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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 63.1928-1929

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Schürer, Oskar: Ein "heutiger" Künstler
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https://doi.org/10.11588/diglit.9253#0060

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EIN „HEUTIGER" KÜNSTLER

VON DR. O. SCHÜKEK

Wir haben heute sehr viele Künstler, zu
viele. Aber dies „Zu viel" ist nicht das
Besondere unserer Situation. Zu viel Künstler
gab es wohl immer. Erst die jeweilige Folge-
zeit hat da gesiebt und gewertet mit dem un-
erbittlichen „Vergessen" oder „Bewahren".
Was dem Museumsbesucher den Eindruck
macht, als habe es früher nur gute Künstler
gegeben.

Nein, dies „Zu viel" ist nicht das Besondere
unserer Situation. Aber daß es heute „heutige,
gestrige, vorgestrige und ehevorgestrige" Künst-
ler gibt, das ist doch wohl etwas, was nur unsere
Zeit in so hervorstechendem Maße auszeichnet.
Früher waren die Künstler doch alle mehr oder
weniger eingebunden in ihre Zeit. Gewiß finden
wir auch in der mittelalterlichen Kunstgeschichte
z. B. in irgend einem Dorf Meister am Werk, die
um eine Generation hinter dem in den Kunst-
zentralen gerade Üblichen zurückgeblieben sind.
Unmoderne, Verknöcherte, die die Ergebnisse
ihrer Jugendlehre bis ins Alter fortwursteln,
ohne in ihrem Hinterwäldlerdorf von moder-
neren Regungen des Zeitgefühls gestört zu
werden. Kunsthistoriker glauben darin manch-
mal sehr frühe Äußerungen eines Stils an-
sprechen zu dürfen, wo doch bloß rustikale
Verkalktheit am Werk ist. Gewiß: das Un-
moderne gabs immer. Aber es war nie so legi-
tim wie heute, machte sich nie in den Metro-
polen breit, infizierte nie den Durchschnitt des
Publikums so katastrophal wie heute. Wirklich:
wenn ein Kunsthistoriker im Jahre 2000 einmal
auf die Idee kommen sollte, das im Jahre 1927
Moderne herauszuarbeiten, er müßte erstaunt
sein über dies offizielle Nebeneinander von
Vorgestern, Gestern und Heute in der gleich-
zeitigen Produktion dieser Tage. (Vorausgesetzt,
daß es dann noch Kunsthistoriker gibt und,
daß dann so einKunsthistorikernoch das sublime
Fingerspitzengefühl für Jahres- und Monats-
nuancen hat, worüber ein heutiger, der sich z. B.
ins Quattrocento vergräbt, doch wohl verfügt.)

Heute malt man ganz bieder und sehr aner-
kannt im Stil von anno 1867 und von anno 1904
(inkl. der Geburtswehen des Jugendstils), und
daneben hängt man ein Bild von 1926, als wäre
nichts inzwischen geschehen. Das macht das
Publikum natürlich unsicher. Und da es schon
mal bequemer ist, im Großvaterstuhl zu sitzen
als im harten Sattel des Heute, so zieht man
natürlich das Bild ä la 1867 dem von heute

vor und hängt es sich neben den Ofen. Daß
dadurch die heutige Situation nicht eben geklärt
wird, dürfte einleuchten. Und daß der „heutige
Künstler" sich auf diese Weise schwer durch-
setzen wird, auch. Und das ist das Fatale an
unserer Situation im Vergleich zu allen gültigen
früheren: Während es früher Ehrensache war,
Modernes zu propagieren, — vergleicht nur
die Geschichte unserer Dombauten! — hat es
heute etwas Anrüchiges, sich für Modernes ein-
zusetzen. Man wird verdächtigt und gar be-
schimpft, und im Nebeneinander der Malerzeiten
rückt die heutige unfehlbar ins Hintertreffen.

Um Mißverständnissen vorzubeugen: hier
wird nicht das „immer nur Neue", das immer
wieder andere unter „heutig" verstanden, son-
dern der verantwortungsbewußte Ausdruck des
Jetzt, der zum „Seiner-Selbst-Bewußtwerden"
des Zeitgeistes führt. Von diesemStandpunkt aus
ist natürlich die Malerei von 1867 im Heute eine
Lüge, und die Vermantschung von Qualitäts-
bewußtsein und Geschmack führt da zu dem
gefährlichsten Muckertum. Man ist zu bequem,
sich Rechenschaft über seine eigene, über die
heutige Erfindung zu geben. Drum läßt man
sie auch in der Kunst nicht gelten. Man braucht
den gestrigen, den vorgestrigen Maler, um
Larven bereit zu haben, hinter die man sich
versteckt vor sich selbst. Und man nimmt es
dem „heutigen" Maler übel, wenn er einen aus
dem Versteck herausholt. Weh ihm!

Und dies „Weh ihm" stößt nun den „heutigen
Künstler" schon hinaus auf einen Posten, der
von einiger Tragik umwittert ist. Und auch das
war nicht immer so. Der morgige, der zukunfts-
trächtige, der große, — ja der stand immer in
tragischem Ringen. Aber von dem ist hier ja
gar nicht die Rede. Nur um den heutigen geht
es hier, um den, der „Heutiges" aussagt. Schon
der steht allein. Vom Publikum aus also wird
er in eine gewisse Tragik hineingestoßen. Aber
vielleicht auch von sich selbst. Es möchte näm-
lich sein, daß er durch Unverständnis der andern
hineingetrieben wird ins „nur-Heutige", in die
allzuenge Bahn des Monomanen, dem kein
breiter Schimmer von Vor und Zurück die stolze
Plattform des Heute baut. Er wird das Opfer
einer Zeit, die Angst hat vor dem Bekenntnis
zu sich selbst. Stärker als jemals muß ein
„heutiger Künstler" heute sein, um leisten zu
können, was ihm aufgegeben: den Tag zu ge-
stalten, der ihn geboren hat........... s.
 
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