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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 57.1925-1926

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Michel, Wilhelm: Arbeit und Eingebung
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https://doi.org/10.11588/diglit.9180#0255

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ARBEIT UND EINGEBUNG

VON WILHELM MICHEL

Erst die Arbeit ist es, die das Ergebnis eines
Kunstwerks vollkommen sicher stellt. —
Rembrandt hat sieben Jahre hindurch an der
„Judenbraut" gemalt. Marees hat in seinen
großen Schleißheimer Gemälden Schicht um
Schicht die verschiedenen Erkenntnisse, Einfälle
und stilistischen Absichten übereinander gelegt,
bis sich zum Schlüsse die farbige Materie fast
plastisch zu wölben begann. Hölderlin hat Jahre
hindurch an der Gestalt einzelner Oden und
Hymnen gebaut, bis das treffendste Wort, die
vollendetste stilistische Kurve gefunden waren.
Dafür sind in diese Schöpfungen aber auch
gewaltige Massen an Welt hineingebannt, jeder-
zeit bereit, den empfänglichen Menschen mit
voller Wucht anzusprechen. Nicht wie die Skizze
die Welt faßt: aphoristisch, im glücklichen Zug
eines blitzartigen, begeisterten Einfalls, sondern
in zähem, langem, oft wiederholtem Mühen ist
in jenen großen Beispielen die „Welt" ins Kunst-
werk eingetan, immer dichter und voller. Nicht
nur ein Augenblick, nicht nur eine Stunde
lebt in diesen Schöpfungen, sondern viele
Stunden aus vielen Tagen und Wochen, jede
mit einer andern, neuen Farbe und Einsicht,
jede die andre verstärkend und bereichernd,
bis endlich der ursprüngliche Keimgedanke des
Werkes sich mit „Materie" völlig gesättigt hat.
Das sind alsdann die Werke, die um so mehr
Welt und Freude ausströmen, je länger man
vor ihnen verweilt. Sie beginnen zu fließen wie
unerschöpfliche Quellen, ihr Wort wird voller,
je mehr man darauf horcht.

Ohne weiteres begreift sich, daß dieses zähe,
langsame Arbeiten von einer Schaffensstunde
zur andern nur solchen Menschen möglich ist,
die in der geheimeren Schicht ihres Wesens tief
beruhigt und auf ein Dauerndes gegründet sind.
Nur wenn der Wogenschlag der wechselnden
Stunden die Tiefenregion unberührt läßt, kann
die eine schöpferische Stunde sich hilfreich zur
früheren gesellen. Daraus geht hervor, daß mit
einer Störung dieser Ruhe in der Tiefe die Mög-
lichkeit des echten „Arbeitens" dahinfällt. Es
kommt dann in der Kunst das Haschen nach
dem günstigen Augenblick, die Werkentstehung
aus der vorüberfliehenden, kurz dauernden
Inspiration, die Vorliebe für den „Einfall", für
die Skizze, für die impressionistische und ex-
pressionistische Subjektivität..........

*

In der Tat: es ist dem Künstler, selbst bei
der besten subjektiven Absicht, nicht in jeder
Kunstperiode möglich, zu „arbeiten"; d. h. in
langer, ungeminderter Hochspannung Welt in
das Werk einzutun. Eine Zeit, in der dieses
geduldige Aufbauen von Stunde zu Stunde,
dieses Reifen des Werkes von Schicht zu Schicht
selten ist, durchleben wir Heutigen. Der Mensch
der Gegenwart muß aus dem Augenblick leben
und schaffen, weil er schon morgen nicht mehr
derselbe ist wie heute, weil er kein echtes Ver-
hältnis zur Dauer besitzt, so wenig wie die Zeit,
der er angehört. Es ist keineswegs ein Mangel
des einzelnen Künstlers, wenn die eine seiner
Stunden sich so tief von der andern unterscheidet.
Vielmehr gehört dies zum Charakter der ganzen
Periode. Die Unruhe des modernen Lebens, die
kaleidoskopische Vielheit der bildenden Ein-
flüsse, die rasche Folge der geistigen Kata-
strophen, der grundstürzenden „Umwertungen"
— dies sind die Ursachen, weshalb die künst-
lerischen Gebilde rasch und fertig der günstigen
Stunde entspringen müssen. Dies sind aber
auch die Ursachen, weshalb die Werke uns oft
glänzendes über die Persönlichkeit des
Schöpfers, aber in der Regel so wenig über die
objektive Welt zu sagen haben. War es schon
früher wahr: „Den Augenblick ergreife, er ist
Dein!", so gilt dies im allerhöchsten Grade von
der Gegenwart. Der Augenblick spricht das aus,
was uns gehört; denn unsrer Persönlichkeit
sind wir stets sicher und mächtig. Aber das sich
uns entgegenstellende, fremdartige, schwierige
So-Sein der wirklichen Welt und ihrer Fülle
erschließt sich nur dem stets wiederholten An-
griff eines in der Dauer befestigten Geistes.

So ist es um die wichtige Rolle der „Arbeit"
im Kunstwerk bestimmt. Der günstige, er-
zeugende Augenblick stellt die innere Gestalt,
seine energische „Idee" fest. Aber die „Arbeit"
erst bringt die volle Versinnlichung der Idee.
Sie gibt ihr den echten räumlichen Körper, in
dem die Idee genau so wahr und alldurchdringend
wohnt wie die Seele im Leib der natürlichen
Geschöpfe. Alle großen Epochen der Kunst
zeichnen sich dadurch aus, daß sie die gelassene,
geduldige Arbeit kennen. Nicht in der Idee liegt
das eigentlich schöpferische Moment: erst das
„Arbeiten" aus der Idee heraus schafft wirk-
same, ebenso beseelte wie körperhafte Gestalt.
 
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