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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 32,1.1918

DOI Heft:
Heft 6 (2. Dezemberheft 1918)
DOI Artikel:
Troeltsch, Ernst: Das Ende des Militarismus
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https://doi.org/10.11588/diglit.14375#0210

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TeU des alten, gut erzogenen Offizierskorps; Neulinge rnckten ein, die vor
allem Vorzüge, Glanz und Herrenstellung genießen wollten; die <Lr°
obererstellung in den besetzten Länderrr hob diese Neigungen und mit
ihnen die Gegensätze. Andrerseits radikalisierten sich die Mannschaften
unter dem Eindruck dieses Gegensatzes, der Nachrichten aus der Heimat,
der Ernährungsschwierigkeiten, des täglichen intimen Verkehrs, der von
selbst zur Propaganda des Radikalismus wurde. „Gleicher Lohn und
gleiches Essen, und der Krieg ist ganz vergessen" las man verschiedentlich
angeschrieben. Kasino gegen Mannschaftsküche: das bezeichnete die Sach-
lage. Es ist fast rätselhaft, wie gleichmäßig dieser Oppositionsgeist sich
verbreitet hat und wie wenig die Offiziere, die über die „Stimmung"
eingehend zu berichten hatten, von alledem gemerkt haben. Freunde und
Schüler, die als Mannschaften draußen oder doch erst später Offiziere
wurden, haben mir dann gesagt, daß ihnen das alles längst bekannt sei und
daß es durch die ganze Armee gehe; es sei aber unmöglich gewesen, der-
artige unzulässige Tatsachen zu melden. Das Naumburger Iägerbataillon,
das von seinen Offizieren als besonders königstreu gerühmt war und
deshalb von Linsingen nach Berlin zur Bekämpfung der Revolution ge-
schafft wurde, ging mit Waffen und Automobilen sehr bald ohne weiteres
zur Revolution über und machte sie siegreich. So wenig kannten die
Offiziere ihre Leute. Als ich im August im Allgäu eine Versammlung
von — übrigens durchaus „patriotischen" und damals höchst kriegsgläu-
bigen — Bauern und Käsefabrikanten mitmachte, da war ich erschreckt
über den geradezu fanatischen Haß, der hier ganz allgemein gegen das
Sffizierskorps als den Inbegriff aller Nngerechtigkeit und Bevorzugung
losbrach. Ich schrieb damals sofort an einen der Staatssekretäre des
Reichs, daß die Revolutionsgefahr keine Einbildung sei. Als nach Luden-
dorfss Waffenstillstandsantrag bei uns die Parole der Volkserhebung und
des Endkampfes ausgegeben wurde, sagten mir die Kenner der Armee
und des Volkes, daß das nur die Revolution in der Armee selbst aus-
lösen würde. Wir haben das damals Herrn von Tirpitz in ciner Ver-
sammlung entgegengehalten, die für die „Erhebung" arbeiten sollte. Die
Herren antworteten: „Nein, umgekehrt; nur der Sieg kann die Revolution
verhindern; die Niederlage ist die Revolution." Das war gewiß richtig,
nur war an den Sieg lange, lange nicht mehr zu denken, und bedeutete
der gewaltsame Versuch, das Unmögliche zu wollen oder unterzugehen,
erst recht die Revolution. Sich in die Luft sprengen kann ein Offiziers-
korps, aber nicht ein ganzes großes Volk. Die Vorgänge bei der Kieler
Marine haben die Voraussage sofort bestätigt und die Eröffnung der
ganzen Revolution der Mannschaften gegen das Offizierskorps überhaupt
gebildet. Heute herrschen die Soldatenräte. Die psychologischen Voraus-
setzungen der preußisch-deutschen Armee, das kunstvoll balanzierte Ver-
hältnis zwischen Volksheer und gänzlich feudal empfindendem Offiziers-
korps, sind in vier Iahren Krieg und Aot aufgebraucht. Das bedingungs-
lose Vertrauen ist nach der bewußt gepflegten Illusion der Aufklärungs-
Kampagne verflüchtigt. Glorreiche Äberlieferungen sind zu Ende, ein Kunst-
werk ist zerstört. Es hat einem vierjährigen Kriege und dann der Nieder-
lage nicht widerstehen können und wurde von einer volkstümlichen Politik
in der Heimat nicht unterstützt. Man hat nicht gesehen und wollte vor allem
nicht sehen, was sich vorbereitete, und wer es wußte, durfte dieses wie so
vicles andere nicht sagen.

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