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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 32,1.1918

DOI Heft:
Heft 6 (2. Dezemberheft 1918)
DOI Artikel:
Troeltsch, Ernst: Das Ende des Militarismus
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https://doi.org/10.11588/diglit.14375#0209

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machten und in ihren Ansprüchen an Sieg und Gewinn, an Ruhm und
Prestige immer wuchsen. Die ausgleichende Aufgabe des Kanzlers wurde
immer hoffnungsloser. Mit Ludendorff stürmte ein Napoleonischer Geist
— nur ohne jede Spur der politischen Befähigung und Kenntnisse Na-
poleons — unbeschreiblich glänzend durch die Welt. Einer unserer ersten
Historiker sagte mir, als ich ihm meine schweren Sorgen über diese ver--
wegene Abenteuer-- und Kadettenpolitik aussprach, sehr charakteristisch: es
sei doch etwas Gewaltiges und Heroisches um ein Offizierskorps, das eine
ganze Nation hinter sich herreiße, auch auf die Gefahr hin, sie in den
Abgrund zu stürzen. Nnsere Diplomaten sämtlich, deren ich viele ge-
sprochen habe, bestätigten diese Auffassuug, und wareu oft nahezu ver-
zweifelt, als die öffentliche Meinung noch vou Sieg- und Machtfrieden
schwärmte. Als der Reichstag bedenklich wurde, begann in tausend offenen
und versteckten Formen der Kampf gegen die Schwätzbude und die Dis-
kreditierung der Reichsleitung, und als die Massen bedenklich wurden,
begann die militärische „Aufklärung", die Stimmung und Illusion um
jeden Preis in den Massen erzeugen oder befestigen sollte. Der Leiter
dieses ganzen Aufklärungsfeldzuges sagte mir einmal: es komme auf die
Ausrottung der verfluchten deutschen Objektivität an, die imstande sei, die
eigene Lage mit den Augen der Gegner anzusehen, und wenn alles nichts
helfe. dann werde er für ein halbes Iahr den Briefverkehr zwischen Front
und Heimat verbieten! Diese Militärpolitik herrschte und triumphierte, so-
lange es eben ging. Nnter hundert Masken arbeiteten Ludendorff und
seine Generalstäbler. Die unselige Vaterlandspartei war eine dieser ge°
fährlichsten Masken und wußte es überdies zum großen Teil selbst nicht.
Die „Vossische Zeitung" machte scheinbar auch gegen den Generalstab eigene
Politik, benützte aber diesen Schein um so erfolgreicher dazu, alle Staats-
männer der Reichsleitung, die Ludeudorff nicht gefielen, zu diskreditieren.
Nnd so weiter ohne Ende, wobei ich übrigens die schweren Mängel auch der
Staatsleiter nicht verkennen will. Als die Bundesgenossen besiegt wurden
und abfielen, und als die Amerikaner in Frankreich der Offensive ein Ende
bereiteten, da meldete dann auch Ludendorff deu Bankrott an, verlangte
eine neue demokratische und dadurch verhaudlungsfähige Regierung, die
den Waffenstillstand herbeiführen sollte. Diese Bitte um Waffenstillstand
war iu Wahrheit eine verschleierte Kapitulation nach unendlichen Ruhmes-
taten, die an die chansons des gestes erinnerten. Furchtbarer, entsetzlicher,
nie genug zu beweinender Gang der Dinge!

Gleichzeitig vollzog sich die Auflösung von innen heraus. Das Volksheer
der allgemeiuen Wehrpflicht war geschaffen für die Verteidiguug und für
einen verhältnismäßig kurzen Krieg. Für einen imperialistischen Welt-
krieg vieler Iahre ist ein Heer von Familienvätern und Landsturmmännern
nie gedacht und nie geeignet gewesen. Dazu kam, daß dieses Volksheer
gleichzeitig auch in seiner Anterscheidung zwischeu Mannschaften und
Offizierskorps geradezu äußerst sorgfältig und genial auf den Klassen-
gegensatz aufgebaut war, verschieden an Lebensweise, Nmgangsformen,
Ehrenkodex beider Teile. Das gab dem Offizierskorps die Geschlossenheit,
den Sinn für Ehre und Ruhm, die unnahbare Aberlegenheit über den
Mann, die soziale Sonderstellung und Ideeuwelt gleichzeitig mit der patri-
archalischen Fürsorge und Hingebung für die Mannschaften. Insofern wurde
es angesichts glänzender Leistnngen der Offiziere zunächst auch gerne er°
tragen von den Mannschaften. Allein im Laufe des Krieges fiel der größte
 
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