenierungen. Icde Verspätung, noch mehr jede Versäumnis
eines einzelncn Darstellers hält hier die Räder einer hundertteiligen Kunst-
maschine an, macht das Tagespensum nahezu unmöglich, schiebt die Erstauf-
führung hinaus vder läßt, wo der Termin kontraktlich festgelegt ist, die Dar-
stellung nicht ausreifen. Eine- unfertige Aufführung kann natürlich das Stück,
den Dichter, das Theater zu Fall bringen. Wenn der Schanspieler erst den
Standpunkt einnimmt, daß er seine bescheidene Rolle in einem neuen Stück
auch mit drci, vier Proben spielen könne, statt mit der vierfachen Zahl, so
dcnkt er eben nur an sich und nicht ans Ganze. Denn gewiß, wenn der Spiel-
leiter sich drei, vier Vormittage lang nur mit ihm beschäftigte, so würde
diese eine Leistung viellcicht reif werden; aber die Probentechnik läßt solche
Arbeitsweisc nicht zu; der Spielleitcr darf den einen Mitwirkenden nicht zu-
ungunsten aller anderen zeitlich bevorzugen.

Noch wescntlicher greift eine andre Nebenerscheinung in dcn Theaterbetrieb
ein. Kunst ist ohne innere Sammlung nicht möglich. Ein Schauspieler, dcr
— vor allem in unsern nicht sehr nervcnfesten Tagen — zwei Arbeitsfclder
bestellt, bringt für kcines die volle Kraft auf. Ein Beispiel: früh 6 Ahr wird
er im Auto nach Potsdam zu einer Filmaufnahme abgcholt, macht sich dort
zwischen (l und l Phr frei, um an cincm Berliner Theater zwischendnrch eine
ncue Rolle zn „schaffen", rast dann ein zweites Mal nach Potsdam, bleibt dort
bis 6 Ahr filmtätig und spielt um 7 Ahr wieder an seiner Berliner Arbeits-
stätte einc große klassischc Rolle. Daß er sich selbst dabei bald derbraucht, ist
klar; aber schließlich kann er einmal, vom ärztlichen Attest unterstützt, einen
Erholungsurlaub nchmen, der ihn wieder hochbringt. Wie aber eine Vor-
stellung unter crmüdeten Darstellern lcidet, denen oft anch das Gedächtnis
vcrsagt, das — mcrkt man vorläufig wohl nur hinter den Kulissen. Vor der
Rampe weiß mau ja nicht recht, wie es scin könntc, wenn alles bei Kräften
wäre. Aber dic starke Wirkung muß ausbleiben; die kommt nur von „aus-
geruhten" Körpern und Seelen.

Das ist ein Warnungsruf. Ich stelle in Kürze als meine Aufiassung fest;
der Film ist nicht nur cine unüberschaubar wcitreichende Lrrungenschaft der
Technik, «r steht auch künstlerischen Zielen sehr nahe, ja, ich sehe Möglichkeiten,
ihn ganz reinen künstlerischen Wirkungen dienstbar zu machen. Weiter: Schau-
 
Annotationen