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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 63.1928-1929

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Hausenstein, Wilhelm: Münchner Neue Secession 1928
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https://doi.org/10.11588/diglit.9253#0013

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PROF. KARL CASPAR—MÜNCHEN

GEMÄLDE »WEISSER SONNTAG t

MÜNCHNER NEUE SECESSION 1928

VON DR. WILHELM HAUSENSTEIN

Man tritt den unleugbaren Qualitäten der
Münchner Neuen Secessionisten gewiß
nicht zu nahe, wenn man einen Bericht über die
Ausstellung des Verbandes mit der Feststellung
beginnt, daß die Hauptgewichte bei einem Gast
liegen: bei Edvard Münch, dem man einen
besonderen Saal eingeräumt hat. Es ist gegen
Münch vom Standpunkt des Handwerks aller-
hand zu sagen; aber die Argumente fallen hin
vor der mehr als suggestiven, vor der schon
metaphysischen Gewalt der Anschauung, die in
diesen Bildern (denn Bilder sind es wahrhaftig,
was gegen die Malerei auch einzuwenden sein
mag) mit einer erschütternden und manchmal
vernichtenden Intensität beurkundet ist. Was
am Expressionismus je sinnvoll und verant-
wortbar gewesen ist, kommt in diesen Werken
bereits zu Tage. „Bereits" — das Wort hat
seinen Sinn; denn das „Paar am Weintisch"
z. B. ist schon 1907 gemalt, also in einem
Augenblick, da noch kein Blauer Reiter pro-
grammatisch an den Expressionismus dachte. . .
Fehlt nur van Gogh.

Einige der älteren Repräsentanten der Neuen
Sezession sind im Lauf der letzten Jahre unter

die Akademiker gegangen und lehren an der
Münchner Hohen Schule für Malerei: Caspar,
Schinnerer, Heß. Bei Caspar meint man, zur
Zeit Momente einer gewissen künstlerischen
Verlegenheit wahrzunehmen; der Einfall wirkt
nicht recht spontan, die Malerei ein wenig zäh
und schematisch; indes bleibt die ungemeine
malerische Anlage immer fühlbar, und in ein-
zelnen Stücken, beispielsweise dem Kind mit
der Kerze, sind das Ursprüngliche des Gedankens
und die gute Malerei in angenehmem Gleich-
gewicht. Das Ganze gegen das Ganze gestellt
macht allerdings die Reihe der Bilder der Frau
Caspar-Filser einen beträchtlich stärkeren
Eindruck: die naturhafte Produktivität und Kraft
dieser Frau, ihr Geschmack und ihr gestaltender
Nachdruck sind immer wieder erstaunlich; auch
fehlt es ihrer Kunst von Jahr zu Jahr nicht an
neuen Wendungen. Es fällt mir schwer, zu
bekennen, daß ich mich mit den Malereien
Schinnerers (von ihnen allein rede ich, nicht
von der Graphik) nicht aussöhnen kann. Jeder
fühlt das Anständige, das durch und durch Reelle
dieser malerischen Bemühungen, das saubere
Gewissen, das ihr Vorzeichen ist — aber viele

XXXII. Oktober 1928. 1
 
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