Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutscher Wille: des Kunstwarts — 32,1.1918

DOI Heft:
Heft 3 (1. Novemberheft 1918)
DOI Artikel:
Vom Heute fürs Morgen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14375#0125

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
gearbeiteten Regimenter entgegen zu
stellcn. Die neu hinzutretenden jun-
gen Iahrgänge kommen bei der Rie-
senzahl der Kämpfer nicht in Betracht,
zumal sie nicht in geschlossenen Ver-
bänden den frischen Geist bewahren
können. Die Abermacht des Feindes
hat zur Folge, daß der einzelne Mann
im Laufe des Iahres nicht nur mehr
Erholung, sondern überhaupt mehr
Rnhe crhält, mehr Gelegenheit zu see-
lischer Entspannung als bei uns. Da
starrt uns groß der Zweifel an: kön-
nen wir die aus der Minderzahl sich
ergebenden Llachteile ausgleichen? —
Mchr Ruhe gewähren? Die Heeres-
leitung wird das Höchstmaß längst vor-
gesehen haben, das zu überschreiten
einer Schwächung der Front gleich-
käm«. Die äußerliche Fürsorge und
Hygiene, die wir nicht in gleichem
Maße zu gewähren vermögen, müssen
wir also durch eine innere zu ersetzen,
ja zu überbieten suchen.

Wird solche Hygiene gepflegt? Was
geschieht beispielsweise nm den guten
Mut, den beim Militär so leicht durch-
brechenden, befreienden Galgenhumor,
und die gelassene Schickung ins Un-
vermeidliche bewahren zu helfen, diese
Tröster und Frcunde in schweren Ta-
gen? Manch« Klage, die man von
Arlaubern hört, wird sich als nicht
stichhaltig erweisen. Aber erschreckend
ist ihre Geneigtheit, zu klagen,
und ihre Gewohnheit, schwarz zu
sehn nnd zu malen. Und dann: Wie
mcrkwürdig stimmen die Klagen über-
ein!

Am meisten wird über ungerechte
Verteilung der Verpflegung geklagt.
Der gemeine Mann weiß, daß seinem
Leutnant auch Nur eine Kelle aus dem
großen Kessel zusteht. Aber er be-
hauptet, daß sein Teil beschnitten wird,
damit die Offiziere in Freuden leben
können. Der Untergebene hat ein schar-
fes Auge für jede Ungerechtigkeit, ihn
reizt dergleichcn auch einfach als Miß-
branch der Gewalt. Die Spannung ent-
ladet sich zunächst nicht. Aber die Ka°
meraden nntereinander reden, aus dem
Arger wird Groll, aus dem Groll kann
Haß werden. Es kommt zu Entladun-
gen, die vertuscht werden, von denen
aber doch viele wissen; gerade weil sich
die Kenntnis von ihnen nur mündlich

fortpflanzt, vergrößert und verschlim-
mert sich das Bild. Nicht selten sind
auch Klagen über unwürdige Be-
handlung, besonders alter Leute durch
knabenhafte Vorgesetzte. Es gibt un-
zweifelhaft welche, die der Widerstands-
kraft der Truppe mehr schaden, als
ein verlorener Kampf, denn sie rütteln
an dem seelischen Gerüst, das uns
trägt. Bald ist dann nichts mehr zu
finden von freudiger Bejahung des
Vorgesetztenverhältnisses. So begaun,
lange ehe er nach außen sichtbar war,
der Zerfall der russischen Armee. Un°
sere deutschen Truppen sind ja gottlob
aus anderem Holz, aber Menschen sind
sie doch auch.

Erwähnt seien die zum Teil berech-
tigten Klagen über Ungerechtigkeit bei
Beförderungen und Auszeichnungen.
Der in der Ruhezeit oft zu reichlich
bemessene äußere und innere Drenst ist
verhaßt und läßt Freudigkeit da nicht
aufkommen, wo sie unbedingt eine
Stätte haben müßte. In der Erre-
gung urteilen die Menschen dann un-
gerecht. Von hundert Leuten meiner
Kompagni« sahen neunzig deu Dienst
schließlich beinahe als eine Schikane
der Borgesetzten an. Und wie leicht ist
das Verhältnis zu bessern! Wenn nur
der gute Wille sichtbar wird, sind die
Herzen ja schnell gewonnen. Als wir
nach schweren Kämpfen Rnhequartiere
bezogen, richtete der Oberst einige
Worte an sein zusammengeschmolzenes
Regiment: „Wir befinden. uns in
einem zur Erholung recht geeigneten
Orte. Ich wünsche, daß ein jedcr aus-
spannen und sich wohl fühlen möge.
Ich werde veranlassen, daß so wenig
wie möglich Dienst angeseht wird."
Das Regiment ging für diesen Oberst
durchs Feucr, und Bedrücktheit herrschte,
als er zur Führung einer Brigade ab-
berufen wurde.

Hüten wir uns vor der Staub-
schicht auf den Seelen. Liegt sie
einmal drauf, so helfen auch befoh-
lene Lieder nichts, sie tun weh. Der
innere Druck und Unfriede kann bis
zur Unerträglichkeit wachsen. Solche
Menschen sind dann nur noch dem
Rock nach Soldaten.

Lassen wir diese Krebsschäden wu-
chern, so treiben wir Raubbau mit
seelischer Kraft. Wie kann die seelische
 
Annotationen