Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutscher Wille: des Kunstwarts — 32,1.1918

DOI Heft:
Heft 6 (2. Dezemberheft 1918)
DOI Artikel:
Molo, Walter von: Selma Lagerlöf
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14375#0218

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
ring sind. Die Frau fabuliert! Sie erhält den Glauben an den unabläs-
sigen, unumstößlichen Sieg des Guten; sie ist, in ihrer reinsten Erschei-
nung, Märchen und Sage! Alles, was der Kindersinn sehnsüchtig sucht,
ist den Frauen vorhanden! Ihr ragendstes Symbol ist mir die genialste
selbstschöpferische Frau: die Lagerlöf! Die Lagerlöf schafft der Menschheit
schönsten Besitz, Heimatliebe, Kinderliebe, Elternliebe, Gattenliebe, Liebe,
mit all ihren unendlichen Schattierungen und Spiegelbildern in der
menschlichen Seele, dichterisch zu ragenden Monumenten um. Ihr ist das
Wunder an sich Voraussetzung alles Seins. Für sie gibt es keine „er-
kennende" Wissenschaft, keine „unbelebte" Natur! Wort für Wort ist ihr
die Bibel, das Buch der Bücher, wahr; sie erhellt sie, sie übersetzt die
Gläubigkeit aller Konfessionen gefühlsmäßig in Kunst. Nach den großen
Gesetzen des Welträtsels, des gütigen Schicksals oder Gottes, reden und
handeln ihr die Menschen und Tiere. Die Flüsse, Pflanzen und Steine
sind ihr Lebewesen mit Seelen. Dieser begnadeten Frau ist das Äber-
sinnliche Selbstverständlichkeit. Alles Schöne geht ihr in Erfüllung. Das
Ienseits lebt, es greift entscheidend ins Dasein ein! Die Trolle, Nymphen,
Kobolde, heinzelmännchen und Riesen leben, die Engel schweben auf und
nieder, die Brücke bildend für die bedrängten, erlösten Seelen, der Gottes-
sohn steigt, immer wieder, zu uns herab, unter denen er ewig wandelt,
damit das Böse stetig Gutes schafft. Es gibt keine Verfemten oder Narren,
keine Toren und Krüppel oder Enterbten, es gibt bloß, im schlimmsten
Falle, ein Nichtverstehen, ein Aneinandervorbeireden. Dieses menschliche
Erbübel beseitigt und führt lächelnd zur Harmonie der Liebe der Lager-
löf großes, unbesiegliches Herz! Aberall läßt sie Verzeihung und Ge-
rechtigkeit triumphieren, und was das Wunderbarste ist: diese evangelische
Frau steht dabei stets auf dem Boden der höchsten Wirklichkeit! Sie reißt
dem Dasein die Maske ab, sie liebt ihm die Maske ab und — Gott sieht
uns an! Mit tiefster Menschenkenntnis, mit schärfster Charakterisierungs-
fähigkeit, mit rührendem Humor, mit verzeihender Schalkhaftigkeit und
nie verletzendem Sarkasmus sieht und gestaltet sie die Lächerlichkeit, Nich-
tigkeit und Schurkenhaftigkeit dieses Seins. Alles Böse und Harte schmilzt
in der übermenschlichen Liebe dieser genialen Puppenspielerin zu Glück.
Ihr hat nur das Leben des Geistes Wert; sie nützt alle Register, sie läßt
alle Weltstimmen erbrausen, um die Symphonie der sinngemäßen Läute-
rung, des Verbundenseins mit dem Himmel des Guten und Schönen, der
uns väterlich überwölbt, begnadet und erlöst, laut und sichtbar werden zu
lassen. Es liegt an der Stumpfheit, daß die Menschen nicht immer so
gesehen werden, wie sie der Lagerlöf erscheinen; sie sind edel, betrachtet
man ihr Wichtigstes, entkleidet aller Nebensächlichkeiten! Der großen Schwe-
din Kraft und unwiderstehliche Beredsamkeit lassen jubelnd erkennend ins
Gefüge des Ganzen, des Letzten sehen. Sie setzt menschliche Seelen in
Handlung. Stets ist es der gleiche Geist, Gottes Geist, der ihr Geist ist,
der sich die Vielfalt der Körper baut! Sie formt nicht von außen nach
innen, nicht vom „Realen" zum „Romantischen"; sie formt von innerst
heraus. Ihre Gestalten sind Vollwesen, nicht Hirngespinste, Vollwesen,
geschaffen von subtilster Psychologie, geschaffen von höherer Psychologie,
als sie die größte Hirnarbeit jemals zutage zu fördern vermag. Sie glaubt
dem Wunder, weil das Wunder in ihr ist! Ihr Ich ist legendäre An-
schauung der Seele! Ihre Psychologie ist nicht schürfend, sie ist da mit
der Selbstverständlichkeit der Schöpfung. Nntrennbar sind ihr Erfindung

>85
 
Annotationen