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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 63.1928-1929

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Strenge und Milde
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https://doi.org/10.11588/diglit.9253#0115

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STRENGE UND MILDE

In der Kunst steht ewig die Strenge der gei-
stigen Forderung im Gegensatz zur realen
menschlichen Psychologie. Die Reinheit und
Geradheit des stilistischen Gedankens erhebt
sich und will sich durchsetzen. Aber sie stößt
sich immer wieder daran, daß der wirkliche
Mensch das volle Ausmaß der Strenge nicht
erträgt und Rücksichtnahme auf seine Lebens-
bedürfnisse und Gewohnheiten verlangt. Dem
Künstler ist am reinen, unverstellten Wort ge-
legen. Der Mensch aber muß verlangen, daß
ihm das Wort verständlich und erträglich sei,
daß es von ihm, dem Menschen, wisse. So
mischt sich in die Schärfe und Strenge des Ge-
dankens stets ein milderndes, versöhnliches
Element, und erst aus dem Zusammentreffen
beider entsteht die Kunst als eine wirkende,
geschichtliche Macht. Am deutlichsten zeigt
sich dies vielleicht im Bezirk der angewandten
Kunst, besonders wo der Wohnraum (und der

Innenraum überhaupt) in Frage kommt. Hier
stehen sich der reale Mensch und die reine
Idee am schroffsten gegenüber. Hier erweist
sich am klarsten, daß die Idee, indem sie die
Gestaltungsprobleme einseitig als Form- und
Ausdrucksprobleme faßt, leicht gegen andere
Seiten der menschlichen Psychologie verstößt;
beispielsweise gegen das Verlangen nach Be-
hagen, Wärme und „humaner" Formenwelt.
Ohne die unhistorische, aus reiner Geistigkeit
stammende „Strenge" gäbe es kein Weiter-
schreiten; der Geist ist immer revolutionär. Aber
ohne das Element der „Milde" gäbe es keinen
Zusammenhang mit dem Vergangenen und kein
reales Eingreifen ins wirkliche Dasein. Man
kann, wenn man will, von hier aus sagen, daß
das geschichtlich wirksame Kunstwerk stets ein
Kompromiß sei; aber dies doch nur in einem
Sinne, in dem auch das Zusammenwohnen von
Geist und Körper ein „Kompromiß" ist. w. m.
 
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