H. W. RUSSNER—BERLIN
FRAUENPORTRÄTS
VON MAX OSBORN
Das Frauenporträt hat in den letzten Jahr-
zehnten eine Krisis durchgemacht. Sie
war bedingt vor allem durch die Widerstände,
mit denen die Bildnismalerei überhaupt zu
kämpfen hatte. Das Porträt ist eine Synthese
des Wirklichkeitseindrucks, den der Maler von
der Erscheinung eines Menschen empfängt, und
der inneren Vorstellung von diesem optisch-
geistigen Erlebnis, die sich in der Persönlich-
keit des Künstlers bildet. Mehr als andere
Gattungen der Malerei ist die Bildnismalerei
darauf angewiesen, daß diese beiden Elemente
in einem bestimmten Gleichgewicht gehalten
werden. Dies Gleichgewicht aber war in dem
Augenblick gefährdet, da der Subjektivismus
in der Kunst mit früher nie geahnter Macht
vordrang, um immer entschlossener seine Herr-
schaft aufzurichten und ein völlig neues Ver-
hältnis zur Natur in sein Recht einzusetzen.
Dem Männerporträt gelang es gleichwohl
nach und nach, nicht ohne erhebliche Anstren-
gung, einen Teil des eingebüßten Geländes zu-
rückzugewinnen. Von der Sicherheit früherer
Zeiten, an der stets ein ganzer Heerbann künst-
lerisch Tätiger Anteil hatte, war zwar auch hier
keine Rede mehr. Doch es glückte einigen
überragenden Meistern, sich auf eigene Faust
Ersatz zu schaffen und im Garten ihres Lebens-
werkes eine neuartige Kultur des männlichen
Porträts anzusiedeln. Aber wo blieb das Frauen-
bild? — Hier war die Lage ungleich schwieriger
und komplizierter geworden. Das Frauenantlitz
lieferte weder der analytischen Malerei, die
ihre Lust in der Ent- und Aufdeckung einer
323
XXXTT. Feh™ ar 1929. 3
FRAUENPORTRÄTS
VON MAX OSBORN
Das Frauenporträt hat in den letzten Jahr-
zehnten eine Krisis durchgemacht. Sie
war bedingt vor allem durch die Widerstände,
mit denen die Bildnismalerei überhaupt zu
kämpfen hatte. Das Porträt ist eine Synthese
des Wirklichkeitseindrucks, den der Maler von
der Erscheinung eines Menschen empfängt, und
der inneren Vorstellung von diesem optisch-
geistigen Erlebnis, die sich in der Persönlich-
keit des Künstlers bildet. Mehr als andere
Gattungen der Malerei ist die Bildnismalerei
darauf angewiesen, daß diese beiden Elemente
in einem bestimmten Gleichgewicht gehalten
werden. Dies Gleichgewicht aber war in dem
Augenblick gefährdet, da der Subjektivismus
in der Kunst mit früher nie geahnter Macht
vordrang, um immer entschlossener seine Herr-
schaft aufzurichten und ein völlig neues Ver-
hältnis zur Natur in sein Recht einzusetzen.
Dem Männerporträt gelang es gleichwohl
nach und nach, nicht ohne erhebliche Anstren-
gung, einen Teil des eingebüßten Geländes zu-
rückzugewinnen. Von der Sicherheit früherer
Zeiten, an der stets ein ganzer Heerbann künst-
lerisch Tätiger Anteil hatte, war zwar auch hier
keine Rede mehr. Doch es glückte einigen
überragenden Meistern, sich auf eigene Faust
Ersatz zu schaffen und im Garten ihres Lebens-
werkes eine neuartige Kultur des männlichen
Porträts anzusiedeln. Aber wo blieb das Frauen-
bild? — Hier war die Lage ungleich schwieriger
und komplizierter geworden. Das Frauenantlitz
lieferte weder der analytischen Malerei, die
ihre Lust in der Ent- und Aufdeckung einer
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