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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 32,2.1919

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Heft 11 (1. Märzheft 1919)
DOI Artikel:
Spranger, Eduard: Treue gegen Wahrheiten
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Troeltsch, Ernst: Wahnsinn oder Entwicklung? [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.14376#0132

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Kreuzzugi deuu er kam aus tiefster, heiligster Wahrhaftigkeit. Er war
es auch dann, wenn Irrtümer und Mißgriffe uns in ihn hineingesührt
haben, ja selbst wenn einige schuldbefleckte Hände mit im Spiel gewesen
sind. Der August isM bleibt die heilige deutsche Zeit.

Schon für den einzelnen führt der Weg empor durch Schuld nnd Irr-
tum. Aber das Irren darf die innere Kraft nicht zerrütten. Will man
zu seinen neuen Göttern ehrlich beteü, so darf man nicht vor sich selbst
verleugnen, daß man einst andre Götter gehabt hat. Wie man das Schlck-
sal lieben lernen muß, so muß man seine Irrwege lieben und in Ehren
halten. Durch sie allein ist man geworden, was man ist. Wo aber findet
man diese bewahrende Kraft, die sich auch zu den überwundenen Wahr-
heiten mutig bekennt? Wer tritt vor seinen Gott als Sünder hin und
spricht: „Nur durch Verfehlung fand ich mich zu dir"?

Es ist ganz dunkel, ob wir den Sinn der neuen Zeitepoche richtig deuten.
Aber wir bringen einen kleinen Geist in diese neuen Welten mit, wenn
wir so bereit sind, Altes abzuschwören. Das Leben ist überall ein Ganzes.
Auch für die Völker. Schleiermacher hat in den Tagen, als man unter
veränderten Zeitbedingungen den Stern des großen Friedrich zu verklei-
nern begann, gepredigt „Aber die rechte Verehrung des alten einheimischen
Großen". Heut sind wir in Gefahr, zu verleugnen, was unser Bismarck
uns war; und noch viel schmerzlicher, weil es den Lebenden trifft: wir
haben fast vergessen, was Hindenburg uns is t.

Wir sind den dritten Weg gegangen, den Weg einer schlechten Selbst-
verleugnung. Wir haben mit dem gebrochen, was wir sind; deshalb haben
wir keine Kraff, zu werden. Der tiefe Bruch in der Volksseele ist
schlimmer als der äußere Zusammenbruch. Wir müssen uns wiederfinden,
noch ehe der Tag des neuen Deutschland emporsteigt. Wir müssen die
alte Wahrheit verknüpfen mit der neuen, oder mutig mit der alten unter-
gehen. Wenn wir hoffen, daß ein fremdes Land, sei es Amerika oder gar
Rußland, uns zu unsrer Wahrheit führen könne — welch ein Selbst-
betrug! Nur wenn wir die deutsche Wahrheit leben können, die neue,
die wir uns selbst erkämpft haben, werden wir überhaupt leben können.
Erborgte Wahrheit hält kein Volk zusammen!

Leipzig, am 2^. Dezember W8 Eduard Spranger

Wahnsinn oder EnLwicklung?

(Schluß)

Wie nun aber die nationalwirtschaftlichen und weltwirtfchaftlichen
Zustände des letzten Halbjahrhunderts samt ihren politischen und sozialen
Folgeerscheinungen eines der wichtigsten Nnterscheidungsmerkmale der ge-
genwärtigen Katastrophe gegenüber älteren ähnlichen, nur auf kleinere
Räume und Massen beschränkten Weltbränden sind, so erwächst aus diesen
Umsiänden noch ein letztes, eigentümliches Merkmal des gegenwärtigen
Weltkrieges: die Spannung der großen militärisch-politischen Vorgänge
über einem unendlich erregten sozialreformerischen und sozial-
rev o lu ti o nä r en Untergrunde. Die Industrialisierung, Kommer-
zialisierung, Technisierung und Kapitalisierung der Welt hat in allen euro-
päischen und ihnen verwandten Staaten die alten Standesschichtungen
und Machtverhältnisse verschoben und zwischen die meist noch recht starken
Reste des älteren sozialen und politischen Aufbaus den durchgehenden
 
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