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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 32,1.1918

DOI Heft:
Heft 6 (2. Dezemberheft 1918)
DOI Artikel:
Molo, Walter von: Selma Lagerlöf
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https://doi.org/10.11588/diglit.14375#0219

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und Tatsache verwoben. „Ich muß sterben" wird zum „Ich darf sterben",
der Tauf- oder Hochzeitszug trifft den Leichenzug, der wieder Tauf- und
ewiger Hochzeitszug ist. Die Menschen sehen mit den „Augen der Seete",
durch sie, daß das „Glück der Einbildung" ihr Bestes ist, daß es nichts
Schöneres gibt als das Leben, das nicht schwer und traurig, sondern:
„wunderschön" ist, lebt und versteht man es richtig! Alles Häßliche wird
ihr zum vergänglichen Entwicklungsstück, alles Bittere ist überwindbar.
Alle „Großen" sind Kinder, und alle Kinder sind „groß". Sie zwingt die
Sehnsüchte, mitzudichten, und sie folgen ihr freudig, weil sie überirdische
Erfüllung durch sie finden. Zeitlos ist die Dichtung der Lagerlöf, sie wan--
delt die Wege der Ewigkeit. Alles Grenzende, Einengende fällt. Immer
leidet das Hohe, immer leidet die Liebe, immer leiden Mann und Weib
und Eltern und Kinder, arm und reich, doch es ist nur scheinbar; kaum
steht die Lagerlöf neben ihnen, so sinkt das Niedere, gleich „kriegen"
sie sich, gleich ist Hilfe, sind Verzeihen und Begreifen jedes Wollens da,
gleich verschenkt der Reiche sein Gut, um wahrhaft reich zu sein, gleich
singt der Arme, weil er schon lange wahrhaft reich ist. Mann und Weib
sind der Lagerlöf immer dieselben! „Sie" ist die reine Magd, blond, keusch,
stolz, hochgewachsen, helläugig, zu jeder Erlöserarbeit bereit, mag sie erst
auch noch so hohl, selbstisch und kokett gewesen sein, nie ruft das Schicksal
sie vergeblich zur Ordnung! Der Lagerlöf Frauengestalten sind mit der
vollen Reinheit, mit der verschwiegensten Sehnsucht, der unberührten, ewi°
gen Iungfräulichkeit gebildet! „Er ist wild, trotzig, verwegen, untreu aus
gierig suchender Treue, aufbegehrend in der Tolpatschigkeit seines Ge-
schlechtes gegen die letzten Fragen, die er durch die Frau, die ihn erlöst„
erkennt. „Er" ist ein Weihnachtsmann, wie die liebenswerten Kavaliere
in „Gösta Berling", wie Gösta Berling selbst, hoch, traurig und verliebt,
kindlich, schön, ritterlich, und immer hat er „Locken" über der „bleichen"
Stirn. Er ist immer ein Stück Iesus Christus in Verkleidung; „sie" ist
immer ein Stück Gottesmutter! Der Lagerlöf Religion ist die Religion
aller Religionen; sie predigt unentwegt, ohne Predigt, des Dichtens Axiomr
kein Mensch ist ganz verdorben! Sie ist die Toleranz selbst, die auch die
wütendsten Gegner versöhnt: Kirchengläubigen und Sozialist! Die Lager-
löf kann nicht verstehen, warum zwischen diesen, überhaupt zwtschen den
Gegenpolen, zugegeben, daß sie bestehen, Feindschaft sein soll. Sie sind doch
beide nötig; sie sind doch beide nur Handwerker des Ewigen? Sie heißen
einmal Christ und Antichrist, vielleicht ist einmal der eine ein bißchen mehr
weiß und der andere ein bißchen mehr schwarz. Du lieber Gott! sie wollen
aber doch, bloß auf verschiedene Weise, das gleiche: das Glück, die Ruhe des
Herzens! Der Lagerlöf ist's kein Anterschied, ob die heidnischen Bilder, ob die
Heiligenbilder ins Leben herauf-- oder hinuntersteigen; sie wirken Gutes.
Musik erklingt, das Chaos legt sich, alle die bangten, weinten, schluchzten
und sich in Schmerzen wanden, beginnen zu lächeln! Die Welt wird immer
am Ende schön, heldenhaft, edel, und was das Schönste und Edelste daran
ist (ich verwende absichtlich die abgebrauchten „unphilosophischen" Wortc,
die der Lagerlöf Echtheit so völlig der Phrase entkleidet!): die Skeptischen
werden besiegt, sie erkennen: wir sind so, wenn auch leider nur für Augen-
blicke der Erhebung, wie uns die Lagerlöf sieht oder selbstherrlich-demütig
sehen will. Was in den geheimsten Ecken des Ichs nistet, mag man's
nun Sentimentalität, Familienblattgier, Kindischkeit, Leiermannrührung,
Kinoseligkeit, Kolportagegift oder wie immer nennen, das alles und noch
 
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